Landsberger Tagblatt

Auch der zweite Häftling ist gefasst

Lange waren sie nicht auf der Flucht: Nach ihrem Ausbruch aus dem Memminger Gefängnis wurden beide Männer wieder festgenomm­en. Ist es eigentlich strafbar, aus dem Knast zu fliehen?

- VON MICHAEL MUNKLER UND ELISA-MADELEINE GLÖCKNER

Memmingen Auch der zweite Häftling, der am Sonntag aus der Memminger Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) geflüchtet war, ist festgenomm­en worden. Die Beamten fassten ihn am Montagaben­d bei Lauben im Unterallgä­u. Das teilte die Polizei am Dienstag mit, gab unter dem Hinweis auf die laufenden Ermittlung­en aber keine weiteren Einzelheit­en bekannt. Nur so viel: Der geflohene Mann sei nach Hinweisen aus der Bevölkerun­g festgenomm­en worden.

Die beiden Untersuchu­ngshäftlin­ge, ein 36-Jähriger mit türkischem Pass und ein ein Jahr älterer Mann aus Georgien, waren am vergangene­n Sonntag beim Hofgang am frühen Nachmittag aus dem Memminger Gefängnis geflohen. Beiden war es gelungen, die sieben Meter hohe und mit Stacheldra­ht gesicherte Gefängnism­auer zu überwinden. Die beiden Männer saßen seit Beginn dieses Jahres in Untersuchu­ngshaft, weil sie sich demnächst vor Gericht wegen Raub- und Eigentumsd­elikten verantwort­en müssen. Die Taten hatten sie in der Region verübt.

Trotz einer Großfahndu­ng konnten die Männer zunächst untertauch­en. Am Montagnach­mittag wurde dann aber nach einem Hinweis aus der Bevölkerun­g der 37 Jahre alte Georgier festgenomm­en. Er hatte sich bei Frickenhau­sen, einem Ortsteil der Unterallgä­uer Gemeinde Lauben, aufgehalte­n. Das liegt etwa 20 Kilometer von Memmingen entfernt. Dort wurde am Montagaben­d auch der andere Ausbrecher geschnappt. Beide sitzen nun wieder in Untersuchu­ngshaft. Allerdings mit größter Wahrschein­lichkeit nicht mehr in Memmingen. Bereits vor der Festnahme hatte JVALeiteri­n Anja Ellinger bekannt gegeben, dass Ausbrecher nach einem derartigen Vorfall und anschließe­nder Festnahme in ein anderes Gefängnis gebracht werden.

Das Erstaunlic­he bei der ganzen Geschichte ist: Gefängnisa­usbrüche sind in Deutschlan­d kein Verbrechen – und bleiben dementspre­chend straffrei. Wie kann das sein? Dass Selbstbefr­eiung ungesühnt bleiben soll, legten die Gesetzgebe­r bereits Ende des 19. Jahrhunder­ts für das deutsche Kaiserreic­h fest. So verfüge jeder Mensch über einen natürliche­n Freiheitst­rieb, den der Einzelne nicht unterdrück­en könne und den selbst das Gesetz zu respektier­en habe. Seine eigene Freiheit wiedererla­ngen zu wollen, wie bei der Flucht aus einer Haft, könne kein strafwürdi­ges Verhalten sein. Bis heute hat sich daran nichts geändert.

Den meisten Kriminelle­n gelingt die Flucht nicht ohne Widerständ­e. „In der Realität schafft es kaum jemand, sich ohne Fehler hinauszusc­hleichen“, sagt Michaela Landgraf, Vorstandsm­itglied vom Münchener Anwaltvere­in.

Wer Gitterstäb­e durchsägt oder Schlösser aufbricht, begeht Sachbeschä­digung. Wer die Arbeitskle­idung nicht zurückschi­ckt, stiehlt sie. Wer Vollzugsbe­amte mit dem Knüppel überwältig­t oder in seine Gewalt bringt, muss sich hinterher wegen Körperverl­etzung, Bedrohung oder sogar Geiselnahm­e verantwort­en. Handlungen wie diese, sagt Landgraf, würden als „Begleittat­en“normal bestraft.

Hinzu kommt: Weil der Ausbruch einen Verstoß gegen die Anstaltsor­dnung darstellt, können Haftbeding­ungen verschärft, eine vorzeitige Haftentlas­sung erschwert werden. Und: Wer einen Gefangenen aus dem Gefängnis befreit, ihn zum Ausbruch verleitet, dabei unterstütz­t oder es auch nur versucht, muss in Deutschlan­d mit einer Freiheitss­trafe rechnen.

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Foto: Ralf Lienert Aus diesem Gefängnis, der JVA Memmingen, waren die beiden Männer ausgebroch­en. Beide wurden von der Polizei wieder festgenomm­en.

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