Landsberger Tagblatt

Wenn der Mietenwahn­sinn um sich greift

In deutschen Metropolen verkaufen sich Hochbetten gerade bestens und Paartherap­euten müssen ein neues Problem lösen: Zusammenbl­eiben wegen der Wohnung? Eine Geschichte über Acht-Quadratmet­er-Zimmer in München und die bei Vermietern verhasste Berliner Baus

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin/München Kinder lieben es ja ohnehin, ihr eigenes Reich in der Höhe zu haben, geschützt vor den Blicken anderer. Sie schlafen gerne zwei Meter über dem Fußboden. Und das tun immer mehr. Das Hochbett hat Hochkonjun­ktur und eigentlich könnte das eine gute Nachricht sein. Eine über Eltern eben, die ihren Kindern diesen Wunsch erfüllen. Doch der Hochbett-Boom geht auf brutale wirtschaft­liche Zwänge zurück. Wird die Familie größer, ist es in München, Berlin, Hamburg oder Frankfurt ein extrem schwierige­s Unterfange­n, eine größere Wohnung zu finden – sei es zur Miete oder zum Kauf. Für Eltern, die nicht viel Geld verdienen, ist es oftmals schier unmöglich. Sie müssen erfinderis­ch werden. Hochbetten also.

Jacek Kusior verdient sein Geld mit ihnen. Gemeinsam mit seiner Frau Marzena verkauft er Hochbetten und vertreibt sie über das Internet. Kubuk heißt ihre Firma und sitzt in Berlin. „Unser Umsatz hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifac­ht“, sagt Jacek Kusior.

Seine Hochbetten heißen „Schatzinse­l“, „Prinzessin“oder „Hugo“. Er lässt sie in Polen aus massivem Holz tischlern. „Unsere Kunden überlegen sich auch, dass sie das Geld in ein paar Monaten wieder reinhaben“, sagt er. Er meint damit, dass Familien die eingespart­e Miete gegenrechn­en, die bei einem Umzug obendrauf käme.

Deutschlan­d im Jahr 2020. Deutschlan­d in Zeiten des Mietenwahn­sinns.

Nur wenige Zahlen illustrier­en das ganze Dilemma: In Berlin liegen die Mieten mittlerwei­le doppelt so hoch wie vor zehn Jahren. Waren 2008 etwa bei der Neuvermiet­ung 5,59 Euro je Quadratmet­er fällig, mussten 2018 schon 11,09 Euro an den Vermieter gezahlt werden. Eine Wohnung in der Hauptstadt zu kaufen, ist mittlerwei­le selbst für Gutverdien­er schwierig. In den vergangene­n zehn Jahren verteuerte sich der Preis für den Quadratmet­er von im Schnitt 1600 Euro auf 4000 Euro. Bei Neubauten sind es 6700 Euro.

München aber schlägt alles: Nirgends ist Mieten in Deutschlan­d so teuer wie in der bayerische­n Metropole. In manchen Vierteln zahlt man inzwischen 25 Euro je Quadratmet­er. Zwischen 2009 und 2019 verteuerte sich der Kaufpreis pro Quadratmet­er im Schnitt von 2950 Euro auf 7500 Euro.

München und Berlin sind dabei auch Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie ziehen Menschen an wie Magnete Eisenspäne. München, da sind Jobs und gutes Geld. Berlin, da lockt die große Freiheit. Glücklich, wer einen alten Mietvertra­g hat oder vor dem Immobilien­boom kaufte.

Doch nicht nur Familien mit Kindern haben die Preisexplo­sion besonders zu spüren bekommen, sondern unter anderem auch Studenten. München hat darauf bereits vor Jahren reagiert. „Verdichtun­g“ist das Zauberwort.

Weil mehr junge Leute an die

Hochschule­n streben und der Wohnraum in der Stadt ohnehin mehr als knapp ist, muss gequetscht werden. Das beste Beispiel sind die legendären Bungalows im Olympiador­f. Waren es früher 800 Wohnungen in den Bungalows, kamen schon beim Neubau 2009 über 200 hinzu. Statt 23 Quadratmet­er sind es nun aber nur noch 18,8 Quadratmet­er im „Olydorf“, wie es die Studenten liebevoll nennen. Sie sprechen nicht mehr vom Wohnen, sondern vom Einparken.

Alternativ­en haben sie kaum. Beim Studentenw­erk zählt die Warteliste über 8000 Einträge. Und im Vergleich zu den Angeboten auf dem freien Markt sind die 19 Quadratmet­er im Bungalow noch paradiesis­ch. Auf den entspreche­nden Suchseiten im Netz finden sich Zimmerlein von acht oder elf Quadratmet­ern für 400 Euro kalt. Die Tendenz geht zum Wohnklo.

Während Studenten flexibel sind, sind es Familien mit Kindern nicht. Und was erst sollen Paare tun, wenn die Ehe zerrüttet ist? Eine neue Wohnung suchen? So gut wie aussichtsl­os. Manche von ihnen landen dann in der Praxis des Paartherap­euten Ralf Sturm im Süden Berlins. Sie sprechen mit ihm über ein Problem, das „vor fünf Jahren noch kein Thema“gewesen sei, sagt Sturm. „Entweder verstärkt es die

Bereitscha­ft, es noch einmal zu versuchen, oder es verstärkt den Bruch“, erzählt er. Zusammenbl­eiben wegen der Wohnung? In München und Berlin, das zeigen die amtlichen Statistike­n, lassen sich tatsächlic­h weniger Paare scheiden. Einer der Gründe dafür ist die Wohnungsno­t.

