Deutschlands Banken schließen tausende von Filialen
Professor Karlheinz Sonntag leitet den Lehrstuhl für Arbeitspsychologie an der Uni Heidelberg. Er hat untersucht, wie belastend die Digitalisierung ist und weiß, was schützt
Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat seinen Index für gute Arbeit vorgestellt. Ein Ergebnis: 53 Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich gehetzt. Ist das alarmierend, Professor Sonntag? Prof. Karlheinz Sonntag: Es ist zunächst mal ein Hinweis, dass eine Arbeitsverdichtung stattfindet. Das hat nicht nur die Gewerkschaftsstudie gezeigt. Das zeigen auch Studien, an denen deutlich mehr Beschäftigte teilgenommen haben. Das liegt daran, dass wir heute oft viele Aufgaben gleichzeitig erledigen müssen. Das Stichwort ist Multitasking. Des Weiteren haben die Arbeitsunterbrechungen zugenommen. Und auch die Informationsdichte und die Geschwindigkeit, mit der die Informationen verarbeitet werden müssen, sind gestiegen. Das liegt zum einen an der Digitalisierung. Aber sie ist nicht der einzige Grund für eine Arbeitsverdichtung. Die Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes zeigt ja auch, dass die Arbeitsverdichtung oft in Branchen stattfindet, in denen Personal fehlt. In den Branchen Erziehung, Gastgewerbe und im Gesundheitswesen, und hier vor allem in der Pflege.
Es heißt, die Digitalisierung verdichtet die Arbeit. Was ist da dran? Sonntag: Auch das belegen Studien. Es gibt zum Beispiel den Digitalisierungsmonitor des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung aus dem Jahr 2016. Dort haben 65 Prozent der Befragten angegeben, dass sie eine Verdichtung der Arbeit wahrnehmen. Die Befragten gaben an, dass sie immer mehr Aufgaben in der gleichen Zeit erledigen müssen und dass die Aufgaben immer schneller zu bewältigen sind. Diese Arbeitsverdichtung durch Digitalisierung betrifft vor allem IT-Fachkräfte, Menschen in Führungspositionen und in wissenschaftlichen Berufen.
Welche Belastung entsteht durch Digitalisierung?
Sonntag: Zum einen nimmt die Informationsmenge zu. Diese Infortreffen immer schneller ein und sie müssen direkt verarbeitet werden. Und zum anderen kommt es häufiger zu Arbeitsunterbrechung. Zum Beispiel dadurch, dass die Systeme nicht stabil arbeiten. Sie stürzen immer wieder ab. Oder es treten technische Störungen auf. Bis dann alles wieder läuft, dauert es. Das führt zu Frustration und das Stresslevel steigt.
Die ideale Arbeitswelt wäre also eine, in der man eine Aufgabe beginnt und ohne Unterbrechung fertig macht. Sonntag: Ja, ideal vielleicht. Aber das gab es noch nie. Selbst ohne Digitalisierung konnte man nicht ohne Unterbrechungen arbeiten. So hat etwa jemand an die Bürotür geklopft und wollte etwas wissen.
Digitalisierung soll ja vieles leichter machen. Stattdessen fühlen sich viele gestresst. Woher kommt das? Sonntag: Es stimmt ja auch. Digitalisierung bietet auch Chancen. Arbeit kann zum Beispiel flexibler und mobiler gestaltet werden. Mitarbeiter und Führungskräfte können leichter im Homeoffice arbeiten oder auch mal abends. Das ist ein
Vorteil. Guckt man sich dagegen an, wie viele E-Mails jemand bekommt und damit umgehen muss, ist das durchaus belastend. Das Gute ist allerdings, Mitarbeiter und Führungskräfte haben das selbst in der Hand. Sie können es grundsätzlich steuern, wann geantwortet wird, wie wichtig etwas ist und wer in Kopie gesetzt wird. Das setzt aber in hohem Maße Selbstdisziplin voraus.
Woran merkt der Einzelne, dass es ihm zu viel wird?
Sonntag: Dabei ist es ganz wichtig, dass man nicht nur die Arbeit anschaut. Negative Beanspruchungsfolgen wie Burnout oder Stresserleben entstehen nicht nur daraus, dass es in der Arbeit psychische Belastungsfaktoren gibt. Der Mensch hat verschiedene Lebensbereiche: Arbeit, Partnerschaft, Hobbys und Freizeitaktivitäten, Freundeskreis und Familie. Auf all diesen Feldern kann Stress entstehen. Wenn es also nicht nur in der Arbeit „stressig“ist, sondern auch beispielsweise in der Partnerschaft etwas nicht gut läuft und wenn diese Stressoren über längere Zeit andauern, dann wird es irgendwann zu viel. Wie sehr sich anmationen dere Faktoren auf das Stressempfinden auswirken, merkt man zum Beispiel schon daran, wie man sich fühlt, wenn man morgens im Stau gestanden ist. Oder wenn ein sonniger Tag den Arbeitsbeginn verschönert. Wann es dem Einzelnen zu viel wird, lässt sich nicht pauschalisieren. Jeder geht anders mit Stress um.
Wie lässt sich dem vorbeugen? Sonntag: Da gibt es zwei Aspekte: Der eine ist Eigenverantwortung. Es gibt einen schönen Begriff, das sogenannte „Fear of Missing out“– kurz Fomo. Das ist die Angst, die wir alle kennen, etwas zu verpassen. Wir haben das Gefühl, wir müssen überall dabei sein. Dagegen muss man angehen. Man muss auch mal sagen können: Da bin ich jetzt nicht dabei. Das ist für mich jetzt nicht wichtig. Den privaten Terminkalender auszumisten, dafür ist jeder selbst verantwortlich. Das muss man abwägen und auch mal Nein sagen können.
Und der andere Aspekt?
Sonntag: Der liegt beim Arbeitgeber. So ist nach dem Arbeitsschutzgesetz die Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen vorgeschrieben, um mögliche gesundheitsgefährdende Risiken zu identifizieren und abzubauen. Ein weiterer Punkt ist die Wertschätzung des Mitarbeiters. Dazu gehört auch, akuten familiären Problemen aufgeschlossen gegenüberzustehen. Zudem sollten Angestellte über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen, um bei Arbeitsverdichtung ihre Arbeit entsprechend gestalten zu können. Das gilt für alle Mitarbeiter und Führungskräfte. Auch das mittlere Management mag es nicht, wenn ihnen etwas von der Geschäftsführung oder vom Vorstand vorgesetzt wird, ohne dass sie in bestimmte Entscheidungsprozesse miteinbezogen wurden. Es geht also immer um wertschätzende Interaktion zwischen Mitarbeiter und Führungskraft auf allen Hierarchieebenen.
Interview: Christina Heller