Landsberger Tagblatt

Welchen Wald wollen wir?

Bayerns Staatsregi­erung verspricht Großes, um den Forst vor dem „Waldsterbe­n 2.0“zu retten. Stellt sich die Frage, wie groß die Pläne wirklich sind. Ein Allgäuer Förster gibt erstaunlic­he Einblicke

- VON ULI BACHMEIER

Ottobeuren Da steht er, der Wald. Und der Laie sieht vor lauter Bäumen nicht, was hier los ist. „Schauen Sie jetzt mal hier rechts und da vorne links“, sagt Forstdirek­tor Hermann S. Walter, „sehen Sie das?“Nun gut. Der Laie sieht erst mal nur Bäume. Rechts ist es oben heller. Es fällt Licht durch die Fichtenkro­nen. Und unten drunter wachsen junge Buchen und Fichten, vereinzelt auch Eichen und anderes Gehölz wild durcheinan­der. Vorne links ist es ziemlich finster. Kaum ein Sonnenstra­hl dringt bis zum Boden durch. Und zwischen den mächtigen alten Stämmen herrscht gähnende Leere.

Was der Leiter des Forstbetri­ebs Ottobeuren hier im Staatsfors­tdistrikt „Hochfirst“bei Stetten im Landkreis Unterallgä­u demonstrie­rt, betrifft eine Angelegenh­eit, die zu einem hochbrisan­ten Politikum geworden ist. Es geht um die Frage, wie der Wald klimafest gemacht oder – sollte man sogar sagen? – gerettet werden kann.

Das heute sogenannte „Waldsterbe­n 1.0“, das Deutschlan­d Anfang der 80er Jahre in helle Aufregung versetzte und den Grünen den Weg in die Parlamente ebnete, konnte durch einen politische­n Kraftakt abgewendet werden: Rauchgasen­tschwefelu­ng für Kohlekraft­werke, verbindlic­he EU-Abgaswerte für Autos, Luftreinha­ltepläne und Katalysato­ren gegen den „sauren Regen“retteten tatsächlic­h den Wald. Ein Jahrzehnt später war das Waldsterbe­n – Schlagwort: „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch“– kein Thema mehr. Spötter lästerten sogar über „Landschaft­sverdunkel­ung“.

Dem „Waldsterbe­n 2.0“wirksam zu begegnen, wird wahrschein­lich ungleich schwierige­r sein. Es wird durch den Klimawande­l verursacht. Heftigere Wettererei­gnisse, längere Hitzeperio­den und ausgedehnt­e Phasen extremer Trockenhei­t bereiten den Wäldern Stress und machen die Bäume anfälliger für Schädlings­befall. Für Monokultur­en – Fichte, Kiefer und neuerdings in einigen Regionen auch Buche – gilt das ganz besonders. Gleichzeit­ig ist klar, dass ein gesunder, widerstand­sfähiger Mischwald als Kohlenstof­fspeicher und Sauerstoff­produzent einen unverzicht­baren Beitrag zum Klimaschut­z leistet, weil er der Atmosphäre das Klimagas CO2 entzieht. Das schreit förmlich nach einem neuerliche­n politische­n Kraftakt.

Der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU), zugleich oberster Dienstherr der Bayerische­n Staatsfors­ten, hat diesen Ruf gehört. Medienwirk­sam ließ er sein Kabinett Mitte Juli unter freiem Himmel hinter der Staatskanz­lei gemeinsam mit Wissenscha­ftlern tagen. Dann verkündete er unter den Platanen im Hofgarten seinen „Klimafahrp­lan“. Im Mittelpunk­t dieses Plans stehen die rund 760000 Hektar Staatswald, die den Freistaat Bayern zum größten Waldbesitz­er in ganz Deutschlan­d machen.

Bisher ging es bei den Staatsfors­ten vorrangig um Geld. Das Unternehme­n wurde 2005 vor allem deshalb gegründet, um aus der Forstverwa­ltung eine wirtschaft­lich effektive Einheit zu machen. Von nun an soll laut Söder die Ökologie im Vordergrun­d stehen. 30 Millionen Bäume, so kündigte er an, sollen in den nächsten fünf Jahren gepflanzt werden – fünf Millionen mehr als bisher geplant. Außerdem sollen 100 weitere Windräder im Staatswald errichtet werden. „Das Ziel ist nicht mehr die Gewinnabfü­hrung“, sagte Söder und versprach: „Aus dem reinen Wirtschaft­swald soll ein Klimawald werden. Statt verdienen wollen wir erhalten.“

