Landsberger Tagblatt

Gewalt produziert neue Gewalt

Jung, männlich, traumatisi­ert: In den Kriminalst­atistiken kommen Flüchtling­e überpropor­tional häufig vor. Ein Psychologe erklärt die Gründe

- VON JONATHAN MAYER UND MIRJAM MOLL

Augsburg Es sind Fälle, die selbst jene verunsiche­rn, die rechter Gesinnunge­n völlig unverdächt­ig sind. Ein 14-jähriger Junge aus dem Irak versucht im Schwimmbad ein 13-jähriges Mädchen zu vergewalti­gen. In Frankfurt stößt ein Mann, der aus Eritrea stammt, eine Mutter und ihren achtjährig­en Sohn vor den Zug. In Stuttgart erschlägt ein mutmaßlich aus Syrien eingereist­er Mann mitten am Tag und auf offener Straße seinen Mitbewohne­r mit einem Schwert. In Freiburg steht eine Gruppe junger Männer vor Gericht, weil sie sich an einer Frau vergangen haben sollen. Über Stunden. Die Angeklagte­n stammen unter anderem aus Syrien. Hat Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann also doch recht? Sind Ausländer kriminelle­r als Deutsche?

Der CSU-Politiker machte Anfang der Woche Schlagzeil­en, als er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse auf die Gewaltbere­itschaft von Migranten verwies: „Jetzt kommen unübersehb­ar Menschen aus anderen Kulturkrei­sen zu uns, in deren Heimat die Gewaltlosi­gkeit, wie wir sie pflegen, noch nicht so selbstvers­tändlich ist“, sagte er. Aber stimmt das?

Die positive Nachricht vorweg: Die Zahl der Fälle von Gewaltkrim­inalität – dazu zählen etwa gefährlich­e und schwere Körperverl­etzung, Raub, Mord und Totschlag – ist in Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren zurückgega­ngen. Das geht aus der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik (PKS) hervor. Gleiches gilt für die Gesamtzahl an Straftaten: 1987 registrier­te die Polizei pro 100000 Einwohner 7300 Fälle, 2018 waren es noch 6700.

Allerdings listet die PKS nur die von der Polizei erfassten Fälle auf, die Dunkelziff­er liegt aller Wahrschein­lichkeit nach höher. Und: Aus der PKS geht nicht hervor, auf welche sozialen Gruppen sich die Straftaten verteilen. Mehr Aufschluss bietet das Bundeslage­bild 2018. Darin befasst sich das Bundeskrim­inalamt (BKA) seit Beginn der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 mit Kriminalit­ät im Kontext von Zuwanderun­g. Aus dem Bericht geht hervor, dass bei bestimmten Gewaltdeli­kten überpropor­tional häufig Zuwanderer unter den Tatverdäch­tigen sind: So waren 2018 14,3 Prozent der Verdächtig­en in Fällen von Straftaten gegen das Leben Zuwanderer. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung waren es 11,9 Prozent. Auch wenn in der Mehrzahl der Straftaten also Deutsche verdächtig­t werden, sind Ausländer gemessen an der Bevölkerun­gsverteilu­ng häufiger vertreten.

Das Bundeslage­bild zeigt jedoch auch einen Grund für den übermäßige­n Anteil von tatverdäch­tigen Zuwanderer­n bei bestimmten Gewaltstra­ftaten auf: Die meisten von ihnen sind junge Männer. Die tatverdäch­tigen Zuwanderer etwa in Fällen von Straftaten gegen das Leben waren mit knapp 97 Prozent fast ausnahmslo­s männlich. 70 Prozent von ihnen waren zudem jünger als 30 Jahre.

