Wenn der Mietenwahnsinn um sich greift
In deutschen Metropolen verkaufen sich Hochbetten gerade bestens und Paartherapeuten müssen ein neues Problem lösen: Zusammenbleiben wegen der Wohnung? Eine Geschichte über Acht-Quadratmeter-Zimmer in München und die bei Vermietern verhasste Berliner Baus
Berlin/München Kinder lieben es ja ohnehin, ihr eigenes Reich in der Höhe zu haben, geschützt vor den Blicken anderer. Sie schlafen gerne zwei Meter über dem Fußboden. Und das tun immer mehr. Das Hochbett hat Hochkonjunktur und eigentlich könnte das eine gute Nachricht sein. Eine über Eltern eben, die ihren Kindern diesen Wunsch erfüllen. Doch der Hochbett-Boom geht auf brutale wirtschaftliche Zwänge zurück. Wird die Familie größer, ist es in München, Berlin, Hamburg oder Frankfurt ein extrem schwieriges Unterfangen, eine größere Wohnung zu finden – sei es zur Miete oder zum Kauf. Für Eltern, die nicht viel Geld verdienen, ist es oftmals schier unmöglich. Sie müssen erfinderisch werden. Hochbetten also.
Jacek Kusior verdient sein Geld mit ihnen. Gemeinsam mit seiner Frau Marzena verkauft er Hochbetten und vertreibt sie über das Internet. Kubuk heißt ihre Firma und sitzt in Berlin. „Unser Umsatz hat sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht“, sagt Jacek Kusior.
Seine Hochbetten heißen „Schatzinsel“, „Prinzessin“oder „Hugo“. Er lässt sie in Polen aus massivem Holz tischlern. „Unsere Kunden überlegen sich auch, dass sie das Geld in ein paar Monaten wieder reinhaben“, sagt er. Er meint damit, dass Familien die eingesparte Miete gegenrechnen, die bei einem Umzug obendrauf käme.
Deutschland im Jahr 2020. Deutschland in Zeiten des Mietenwahnsinns.
Nur wenige Zahlen illustrieren das ganze Dilemma: In Berlin liegen die Mieten mittlerweile doppelt so hoch wie vor zehn Jahren. Waren 2008 etwa bei der Neuvermietung 5,59 Euro je Quadratmeter fällig, mussten 2018 schon 11,09 Euro an den Vermieter gezahlt werden. Eine Wohnung in der Hauptstadt zu kaufen, ist mittlerweile selbst für Gutverdiener schwierig. In den vergangenen zehn Jahren verteuerte sich der Preis für den Quadratmeter von im Schnitt 1600 Euro auf 4000 Euro. Bei Neubauten sind es 6700 Euro.
München aber schlägt alles: Nirgends ist Mieten in Deutschland so teuer wie in der bayerischen Metropole. In manchen Vierteln zahlt man inzwischen 25 Euro je Quadratmeter. Zwischen 2009 und 2019 verteuerte sich der Kaufpreis pro Quadratmeter im Schnitt von 2950 Euro auf 7500 Euro.
München und Berlin sind dabei auch Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie ziehen Menschen an wie Magnete Eisenspäne. München, da sind Jobs und gutes Geld. Berlin, da lockt die große Freiheit. Glücklich, wer einen alten Mietvertrag hat oder vor dem Immobilienboom kaufte.
Doch nicht nur Familien mit Kindern haben die Preisexplosion besonders zu spüren bekommen, sondern unter anderem auch Studenten. München hat darauf bereits vor Jahren reagiert. „Verdichtung“ist das Zauberwort.
Weil mehr junge Leute an die
Hochschulen streben und der Wohnraum in der Stadt ohnehin mehr als knapp ist, muss gequetscht werden. Das beste Beispiel sind die legendären Bungalows im Olympiadorf. Waren es früher 800 Wohnungen in den Bungalows, kamen schon beim Neubau 2009 über 200 hinzu. Statt 23 Quadratmeter sind es nun aber nur noch 18,8 Quadratmeter im „Olydorf“, wie es die Studenten liebevoll nennen. Sie sprechen nicht mehr vom Wohnen, sondern vom Einparken.
Alternativen haben sie kaum. Beim Studentenwerk zählt die Warteliste über 8000 Einträge. Und im Vergleich zu den Angeboten auf dem freien Markt sind die 19 Quadratmeter im Bungalow noch paradiesisch. Auf den entsprechenden Suchseiten im Netz finden sich Zimmerlein von acht oder elf Quadratmetern für 400 Euro kalt. Die Tendenz geht zum Wohnklo.