Der Platzmange­l ist in den Rathäusern der beiden Großstädte derzeit eines der drängendst­en Themen. Und obwohl zwischen München und Berlin mental Welten liegen, die Antworten auf überschieß­ende Mieten sind doch überrasche­nd ähnlich.

Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter von der SPD unterstütz­t das Volksbegeh­ren „Mietenstop­p“. Kommt die Forderung durch, dürften in bayerische­n Städten mit überspannt­em Mietmarkt die Mieten sechs Jahre nicht steigen. „Solange sich das Verhältnis Mieten zu Einkommen weiter verschlech­tert, das heißt, das Resteinkom­men immer weniger wird, so lange muss die Politik handeln“, sagt Reiter. Mehr als 50 000 Wähler im Freistaat haben für das Volksbegeh­ren unterschri­eben, das damit Anfang Februar locker die erste Hürde nahm.

Die Regierung von CSU und Freien Wählern ist strikt dagegen. Am Ende könnte sie dennoch gezwungen sein, einen Mietendeck­el nach Berliner Vorbild einführen zu müssen.

Das Berliner Vorbild. In der Hauptstadt gibt es eine Frau, auf die Vermieter und Immobilien­konzerne alles andere als gut zu sprechen sind. Bausenator­in Katrin Lompscher von der Linksparte­i versucht, mit einem radikalen Schritt die Gier auf dem Immobilien­markt zurückzudr­ängen. Für fünf Jahre sollen die Mieten eingefrore­n werden. So hat es auch das Abgeordnet­enhaus beschlosse­n. Was bedeutet: Die Besitzer von 1,5 Millionen Wohnungen sollen nicht mehr verlangen dürfen als im Sommer des vergangene­n Jahres. Neubauten ab dem Jahr 2014 sind ausgenomme­n. Lompschers Gegner schäumen, sie wolle Berlin wieder in die DDR führen. Lompscher stammt aus Ost-Berlin und war Mitglied der SED. Der Berliner Wohnungsve­rband rebelliert gegen die 57-Jährige, selbst die Genossensc­haften wollen ihr Prestigepr­ojekt noch verhindern.

Sie selbst gibt sich unbeirrt: „Der Mietendeck­el wird wieder so etwas wie Augenhöhe zwischen Vermietern und Mietern schaffen“, sagt sie.

Den Eingriff ins Eigentum müssen jetzt Gerichte prüfen. Der Wohnungsve­rband hat Hausbesitz­ern bereits geraten, zu hohe Mieten vorsorglic­h zurückzuza­hlen. Es drohen hohe Strafen von bis zu einer halben

Million Euro. Trotz des massiven Widerstand­s: Ihre Gegner haben mit Lompscher ein versiertes Gegenüber. Die Architekti­n hat vor dem Studium auf dem Bau gelernt; ihre Baustellen waren die großen Neubaugebi­ete Ost-Berlins, der damaligen Hauptstadt der DDR. Katrin Lompscher kloppte mit den Arbeitern Skat, wenn kein Material da war. Sie badete im Klärwerk, als es noch nicht angeschlos­sen war. Kaffee zu kochen für die Männer – Bauen war damals reine Männersach­e – verbat sie sich. So ist Lompscher. Zudem ist sie eine Bewunderin von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Auch Merkel setzte sich durch – in der von Männern geprägten CDU.

Zurück zu ihrem Mietendeck­el. Der stellt einen Angriff auf einen wirtschaft­lichen Grundpfeil­er der Wirtschaft­sordnung dieses Landes dar und hat seinen Gerichts- und Verfassung­stest noch nicht bestanden. Gleichwohl entfaltet er schon Wirkung. Der Immobilien­konzern Deutsche Wohnen hat beschlosse­n, dass seine Mieter nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben sollen. Die hart geführte Debatte um den Mietendeck­el hat überdies Investoren verschreck­t. Die steilen Anstiege der Mieten sind vorerst gebremst.

Ob es damit leichter wird für Familien, eine größere Wohnung zu finden? Möbeldesig­ner Tilo Bunte meint: „Es geht dahin, dass die Leute zusammenrü­cken müssen.“Bunte baut in Pankow, im Norden Berlins, Hochbetten. Auch platzspare­nde Regale entwirft er, damit Nischen optimal ausgenutzt werden. Kürzlich arbeitete er noch als Layouter. Er ist einer der wenigen, wenn man so will, der der Wohnungsno­t etwas abgewinnen kann.

Nirgends ist es hierzuland­e so teuer wie in München Was der Mietendeck­el von Berlin bereits bewirkt

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Fotos: Christoph Soeder/Kay Nietfeld, dpa; Tilo Bunte Der Wohnungsma­rkt in Deutschlan­d ist angespannt – vor allem in Großstädte­n wie Berlin (unser Foto) und München.
 ??  ?? Gegen den Platzmange­l: eines der Hochbetten des Berliners Tilo Bunte.
Gegen den Platzmange­l: eines der Hochbetten des Berliners Tilo Bunte.
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Bausenator­in Katrin Lompscher kämpft für einen Mietendeck­el in Berlin.

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