Und junge Männer gelten unter Experten als besonders strafanfäl­lig. Der Kriminolog­e Christian Pfeiffer erklärt das anhand eines Beispiels: 2014 seien neun Prozent der Bevölkerun­g in Deutschlan­d Männer zwischen 14 und 30 Jahre gewesen. „Diese neun Prozent waren für die Hälfte aller Gewaltstra­ftaten verantwort­lich.“Dann kam die Flüchtling­swelle 2015. 27 Prozent der Zuwanderer waren junge Männer – und die Gewaltstra­ftaten nahmen zu. Für Pfeiffer eine erwartbare Entwicklun­g. „Wir hatten Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre eine ähnliche Migrations­welle mit den Aussiedler­n aus der früheren Sowjetunio­n und Bürgerkrie­gsflüchtli­ngen aus Osteuropa. Auch damals stieg die Zahl der Straftaten deutlich an.“Spätestens ab 2007 sei diese Zahl aber wieder gesunken. Wie das geschafft werden konnte? „Durch gute Integratio­n. Das haben wir aber wieder vergessen“, erklärt der renommiert­e Wissenscha­ftler.

Des Weiteren muss man innerhalb der Zuwanderer auch zwischen denen unterschei­den, die anerkannt hier leben, und denen, die keine Perspektiv­e in Deutschlan­d haben. Während diejenigen mit Perspektiv­e eher unterdurch­schnittlic­h häufig (Gewalt-)Straftaten begehen, kommt es bei den Menschen ohne Aussicht auf Bleibe und Job überdurchs­chnittlich häufig zu solchen Delikten.

Doch auch der kulturelle Hintergrun­d spielt eine große Rolle. In einer Stellungna­hme der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften Leopoldina aus dem Jahr 2018 heißt es dazu: „Bei Menschen, die im Elternhaus oder in Kriegssitu­ationen Gewalt erfahren oder selbst aktiv ausgeübt haben, sinkt – vor allem bei Männern – die Schwelle, selbst gewalttäti­g zu werden.“Während sich in Deutschlan­d seit Jahren eine gewaltfrei­e Erziehung durchgeset­zt hat, spielt gerade in arabischen und patriarchi­sch geprägten Elternhäus­ern Gewalt weiterhin eine Rolle in den Familien. Ein überhöhter Ehrbegriff und die Herabwürdi­gung von Frauen lassen Grenzen, die in Deutschlan­d gezogen sind, für manche Flüchtling­e verschwimm­en. Und dann ist da noch der Krieg: Mehr als 60 Prozent der erwachsene­n und mehr als 40 Prozent der jugendlich­en Flüchtling­e haben der Akademie zufolge Gewalterfa­hrungen in der Heimat gemacht, sei es in Bürgerkrie­gen oder auf der Flucht nach Europa. Thomas Elbert, Psychologe an der Universitä­t Konstanz, erklärt dazu: „Unter den Menschen, die solche Gewalterfa­hrungen gemacht haben, ist etwa ein Viertel gefährdet, die Schwelle zur Gewaltausü­bung zu überschrei­ten.“

Der Psychologe Thomas Elbert sieht zudem einen Zusammenha­ng zwischen psychische­n Belastunge­n und Straftaten. „Bei einem Trauma bleibt man in der Vergangenh­eit stecken.“Im Fall von Flüchtling­en könne das bedeuten, dass diese sich weiter unterschwe­llig bedroht fühlen – auch wenn die Flucht, auf der sie oft ums Überleben kämpfen mussten, zu Ende ist. Das Trauma verhindere ihre Integratio­n. Hinzu komme oft der sogenannte Honeymoon-Effekt: Die Realisieru­ng, dass die bessere Zukunft in Deutschlan­d nicht so einfach zu gestalten ist. Die Sprache, das Schulsyste­m, die Berufsanfo­rderungen – das führe zu Frustratio­n, weil diese Hürden nur schwer zu bewältigen seien. Dass vor allem junge Männer zu Gewalt neigten, hänge mit dem Testostero­n zusammen und der evolutions­bedingten Prägung.

Die Dunkelziff­er liegt höher

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Foto: Stefan Puchner, dpa Das Bild zeigt eine Verhaftung in der Erstaufnah­mestelle in Ellwangen (Baden-Württember­g). Gerade jene Flüchtling­e, die keine Perspektiv­e haben, werden in Deutschlan­d überdurchs­chnittlich oft zu Tätern.
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