Netanjahus Macht dämmert
Nach Wahlschlappe kämpft Premier ums politische Überleben
Als Benjamin Netanjahu in der Wahlnacht vor seine Anhänger tritt, kann er nur noch heiser krächzen. Mit aller Macht hatte Israels 69-jähriger Regierungschef bei der Parlamentswahl bis zur letzten Minute um jede Stimme gekämpft – und dann doch eine Schlappe erlitten. Am Tag nach der Wahl zeichnet sich eine schwierige Pattsituation ohne klaren Sieger ab. Weder Netanjahus rechts-religiöses Lager noch das Mitte-Links-Lager „BlauWeiß“seines Herausforderers Benny Gantz hat die notwendige Mehrheit im Parlament für eine Regierungsbildung.
Als wahrscheinlichster Ausweg gilt eine Große Koalition. Dies bedeutet, dass „Bibi“sich nicht wie erhofft auf eine rechts-religiöse Regierung stützen kann, die ihn sicher mit Immunität vor Strafverfolgung in seiner Korruptionsaffäre geschützt hätte. Das Nein zu einer Immunitätsregierung sei eine gute Nachricht für Israels Demokratie, sagt die Politikexpertin Einat Wilf, „denn Immunität für einen Ministerpräsidenten im Amt würde einen perversen Ansporn schaffen, für immer an der Macht zu bleiben, um dem Gefängnis zu entgehen“.
Trotz allem feiern Netanjahus Anhänger ihn in der Wahlnacht als „den nächsten Regierungschef“und rufen immer wieder: „Wir wollen keine Einheitsregierung!“Aber genau dies erscheint momentan als realistischste Option. Netanjahus Rivalen, dem Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, fällt dabei wie erwartet die Rolle des Königsmachers zu. Nach Hochrechnungen konnte Lieberman bei der zweiten Wahl binnen eines halben Jahres die Zahl der Mandate seiner Partei „Unser Haus Israel“fast verdoppeln und kommt auf neun Mandate. Er forderte noch in der Wahlnacht eine breite „nationale und liberale Regierung“mit seiner Partei, dem Likud und „Blau-Weiß“.
Netanjahus Herausforderer Benny Gantz trat im Wahlkampf betont zurückhaltend auf, er hat sich die Einigung der gespaltenen israelischen Gesellschaft auf die Fahne geschrieben. Die Frage ist nun, ob Gantz dabei bleibt, dass eine Große Koalition wegen der Korruptionsvorwürfe nur ohne Netanjahu als Regierungschef möglich ist, oder ob er einer Rotation zustimmen würde, wie bei einer Großen Koalition aus dem Jahre 1984. Damals wurde erst Schimon Peres von der Arbeitspartei zwei Jahre lang Regierungschef, danach übernahm Likud-Chef Izchak Schamir für zwei Jahre.
Vor den Kameras stehen die führenden Likud-Mitglieder noch geschlossen hinter Netanjahu. Doch hinter den Kulissen rumore es heftig, meint Politikwissenschaftler Emmanuel Navon. Die Führungsriege sei „König Bibi“treu geblieben, solange er immer neue Wahlsiege erzielt habe. „Aber nach seiner Niederlage beginnt die Rebellion.“Viele seien frustriert, dass Netanjahu über zwei Jahrzehnte rücksichtslos parteiinterne Gegner ausgeschaltet habe. „Jeder mit politischen Ambitionen im Likud wartet nur darauf, das Messer zu zücken und ihn loszuwerden.“Sara Lemel, dpa