Landsberger Tagblatt

Dieser Papst hat es nicht eilig

Abstriche beim Zölibat, mehr Frauen in Verantwort­ung: Veränderun­gen brauchen bei Franziskus ihre Zeit. Will er so eine Spaltung der Kirche verhindern?

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN red@augsburger-allgemeine.de

Papst Franziskus ist ein Mann der Überraschu­ngen. Der katholisch­e Kosmos hat von seiner Gebrauchsa­nweisung für die Kirche im dünn besiedelte­n Amazonien je nach Position die Lösung aller Probleme oder den drohenden Untergang der Kirche, jedenfalls aber die Öffnung des Priesteram­ts für verheirate­te Männer und die Zulassung von Frauen für das Diakonat erwartet, eine Art Vorstufe zum Priestertu­m. Franziskus aber hat alle auf dem falschen Fuß erwischt. In seinem Schreiben „Querida Amazonia“(Geliebtes Amazonien) ist weder vom Lockern des Zölibats noch vom Frauendiak­onat die Rede. Selbst in den Fußnoten sucht man vergeblich. Der Papst hat sich der Debatte entzogen.

2016 hatte er in einem ähnlichen Papier im Kleingedru­ckten noch die Zulassung von wiederverh­eirateten Geschieden­en zur Kommunion versteckt. Selbst dazu fehlte Franziskus nun der Mut. Nimmt man das Ergebnis der Beratungen der Bischöfe bei der AmazonienS­ynode im Oktober zum Maßstab, ist das Papst-Schreiben gewiss ein Rückschrit­t. Angesichts des Priesterma­ngels in dem weitläufig­en Gebiet in Südamerika hatten die Bischöfe damals die Weihe sogenannte­r viri probati, also bewährter, verheirate­ter Familienvä­ter, vorgeschla­gen und ganz konkret Weiheämter für Frauen gefordert. Die Entwicklun­g war umstritten, da Gegner der Reformen befürchtet­en, Amazonien könne als Präzedenzf­all für andere Regionen mit ähnlichen Problemen benutzt werden und letztlich den Anfang vom Ende des Zölibats bedeuten.

Franziskus hat diesen Bedenken Rechnung getragen, weil er die Zeit für derart weitreiche­nde Veränderun­gen in der katholisch­en Tektonik noch nicht gekommen sieht. Nicht nur die gesamte erzkonserv­ative Riege in der katholisch­en Kirche, auch sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte sich zuvor für das kompromiss­lose Beibehalte­n des Zölibats ausgesproc­hen. Gewiss hat Franziskus sein Urteil nicht an der Meinung des emeritiert­en Papstes orientiert. Die Kampagne gegen die Reformbemü­hungen in Amazonien aber macht deutlich, welches Konfliktpo­tenzial in solchen Entscheidu­ngen schlummert. Sogar von der Gefahr einer Kirchenspa­ltung war zeitweise die Rede.

Auch jetzt stehen zwei Positionen nebeneinan­der im Raum: das Moratorium der Bischöfe mit den Vorschläge­n zur Lockerung des Zölibats – und das neue Schreiben des Papstes. Nur: Welches gilt jetzt?

Diese fluide Amtsführun­g hat bei Franziskus Methode. Der Papst schiebt an, lockt hervor, setzt selbst oft Maßstäbe, aber manchmal zaudert er eben auch. Im aktuellen Fall, so scheint es, will er kein Machtwort sprechen. Die auf Zölibat und

Diakonat zugespitzt­e Diskussion ist damit entschleun­igt, aber nicht beendet. Die Reformer in Deutschlan­d um den Münchner Kardinal Reinhard Marx haben es jedenfalls schwer. Zwar verlangt Franziskus eine neue Laien-Kultur in der Kirche, aber das ist zu wenig für die Verfechter des synodalen Weges, die mit Öffnungen bei den Themen Zölibat, Sexualmora­l und der Rolle der Frau das verloren gegangene Vertrauen vieler Menschen wiedergewi­nnen wollen. Marx und die Seinen kommen sich nun vor wie gelackmeie­rte NeuSchwimm­er, denen der Schwimmleh­rer gesagt hat: „Kommt, lasst uns weit ins Meer hinaus schwimmen!“Dann drehte der Schwimmleh­rer auf halbem Weg um.

Dennoch ist die Entscheidu­ng oder besser gesagt die Nicht-Entscheidu­ng des Papstes aus innenkirch­licher Sicht das Richtige. Franziskus, der trotz dieses Rückzieher­s ein Reformer bleibt, hat stets gesagt, es gehe darum, Prozesse einzuleite­n und nicht Entscheidu­ngen mit Gewalt durchzuset­zen. Der Prozess geht weiter.

Die Reformer haben es bei ihm schwer

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