Große Geister, große Irrtümer
Rudolf Virchow war ein einflussreicher Mann. Er war Deutschlands angesehenster Mediziner seiner Zeit. Ein bedeutender Pathologe, berühmt als Erforscher der Thrombose und ein Pionier der Sozialhygiene. Und wenn er sich irrte, dann tat er auch das in großem Stil.
Da war zum Beispiel dieser Johann Carl Fuhlrott. Der Gymnasiallehrer und Urzeit-Forscher hatte merkwürdige Schädelknochen zur Begutachtung erhalten, die im Neandertal bei Düsseldorf gefunden worden waren. 1859 veröffentlichte Fuhlrott seinen Befund: Diese Knochen seien Überreste eines vorzeitlichen Menschen.
Das ließ der berühmte Professor Virchow dem schlichten, in der Welt der Wissenschaft wenig bekannten Dr. Fuhlrott nicht durchgehen. Er machte seine Expertise als Pathologe geltend und erkannte messerscharf, dass es sich bei den Knochen um krankhafte Verformungen eines durchaus neuzeitlichen Menschen handele. Irrtum. Es war das 40000 Jahre alte Exemplar einer Menschengattung, die als Neandertaler Weltruhm erlangte.
Virchow mochte den Neandertaler nicht, weil er auch nichts von Charles Darwin und seiner Evolutionstheorie hielt. Darum verpasste er einem 30000 Jahre alten CromagnonKnochen, also den Überrest eines frühen modernen Menschen, der in der Schwäbischen Alb gefunden wurde, ein fast jugendliches Alter von 200 Jahren.
Auch wenn es um Zeitgenossen ging, hatte Virchow nicht immer eine glückliche Hand. Das bekam sein junger Kollege und ehemaliger Student Robert Koch zu spüren, als dieser mit der Entdeckung winziger Krankheitserreger überraschte. Koch wies nach, dass Bakterien für Infektionen verantwortlich sind und empfahl als hygienische Vorbeugungsmaßnahme gründliches Händewaschen. Virchow, der Neandertaler-Skeptiker, machte sich auch über Kochs „Bazillen-Zirkus“lustig und verweigerte dieser bedeutenden Entdeckung seine höheren Weihen. Und Robert Koch? Der leistete sich seinerseits einen fatalen Irrtum. Der Entdecker des Tuberkulose-Erregers verkündete, ein Heilmittel gegen die Volkskrankheit TBC gefunden zu haben: das Tuberkulin. Eine Sensation. Leider erwies sich das Heilmittel als keineswegs heilsam, ja sogar als schädlich. Doch Robert Koch hielt hartnäckig an seinem Tuberkulin fest. So hartnäckig wie Rudolf Virchow den Neandertaler und den „Bazillen-Zirkus“ablehnte.