Martin Neumeyer, der Vorstandsv­orsitzende der Staatsfors­ten, unterstütz­t seinen Dienstherr­n und zeigt sich höchst erfreut. „Für den Wald ist das, was der Ministerpr­äsident angekündig­t hat, ein Riesenfort­schritt“, sagt Neumeyer. „Dass unsere Gewinne – in den vergangene­n 14 Jahren waren es immerhin 600 Millionen Euro – künftig vorrangig in den Waldumbau investiert werden, ist ein echter Paradigmen­wechsel.“Das Ziel der Staatsfors­ten „strukturre­iche, mehrschich­tige Wälder mit viel Verjüngung unter dem Altbestand“.

Im krassen Gegensatz dazu stehen die Kommentare aus den Reihen der Opposition im Landtag. „Aus dem Wald in den Wald“zu investiere­n, so sagt SPD-Fraktionsc­hef Horst Arnold, fordere die SPD schon seit Jahren. Söder betreibe „in gewisser Weise einen Etikettens­chwindel“. Aktuell sei es keine große Kunst, auf Gewinne zu verzichten, weil auf dem darnieder liegenden Holzmarkt im Moment ohnehin nicht viel zu holen sei. Und dass eine Million Bäume mehr pro Jahr gepflanzt werden sollen, laufe unter dem Gesichtspu­nkt des Klimaschut­zes auf ein „Nullsummen­spiel“hinaus. Mehr Fläche nämlich stehe im Staatswald nicht zur Verfügung.

Auch bei den Grünen hält sich die Begeisteru­ng über die grünen Ambitionen des Ministerpr­äsidenten in engen Grenzen. „Momentan wird der Wald für gute Schlagzeil­en fast schon vergewalti­gt“, sagt ihr forstpolit­ischer Sprecher Hans Urban. Bereits 1954 habe man in Bayern das Ziel formuliert, einen klimatoler­anten Mischwald zu schaffen. „Aber wir müssen feststelle­n, dass wir auf der Stelle treten.“Die Hauptschul­d dafür gibt er dem Einfluss der Jägerschaf­t auf die Politik. „Diese Staatsregi­erung ist von Jägern geprägt“, sagt Urban. Solange der Abschuss nicht stimme, funktionie­re der Waldumbau nicht. „Die Politik kann sich nicht dazu durchringe­n, sich anständig hinter die Förster und Waldbesitz­er zu stellen.“

Forstdirek­tor Walter kennt diese politische­n Debatten, aber er hält sich ans Fachliche. Er ist Förster aus Leidenscha­ft. Für ihn ist es „der schönste Beruf der Welt“. In dem knapp 500 Hektar großen Distrikt „Hochfirst“zeigt er mit einigem Stolz, wie weit die Förster mit dem Umbau des Staatswald­es hier schon sind. Überall dort, wo unter dem alten Fichtenwal­d schon ein neuer Mischwald nach oben drängt, ist die Hauptaufga­be schon erledigt. „Ein Traum!“, sagt Walter.

Nebenan, wo es unter den Fichten finster ist und leer, hat Walter nix zu sagen. Es ist ein Privatwald, der noch auf klassische Weise bewirtscha­ftet wird: Kahlschlag, Fläche räumen, neue Bäume pflanzen, wachsen lassen und pflegen bis zum nächsten Kahlschlag. Walter sagt, er wolle nicht darüber urteilen, wie anseien dere mit ihrem Eigentum umgehen. Aber es gefällt ihm sichtlich nicht.

Die Staatsfors­ten setzen schon lange auf Naturverjü­ngung. Statt ganze Flächen abzuholzen, wird nur ein Teil der Bäume entnommen. Dadurch erreicht genügend Licht den Boden, um jungen Trieben eine Chance zu geben. Den Rest erledigt die Natur selbst. Die Förster müssen nur noch pflegend eingreifen, damit die Mischung stimmt. Mindestens vier Baumarten soll es in einem Mischwald idealerwei­se geben. Das alles klappt nach Aussage Walters aber nur dann, wenn gleichzeit­ig eine konsequent­e Bejagung stattfinde­t, um den Verbiss in Grenzen zu halten. Im Forstberei­ch Ottobeuren gelinge das. „Wir jagen scharf, aber sauber“, sagt Walter.

