Wie lange bleibt Joe Kaeser noch?
Der Vertrag des Siemens-Chefs läuft bis 2021. Der Manager ist dann 63 Jahre alt. Wie es mit ihm weitergeht, ist offen. Sogar ein vorzeitiger Abgang scheint möglich. Viel hängt von den Karriereplanungen eines anderen ab
München Dem Siemens-Konzern stehen Wochen einschneidender Entscheidungen bevor. Schon auf der heutigen Aufsichtsratssitzung könnten erste Weichen gestellt werden, wie es an der Spitze des Unternehmens weitergeht. Am Ende geht es auch um die Zukunft des Unternehmens-Chefs selbst. Zwar hat Joe Kaeser den Gipfel seiner Macht erreicht und den erfolgreichen Münchner Elektro-Riesen radikal umgebaut. Dies bedeutet aber aus Sicht einflussreicher Vertreter im Aufsichtsrat nicht, dass die KaeserFestspiele nun ewig so weiter gehen.
Hinter den Kulissen wird spekuliert, die Chef-Kariere des 62-Jährigen neige sich dem Ende entgegen. Der Vertrag des Niederbayern läuft bis Anfang 2021. So wäre der Manager 63 und etwa sieben Monate alt, wenn ein neuer Zwei-Jahresvertrag ansteht. Zuletzt wurden Zweifel laut, ob eine solche Zugabe im Interesse des Siemens-Chefs sei. Denn Kaeser wolle, wie es heißt, nach seiner Zeit an der Konzern-Spitze in den Aufsichtsrat gehen. Doch das geht in deutschen Aktiengesellschaften nur noch mit einem Aufschrei des Entsetzens über die Bühne. Die Zeiten, als der einstige SieHeinrich von Pierer direkt an die Spitze des Kontrollgremiums vorstieß, sind weitgehend vorbei. Solche Blitzwechsel gelten längst nicht mehr mit den Grundsätzen guter Unternehmensführung vereinbar. Demnach müssen Manager erst eine zweijährige Abkühlphase durchlaufen, ehe sie zum Kontrolleur aufsteigen können. Für Kaeser heißt das: Wenn er zwei Jahre dranhängt, kann er erst mit 67 Jahren den neuen Traum-Job im Siemens-Aufsichtsrat ergattern.
Deswegen munkelt mancher in der Konzern-Zentrale am Wittelsbacherplatz in München schon, der Chef könnte vor dem Ende des bisherigen Vertrages seinen Rückzug verkünden, damit er früher „abgekühlt“ist. So weit ist es noch nicht. Denn nach Informationen dieser Redaktion versuchen einflussreiche Fraktionen im Siemens-Aufsichtsrat, den bisherigen Chef des Kontrollgremiums, Jim Hagemann Snabe, zu bewegen, länger zu bleiben.
Der 53-jährige Däne und frühere SAP-Chef genießt Ansehen unter den Aufsichtsräten. Trotz aller Verdienste, die sich Kaeser um Siemens erworben hat, wird es für ihn schwer, die Aufsichtsrats-Spitze zu erklimmen. Manchmal scheint es fast, als wollten Kräfte in dem Gremium verhindern, dass Kaeser zu lange bleibt. Auf den Siemens-Strategen wartet eine knifflige Aufgabe.
Wie es mit Kaeser weitergeht, hängt auch von den Karriereplanungen seines Weggefährten Michael Sen ab, der ihm, was sicheres Auftreten und Selbstbewusstsein betrifft, nicht unähnlich wirkt. Der 50-Jährige ist wie Kaeser ein Siemens-Eigengewächs und strebt seit jeher nach Höherem. Die zentrale Frage lautet: Wie hoch soll es gehen? Wenn der 50-Jährige will, kann er die künftig eigenständige Energiesparte, das Herz von Siemens, führen. Greift der Manager nach dem Amt, wird sich ihm wohl niemand in den Weg stellen. Doch reicht das Sen? Er hat sich von einer Stammhauslehre bei Siemens nach oben gearbeitet und ist, als es im eigenen Konzern für ihn auch wegen Kaeser nicht mehr schnell genug nach oben ging, vorübergehend zum Energieversorger Eon geflüchtet.
Manch einer traut es Sen zu, sich nicht mit der Energiesparte zu begnügen. Demnach erhebt der Betriebswirt gleich die Hand für die Kaeser-Nachfolge. Damit würde er aber wohl zentrale Spieler im Aufsichtsrat verärgern, die lieber den promovierten Physiker Roland Busch auf dem Siemens-Thron sämens-Boss hen. Der 54-Jährige sitzt wie Sen schon im Konzern-Vorstand. Ihm wird am ehesten zugetraut, das Unternehmen nach diversen Abspaltungen (Osram, Gesundheitssparte, Energiebereich) erfolgreich zu führen, reduziert sich Siemens künftig vor allem auf digitale Bereiche und Industrie-Automatisierung. Da ist ein Technik-Experte gefragt.
Auf alle Fälle entscheidet der Aufsichtsrat zunächst einmal, wer den „Powerhouse“genannten Energiebereich führt. Später kommt die Kaeser-Nachfolge auf die Tagesordnung. Das kann noch dauern.
Erst wenn feststeht, ob Busch oder Sen die Macht bei Siemens übernimmt, lässt sich, wie in München zu hören ist, klären, wer auf die Personalchefin Janina Kugel, 49, folgt. Die Managerin verlässt den Konzern Anfang 2020. Für das Amt sucht Siemens wieder eine Frau. Zwischen dieser und dem künftige Chef müsse die Chemie stimmen, was zuletzt beim einstigen TraumPaar Kaeser und Kugel nicht mehr der Fall gewesen sein soll.
Und Kaeser? Der, frotzeln manche, könnte durch seine Politik des radikalen Abspaltens, also die Siemens-Schrumpfung, am Ende erfolgreich sich selbst abgeschafft haben. Wenn es für ihn dumm läuft, ist es ihm weder vergönnt, seinen Vertrag als Konzern-Chef zu verlängern noch im Aufsichtsrat am Glanz von Siemens zu arbeiten. Dann könnte er, wie wegen seiner meinungsstarken Twitter-Nachrichten immer wieder gemutmaßt wird, in die Politik wechseln. Am Ende war es in der Vergangenheit aber immer falsch, Kaeser zu unterschätzen. Wenn sich der Blick anderer auf die Ecke vor ihnen richtet, denkt der Super-Stratege schon an die übernächste.