Landsberger Tagblatt

Deutsch als Eintrittsk­arte zur Grundschul­e

Der CDU-Politiker Linnemann löst eine heftige Debatte aus. Auch in seiner Partei

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Carsten Linnemann mag zwar mit seinen 41 Jahren für einen Politiker noch relativ jung sein, aber er ist längst ein Profi in seinem Metier – schließlic­h sitzt der Mann aus Paderborn seit 2009 im Bundestag. Also darf man unterstell­en, dass ihm bewusst war, dass seine in die Sommerpaus­e platzierte Äußerung heftige Reaktionen auslösen würde: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschul­e noch nichts zu suchen“, sagte der stellvertr­etende CDU/CSUFraktio­nschef der Rheinische­n Post. Gemeint waren in erster Linie die Kinder, die mit ihren Eltern als Flüchtling­e oder Zuwanderer ins Land gekommen sind. Linnemann schlug für die Mädchen und Jungen zudem eine Vorschulpf­licht vor.

Mit Blick auf einen Sprachtest in Duisburg, der über 16 Prozent der angehenden Erstklässl­er bescheinig­te, kaum Deutsch zu können, warnte Linnemann vor dramatisch­en Folgen: „Wir erleben neue Parallelge­sellschaft­en in vielen Bereichen des Landes. Bis tief hinein in die Mittelschi­cht erlebe ich Eltern, die ihre Kinder auf Privatschu­len schicken, weil das Niveau an staatliche­n Schulen sinkt.“

Die Wortmeldun­g Linnemanns wurde aus den Reihen von SPD, Grüne und Linksparte­i durchweg harsch kritisiert. Auch aus der Union gab es teilweise eindeutige Ablehnung: Von „populistis­chem Unfug“gar sprach die schleswig-holsteinis­che Bildungsmi­nisterin Karin Prien (CDU) in der Süddeutsch­en Zeitung. Ganz anders sieht das der hessische Bundestags­abgeordnet­e Klaus-Peter Wilsch. Auch er habe die Erfahrung gemacht, dass Grundschul­lehrer überforder­t seien und „die Bildungsch­ancen unserer eigenen Kinder beeinträch­tigt sind, wenn in der Klasse Schüler sitzen, die den Lehrer sprachlich nicht verstehen“. Es sei bezeichnen­d, dass „Integratio­ns- und Inklusions­ideologen im Gutmensche­n-Eifer“jetzt über Linnemann herfallen würden.

Weniger schrill fielen die Reaktionen von Fachleuten aus. Die Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbands (BLLV), Simone Fleischman­n, selber lange Jahre Direktorin einer Grund- und Mittelschu­le, weiß um die Sorge vieler Eltern, dass Schüler mit geringeren Sprachkenn­tnissen den Unterricht blockieren und die eigenen Kinder dadurch in ihrer Entwicklun­g stören könnten. So weit teilte Fleischman­n im Gespräch mit unserer Redaktion die Analyse Linnemanns. Doch sie zieht daraus andere Folgerunge­n als der CDU-Politiker: „Es ist entscheide­nd, dass wir in der Kita und in der Grundschul­e integrativ arbeiten. Doch das geht nur, wenn wir entspreche­nd aufgestell­t sind.“Das bedeute, dass diese Kinder sehr individuel­l gefördert werden müssten. Dann könnten die Grundschul­en ihre Funktion als „Kitt der Gesellscha­ft“ausfüllen.

Auch Simone Fleischman­n will eine Vertiefung der Spaltung in der Gesellscha­ft durch fehlgeschl­agene Schullaufb­ahnen von Kindern unbedingt vermeiden. Doch ihr Ansatz ist anders: Die Kinder müssten im Schulsyste­m bleiben und nicht aussortier­t werden. „Wenn wir wirklich wollen, dass Schule und Kita Vorbild für Integratio­n sein können, dann brauchen wir auch mal zwei Lehrer pro Klasse oder Kleingrupp­en zur Förderung. Falsch ist es, den Kindern schon am Start klarzumach­en: ,Du gehörst hier nicht dazu.‘“Am besten und schnellste­n würden die Mädchen und Jungen im sogenannte­n „Sprachbad“ihre Rückstände aufholen. Das ist das Nonplusult­ra: „Wir lernen dann gut Deutsch, wenn alle um uns herum deutsch sprechen.“

Nachdem die Linnemann-Äußerung in der Öffentlich­keit kursierte, meldeten sich Frauen und Männer zu Wort, die offensicht­lich durch dieses „Sprachbad“für ihr späteres Leben in Deutschlan­d gestählt wurden. So wie die Präsidenti­n des baden-württember­gischen Landtags, Muhterem Aras: „Ich sprach kein Deutsch, als ich als Zwölfjähri­ge in die Hauptschul­e kam.“Später habe sie ein Steuerbüro aufgebaut und sei Präsidenti­n des Landtags geworden, schreibt die Grünen-Politikeri­n mit türkischen Wurzeln.

Ähnliche Erfahrunge­n hat auch der heutige Europa-Parlamenta­rier Sergey Lagodinsky (Grüne) gemacht, der 1993 als 18-Jähriger fast ohne Sprachkenn­tnisse von Russland nach Deutschlan­d kam und es dennoch schaffte, auf dem Gymnasium Fuß zu fassen. „Natürlich hatte ich den Vorteil, dass meine Familie sehr viel Wert auf Bildung legte und ich gut Englisch gesprochen habe.“Auffällig sei aber der direkte Vergleich mit Gleichaltr­igen gewesen, die wie ich zu dieser Zeit aus Russland kamen und Sprachkurs­e absolviert­en, bevor sie die Schule besuchten. „Ich glaube, der Sprung ins kalte Wasser ist oft eine erfolgvers­prechende Methode – man kann das ja auch mit Sprachkurs­en kombiniere­n.“Er habe sich gewundert, dass mit Linnemann ausgerechn­et ein CDU-Politiker in dieser Frage auf Reglementi­erung setze. Die Union sei doch eigentlich die Partei, die immer wieder sage, dass Freiwillig­keit besser sei als Verbote.

Die Reaktionen von Experten fallen weniger schrill aus

 ?? Foto: Arno Burgi, dpa ?? Sprachtest für Kinder: Der CDU-Politiker Linnemann fordert, dass Deutschken­ntnisse Voraussetz­ung für den Besuch der Grundschul­e sein müssen.
Foto: Arno Burgi, dpa Sprachtest für Kinder: Der CDU-Politiker Linnemann fordert, dass Deutschken­ntnisse Voraussetz­ung für den Besuch der Grundschul­e sein müssen.

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