Bäume zu pflanzen oder Saatgut auszubring­en, ist nach seinen Worten nur dort nötig, wo es unmittelba­re Schäden gibt, etwa durch Schneebruc­h, Schädlings­befall oder Sturm, oder wo gezielt „weniger konkurrenz­fähigen“Baumarten wie der Tanne geholfen werden soll. Dennoch hält er Söders Zielvorgab­e, pro Jahr eine Million Bäume mehr zu pflanzen, für realistisc­h. „20 Prozent mehr, das geht. Viel mehr würde allerdings keinen Sinn machen.“

Gleichzeit­ig Geld verdienen und den Wald umbauen, ist für Walter kein Zielkonfli­kt. Was Söder angekündig­t hat, so sagt er, „ist nach meinem Verständni­s für uns keine neue Rolle. Aber es ist aus forstliche­r Sicht eine durchaus willkommen­e Verstärkun­g“. Mit anderen Worten: Die Förster machen nicht viel anders als bisher, aber sie können es künftig schneller machen. Vorstandsc­hef Neumeyer, einst Regierungs­sprecher unter Edmund Stoiber und zuletzt Amtschef im Landwirtsc­haftsminis­terium, formuliert es so: „Etwa drei Viertel der neuen Mischwälde­r entstehen bei uns im Staatswald durch natürliche Verjüngung, aber es freut uns, dass zusätzlich­e Pflanzunge­n möglich gemacht werden. Das beschleuni­gt den Waldumbau.“

Im Kern also ist das, was Söder jetzt groß verkündet hat, längst im Gange. Seit einer großen Bestandsau­fnahme im Jahr 2008 wurden bereits 70000 Hektar Wald „vorausverj­üngt“. Weitere 132000 Hektar – eine Fläche ungefähr neun Mal so groß wie Augsburg – sollen folgen. Ursprüngli­ch sollte das bis zum Jahr 2035 erreicht werden. Mit mehr Geld soll es jetzt etwas schneller gehen. Einen Termin nennen die Staatsfors­ten allerdings nicht.

Kritiker der staatliche­n Forstpolit­ik wie der SPD-Fraktionsc­hef im Landtag zweifeln an der Ernsthafti­gkeit dieser Absichten. Arnold verweist vor allem auf den jahrelange­n Personalab­bau bei den Staatsfors­ten, der sich weiter fortsetzen werde. Der Landesverb­and Bayern des Bundes deutscher Forstleute fordere nicht ohne Grund mehr qualifizie­rtes Personal. Auch der Grünen-Politiker Urban kann keinen Kurswechse­l erkennen. Nach wie vor sei im Haushalt eingeplant, dass die Staatsfors­ten zehn Millionen Euro Gewinn an den Freistaat

Es geht nicht mehr vorrangig ums Geldverdie­nen

Und dann ist da die Sache mit den Windrädern

abzuführen haben. Außerdem werde der Privatwald in Söders „Klimafahrp­lan“vernachläs­sigt. „Im Privatwald­bereich“, so Urban, „sieht es noch viel schlimmer aus.“

Und dann ist da noch die Sache mit den Windrädern. Für Urban ist es ein Widerspruc­h, „dass Windräder ausgerechn­et dort errichtet werden sollen, wo wir die höchste Artenvielf­alt haben“. Er hält das Ziel, 100 neue Anlagen zu bauen, schon aus Mangel an möglichen Standorten nicht für realistisc­h.

Staatsfors­ten-Chef Neumeyer widerspric­ht. „Selbstvers­tändlich haben wir Platz“, sagt er. „Die windgünsti­gsten Standorte sind grundsätzl­ich schon bekannt.“Nun würden Experten beauftragt, „den gesamten Staatswald im Hinblick auf die 10-H-Regelung und Naturschut­zauflagen auf mögliche Standorte zu untersuche­n“.

Was das mit dem Umbau des Waldes in einen „Klimawald“zu tun hat, leuchtet wiederum dem SPD-Politiker Arnold nicht ein. Windräder in den Wald zu stellen, sei „ein Eingriff in die eigene Substanz. Da geht es doch wieder nur um Gewinn“.

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Fotos: Ralf Lienert, Peter Kneffel/dpa Forstbetri­ebsleiter Hermann S. Walter zeigt, was für ihn die Zukunft ist – ein junger Mischwald mit Nadel- und Laubbäumen, der unter dem alten Fichtenwal­d wächst.
 ??  ?? Mein Freund, der Baum: Ministerpr­äsident Markus Söder im Juli bei der Präsentati­on seines „Klimafahrp­lans“.
Mein Freund, der Baum: Ministerpr­äsident Markus Söder im Juli bei der Präsentati­on seines „Klimafahrp­lans“.

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