Israel sucht Ausweg aus der Krise
Zum zweiten Mal stand das kleine Land vor der Wahl „Benny“oder „Bibi“. Herausforderer Gantz und Langzeit-Amtsinhaber Netanjahu lieferten sich ein hartes Rennen
Tel Aviv Die Spaltung der israelischen Gesellschaft in rechts und links, säkular und religiös, Juden und Araber zeigt sich nun auch im Ergebnis der Parlamentswahl. Wie schon vor fünf Monaten liegen die beiden führenden Parteien fast gleichauf: Die Likud-Partei des rechtsorientierten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erhält nach den TV-Prognosen 31 bis 33 Mandate, das Mitte-Bündnis von Ex-Militärchef Benny Gantz rund 32 bis 34. Weder das linke noch das rechte Lager erreichen damit am Dienstag eine Mehrheit – da der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman Netanjahu seine Unterstützung entzogen hat. Offizielle Ergebnisse werden an diesem Mittwochmorgen erwartet.
Zum zweiten Mal binnen fünf Monaten waren also die gut sechs Millionen wahlberechtigten Israelis aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen, denn erstmals in der Geschichte des jüdischen Staates kam nach der Wahl im Frühjahr keine Regierung zustande. Auch nach der gestrigen Wahl wird eine schwierige Regierungsbildung erwartet.
Schon nach der Wahl im April war es Ministerpräsident Benjamin Netanjahu trotz einer Mehrheit im rechtsreligiösen Lager in der Knesset nicht gelungen, erneut eine Regierung zu bilden. Hintergrund war ein Streit zwischen Lieberman und anderen, strengreligiösen Koalitionspartnern.
Lieberman forderte ein Gesetz, das schrittweise mehr strengreligiöse Männer zum Wehrdienst verpflichten sollte. Weil es nicht zu einer Einigung kam, stimmte das Parlament mehrheitlich für seine Auflösung und für eine erneute vorgezogene Wahl. Doch dieses Mal wurde Lieberman nicht mehr automatisch zum rechtsreligiösen Lager gezählt, weshalb Netanjahus Mehrheit für eine Fortsetzung seiner rechtsreligiösen Regierung bereits vor der Wahl in die Ferne rückte.
Lieberman kokettierte im Wahlkampf mit einer Rolle als „Königsmacher“und sprach sich anstatt eines Rechtsbündnisses für eine große Koalition von Likud mit dem Bündnis „Blau-Weiß“von Netanjahus wichtigstem Herausforderer, Ex-Militärchef Benny Gantz, aus. Er kündigte an, seine hauptsächlich von russischen Einwanderern gewählte Partei „Unser Zuhause Israel“würde die große Koalition unterstützen. „Blau-Weiß“-Chef Gantz hatte es sich zum Ziel gesetzt, als stärkste Partei den seit zehn Jahren durchgängig amtierenden „König Bibi“an der Spitze der Regierung abzulösen. Während des Wahlkampfes präsentierte sich der 60-jährige Vater von vier Kindern als Vertreter der Mehrheitsgesellschaft, der als Macher von außen in die Politik kommt – sauber, ohne Korruption. Das Motto: Einigung statt Spaltung.
Der Vorsitzende des MitteBündnisses „Blau-Weiß“hat sich für eine Friedensregelung mit den Palästinensern ausgesprochen. Gleichzeitig ist er dafür, dass die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland bei Israel bleiben. Von der israelischen Besatzung hat Gantz sich distanziert – allerdings gibt es kaum Unterschiede bei den Positionen von Likud und „BlauWeiß“in Sachen Sicherheit. Deshalb gilt eine Wiederbelebung des Friedensprozesses mit den Palästinensern in absehbarer Zukunft auch als unwahrscheinlich.
Kein Regierungschef hatte die israelische Politik bislang so lange geprägt wie der 69-jährige Benjamin Netanjahu. Der rechtskonservative Politiker war bereits von 1996 bis 1999 Ministerpräsident und war seit 2009 durchgängig im Amt. Vor zehn Jahren hatte Netanjahu sich noch klar für einen entmilitarisierten Palästinenserstaat ausgesprochen, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Seitdem ist „Bibi“aber beständig nach rechts gerückt: Vor dieser Wahl kündigte er etwa die Annexion großer Teile des besetzten Westjordanlands an.
Eines seiner wichtigsten Ziele lautete, expansive Bestrebungen und eine nukleare Aufrüstung von Israels Erzfeind Iran zu stoppen. Im Wahlkampf ließ sich Netanjahu an der Seite von US-Präsident Donald Trump plakatieren: „Netanjahu spielt in einer anderen Liga“, hieß es auf den Bannern, um in dem Kopf-an-Kopf-Rennen auf eine außenpolitische Unerfahrenheit seines Herausforderers Gantz anzuspielen.
Der „Blau-Weiß“-Chef hielt im Wahlkampf Netanjahu dagegen seine großen Probleme mit der Justiz vor. Israels Generalstaatsanwalt will in drei Fällen wegen Korruption Anklage gegen Netanjahu erheben. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug.
Kaum neue Chancen für Friedensprozess erwartet