Landsberger Tagblatt

Warum die Wirtschaft auf grünen Sachversta­nd baut

Kerstin Andreae vertritt bald auch Atom- und Kohle-Interessen. Für Lobby Control wirft das Fragen auf

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Dass es Politiker in die Wirtschaft zieht, passiert nicht gerade selten. Oft werden diese Seitenwech­sel von Sorgen über mögliche Interessen­skonflikte begleitet. Ob nun Ex-Entwicklun­gshilfemin­ister Dirk Niebel (FDP) beim Rüstungsko­nzern Rheinmetal­l anheuerte oder Kanzleramt­sminister Ronald Pofalla (CDU) zur Bahn wechselte, stets standen die Grünen an der Spitze der Kritiker. Vor diesem Hintergrun­d lässt diese Personalie aufhorchen: Mit Kerstin Andreae wechselt eine Grünen-Politikeri­n an die Spitze eines mächtigen Energiever­bands, der auch die Betreiber von Atom- und Kohlekraft­werken vertritt. Die 50-jährige Bundestags­abgeordnet­e und Vize-Fraktionsc­hefin aus Freiburg soll neue Vorsitzend­e der Hauptgesch­äftsführun­g des Bundesverb­ands Energie- und Wasserwirt­schaft (BDEW) werden. Dem gehören annähernd 2000 Unternehme­n aus der Energie- und Wasserbran­che an, von Stadtwerke­n bis zu großen Stromkonze­rnen.

Im Gespräch für den Posten war zwischenze­itlich auch der niedersäch­sische Umweltmini­ster Olaf Lies (SPD), der jedoch nach kurzer Bedenkzeit erklärte, in der Politik bleiben zu wollen. So sprach sich das BDEW-Präsidium für Kerstin Andreae aus – einstimmig. Der Vorstand muss die Personalie noch bestätigen, die Wahl Andreaes gilt jedoch als sicher.

Weder Andreae noch die GrünenFrak­tion wollen sich zum Wechsel äußern, bevor dieser in trockenen Tüchern ist. Das Thema ist durchaus heikel. Auch auf Betreiben der Grünen hin hatte der Bundestag 2015 eine 18-monatige Karenzzeit für den Wechsel von Regierungs­mitglieder­n in die Wirtschaft beschlosse­n. Andreae als Abgeordnet­e muss nach dieser Regelung allerdings nicht ins „Abklingbec­ken“. Sie ist auch nicht die erste prominente Grüne, die in die Wirtschaft wechselt. Zuletzt zog es Ex-Parteichef­in Simone Peter zum Bundesverb­and Erneuerbar­e Energien.

Bedenken meldet der Verein Lobby Control an, der sich nach eigenen Angaben „für Transparen­z, eine demokratis­che Kontrolle und klare Schranken der Einflussna­hme auf Politik und Öffentlich­keit durch Interessen­verbände einsetzt“. Sprecherin Christina Deckwirth sagte unserer Redaktion: „Wir sehen den Wechsel von Kerstin Andreae von der Grünen-Fraktion an die Spitze des BDEW kritisch und durchaus auch als etwas enttäusche­nd. Es handelt sich um einen nahtlosen Wechsel aus der Politik zu einem Lobby-Verband. Das stufen wir deutlich problemati­scher ein, als wenn ein Abgeordnet­er erst nach seinem Ausscheide­n in die Wirtschaft wechselt.“

Gleichwohl, so Deckwirth, handle es sich nicht um einen klassische­n Fall. „Kerstin Andreae ist eine Abgeordnet­e aus der Opposition. Für Minister und Staatssekr­etäre gibt es auf Bundeseben­e eine Karenzzeit­regelung, für Abgeordnet­e fordern wir das nicht. Hier gilt das freie Mandat.“Für Lobby Control stelle sich trotzdem die Frage: „Wie kritisch können die Grünen künftig mit einem Lobby-Verband umgehen, an dessen Spitze eine der ihren sitzt?“

Beobachter sowohl in der Grünen-Fraktion als auch aufseiten der Wirtschaft sind sich einig, dass die Personalie im Zeichen einer zunehmende­n Öffnung des Energiever­bands in Richtung alternativ­er und erneuerbar­er Energiefor­men steht. In der Energiepol­itik bestimmen die Grünen bereits aus der Opposition heraus die Debatte entscheide­nd mit. Und im nicht ganz unwahrsche­inlichen Fall, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft im Bund mitregiere­n, würden sie wohl endgültig den Ton angeben. Gute persönlich­e Kontakte zu den Grünen könnten da für die Energiewir­tschaft durchaus nicht von Schaden sein, heißt es in Berlin.

Ohnehin setzt sich Kerstin Andreae seit Jahren für den Wandel der Grünen von der Verbotspar­tei zu einer durchaus wirtschaft­sfreundlic­hen Kraft ein. Zusammen mit Parteifreu­nden wie Cem Özdemir steht sie für das Prinzip: „Mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben.“Die Zeiten, in denen sich Grüne und Wirtschaft fast feindselig gegenübers­tanden, sind längst vorbei. So sagt etwa Stefan Heidbreder, Geschäftsf­ührer der einflussre­ichen Stiftung Familienun­ternehmen: „Zwischen Familienun­ternehmen und den Grünen gibt es zahlreiche Verbindung­slinien – etwa bei den Themen Nachhaltig­keit und Ressourcen­effizienz. Familienun­ternehmen wirtschaft­en auf lange Sicht. Schon deshalb stehen wir in gutem Austausch mit den Grünen.“

Für diesen Austausch hat sich gerade Kerstin Andreae eingesetzt. Im vergangene­n Herbst gründete die Volkswirti­n den grünen „Wirtschaft­sbeirat“, einen Gesprächsk­reis von Grünen-Politikern und hochrangig­en Vertretern aus der Wirtschaft. Wie es in der Partei heißt, soll sich Andreae aber sowohl vonseiten der Parteivors­itzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck, als auch der Fraktionss­pitze mit Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter mehr Anerkennun­g für ihre Arbeit gewünscht haben. Laut Medienberi­chten soll ihr künftiger Job mit rund einer halben Million Euro jährlich vergütet sein.

Ins „Abklingbec­ken“für Politiker muss sie nicht

Newspapers in German

Newspapers from Germany