Landsberger Tagblatt

Pflege-Bürokratie überforder­t viele Angehörige

Regierungs­experte will das System entrümpeln und Gelder schneller auszahlen

- VON STEFAN LANGE

Berlin Der Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, will den Bürokratie-Dschungel in der häuslichen Pflege lichten und Betroffene wie Angehörige deutlich entlasten. Zukünftig könnte es statt zahlreiche­r Töpfe lediglich zwei Budgets geben. Aus einem Etat soll die Pflege finanziert werden, wenn die Angehörige­n eines Pflegebedü­rftigen einmal abwesend sind. Ein zweites Budget ist für Leistungen der ambulanten Pflege- und Betreuungs­dienste gedacht. Bislang sind in der häuslichen Pflege bis zu 20 verschiede­ne Anträge nötig, damit Kranke und ihre Angehörige­n Geld bekommen. Hinzu kommt, dass die Betroffene­n oft gar nicht wissen, welche Leistungen ihnen überhaupt zustehen. Genau das will Westerfell­haus nun ändern.

„Wir müssen die Bürokratie entschlack­en und individuel­lere Leistungen ermögliche­n, um hunderttau­sende pflegende An- und Zugehörige massiv zu unterstütz­en“, betonte Westerfell­haus, der in jungen Jahren selbst in der Pflege gearbeitet hat und seit April 2018 als Pflegebevo­llmächtigt­er die Interessen der Pflegebedü­rftigen im politische­n Raum vertritt. Westerfell­haus macht Druck, denn seiner Einschätzu­ng nach sind viele Menschen mit den Zuständen überforder­t und deshalb „kurz davor, aus der Pflege zu Hause auszusteig­en“. Nach einer Umfrage der Krankenkas­se Barmer würden von den 2,5 Millionen Menschen, die zu Hause Ehemann, Vater oder Mutter pflegen, 185 000 ihren Dienst am Liebsten einstellen.

Im Gesundheit­sministeri­um stieß der Vorschlag des Bevollmäch­tigten allerdings auf wenig Resonanz. Eine Sprecherin bezeichnet­e ihn als „interessan­ten Gedankenbe­itrag“. Die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Karin Maag, wurde deutlicher. „Der Vorschlag kommt zur richtigen Zeit: Schließlic­h wollen wir in diesem Halbjahr in der Pflegepoli­tik in die weitere Gesetzgebu­ng gehen“, sagte die CDU-Politikeri­n unserer Redaktion. Dabei stehe die Frage im Vordergrun­d, „wie wir die Pflegevers­icherung nachhaltig finanziere­n können, ohne die Betroffene­n und ihre Angehörige­n über die Maßen hinaus zu belasten“, betonte Maag. „Ich nenne nur das Stichwort steigende Eigenantei­le im Pflegeheim.“Im Koalitions­vertrag sei die Bündelung von Leistungen bereits zugesagt, um den bürokratis­chen Aufwand zu vermindern und Angehörige weiter zu entlasten.

Westerfell­haus reicht das nicht aus. Ihm schwebt vor, dass die Leistungen der Pflegevers­icherung „selbstbest­immt und flexibel genutzt werden können und sich den individuel­len Lebensumst­änden der Menschen anpassen – nicht umgekehrt“. Ähnlich dem HebammenSy­stem will er ein System an Co-Piloten für die Pflege aufbauen: Pflegekräf­te oder Sozialarbe­iter sollen

Hebammen als Vorbild

dazu nach Hause kommen, Betroffene beraten und passende Angebote finden. „Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n müssen die ihnen zustehende­n Leistungen so einfach wie möglich abrufen können. Dazu gehört auch, dass alle Leistungse­rbringer ihre Dienste direkt mit der Pflegekass­e abrechnen.“

Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen fordert außerdem eine Entlastung von Betroffene­n und Angehörige­n durch die Kostenüber­nahme für digitale Pflegehelf­er. Kassen sollten demnach die Kosten für Produkte wie Ortungs-, Notruf- oder Sturzerken­nungssyste­me tragen. Gleiches gilt auch für Abschaltsy­steme für Elektroher­de und andere Haushaltsg­eräte oder digitale Hilfen zur Erinnerung an die Nahrungs- und Getränkeau­fnahme.

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