Notre-Dame und das Blei
Die Bauarbeiten nach dem Großbrand sind derzeit ausgesetzt. Hat die Stadtverwaltung das Thema Giftbelastung kleingeredet?
Paris Der Vergleich ist gewagt – genau deshalb hat ihn Jacky Bonnemains aber wohl auch gezogen: Die Kommunikation der Behörden über die hohe Bleiverschmutzung nach dem Brand von Notre-Dame am 15. April sei ähnlich miserabel gewesen wie nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986, sagte Jacky Bonnemains, der Präsident der Umweltschutzorganisation „Robin des Bois“– zu deutsch: „Robin Hood“. Damals, 1986, hatte die Regierung allen Ernstes versichert, die radioaktiven Wolken hätten an der französischen Grenze haltgemacht.
Auch nach dem Feuer der Pariser Kathedrale, als rund 400 Tonnen Blei in der Hitze der Flammen schmolzen und sich in der Luft verteilten, sei beschwichtigend reagiert worden, sagt Bonnemains. Sein Verein hat deshalb Klage eingereicht: „In drei Monaten fanden wir ausreichend Beweise für die Trägheit der Behörden, um die Justiz einzuschalten.“Auch das Online-Magazin Mediapart berichtete bereits über starke Bleikonzentrationen unter anderem auf mehreren Schulhöfen und erhob schwere Vorwürfe gegen die Stadt, welche auf eine tiefgehende Reinigung und ausreichende Information der Bürger verzichtet habe. Diese widersprach heftig. „Von Anfang an verheimlichten wir nichts“, sagte die Grünen-Politikerin Anne Souyris, die im Pariser Rathaus für die Gesundheit zuständig ist. Die Blei-Konzentration in den Schulen im Umfeld liege unter den vorgeschriebenen Grenzwerten.
Trotzdem steigt die Nervosität. Der zuständige Präfekt von Paris ließ die Arbeiten in der Kathedrale bis 12. August aussetzen, weil es heißt, die Sicherheitsvorschriften für die Arbeiter dort seien nicht ausreichend beachtet worden. Seit Dienstag wird der Vorplatz vor der Kathedrale, dessen Bleiwerte die erlaubten Normen um ein Vielfaches überschreiten, einer gründlichen Reinigung unterzogen. Von 145 Stadtmitarbeitern, deren Blutwerte untersucht wurden, wies allerdings keiner ungewöhnliche Ergebnisse auf. Die Anwohner wurden trotzdem aufgefordert, ihre Wohnungen regelmäßig mit feuchten Lappen zu wischen. Demgegenüber warnte die auf Berufskrankheiten spezialisierte Soziologin Annie Thébaud-Mony vor den langfristigen Schäden durch hohe Blei-Konzentration im Blut: „Selbst bei sehr geringer Dosis bleibt stets ein Risiko bestehen.“
Ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften und Vereinen forderte sogar eine Sicherheitsglocke über Notre-Dame, um Arbeiter, Polizisten und Anwohner auf der Seine-Insel zu schützen. Vorgeschlagen wird zudem ein Zentrum für die Früherkennung von Blei-Belastungen. „Wenn sich der Zeitplan für den Wiederaufbau um ein paar Monate verspätet, ist das für uns kein Problem: Die Gesundheit hat Priorität“, sagte Gewerkschaftsvertreter Benoît Martin. Er spielte damit auf das Versprechen von Präsident Emmanuel Macron an, die Kathedrale werde in nur fünf Jahren „noch schöner als zuvor“wieder aufgebaut.