Während Studenten flexibel sind, sind es Familien mit Kindern nicht. Und was erst sollen Paare tun, wenn die Ehe zerrüttet ist? Eine neue Wohnung suchen? So gut wie aussichtslos. Manche von ihnen landen dann in der Praxis des Paartherapeuten Ralf Sturm im Süden Berlins. Sie sprechen mit ihm über ein Problem, das „vor fünf Jahren noch kein Thema“gewesen sei, sagt Sturm. „Entweder verstärkt es die
Bereitschaft, es noch einmal zu versuchen, oder es verstärkt den Bruch“, erzählt er. Zusammenbleiben wegen der Wohnung? In München und Berlin, das zeigen die amtlichen Statistiken, lassen sich tatsächlich weniger Paare scheiden. Einer der Gründe dafür ist die Wohnungsnot.
Der Platzmangel ist in den Rathäusern der beiden Großstädte derzeit eines der drängendsten Themen. Und obwohl zwischen München und Berlin mental Welten liegen, die Antworten auf überschießende Mieten sind doch überraschend ähnlich.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD unterstützt das Volksbegehren „Mietenstopp“. Kommt die Forderung durch, dürften in bayerischen Städten mit überspanntem Mietmarkt die Mieten sechs Jahre nicht steigen. „Solange sich das Verhältnis Mieten zu Einkommen weiter verschlechtert, das heißt, das Resteinkommen immer weniger wird, so lange muss die Politik handeln“, sagt Reiter. Mehr als 50 000 Wähler im Freistaat haben für das Volksbegehren unterschrieben, das damit Anfang Februar locker die erste Hürde nahm.
Die Regierung von CSU und Freien Wählern ist strikt dagegen. Am Ende könnte sie dennoch gezwungen sein, einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild einführen zu müssen.
Das Berliner Vorbild. In der Hauptstadt gibt es eine Frau, auf die Vermieter und Immobilienkonzerne alles andere als gut zu sprechen sind. Bausenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei versucht, mit einem radikalen Schritt die Gier auf dem Immobilienmarkt zurückzudrängen. Für fünf Jahre sollen die Mieten eingefroren werden. So hat es auch das Abgeordnetenhaus beschlossen. Was bedeutet: Die Besitzer von 1,5 Millionen Wohnungen sollen nicht mehr verlangen dürfen als im Sommer des vergangenen Jahres. Neubauten ab dem Jahr 2014 sind ausgenommen. Lompschers Gegner schäumen, sie wolle Berlin wieder in die DDR führen. Lompscher stammt aus Ost-Berlin und war Mitglied der SED. Der Berliner Wohnungsverband rebelliert gegen die 57-Jährige, selbst die Genossenschaften wollen ihr Prestigeprojekt noch verhindern.
Sie selbst gibt sich unbeirrt: „Der Mietendeckel wird wieder so etwas wie Augenhöhe zwischen Vermietern und Mietern schaffen“, sagt sie.
Den Eingriff ins Eigentum müssen jetzt Gerichte prüfen. Der Wohnungsverband hat Hausbesitzern bereits geraten, zu hohe Mieten vorsorglich zurückzuzahlen. Es drohen hohe Strafen von bis zu einer halben
Million Euro. Trotz des massiven Widerstands: Ihre Gegner haben mit Lompscher ein versiertes Gegenüber. Die Architektin hat vor dem Studium auf dem Bau gelernt; ihre Baustellen waren die großen Neubaugebiete Ost-Berlins, der damaligen Hauptstadt der DDR. Katrin Lompscher kloppte mit den Arbeitern Skat, wenn kein Material da war. Sie badete im Klärwerk, als es noch nicht angeschlossen war. Kaffee zu kochen für die Männer – Bauen war damals reine Männersache – verbat sie sich. So ist Lompscher. Zudem ist sie eine Bewunderin von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch Merkel setzte sich durch – in der von Männern geprägten CDU.
Zurück zu ihrem Mietendeckel. Der stellt einen Angriff auf einen wirtschaftlichen Grundpfeiler der Wirtschaftsordnung dieses Landes dar und hat seinen Gerichts- und Verfassungstest noch nicht bestanden. Gleichwohl entfaltet er schon Wirkung. Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen hat beschlossen, dass seine Mieter nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben sollen. Die hart geführte Debatte um den Mietendeckel hat überdies Investoren verschreckt. Die steilen Anstiege der Mieten sind vorerst gebremst.
Ob es damit leichter wird für Familien, eine größere Wohnung zu finden? Möbeldesigner Tilo Bunte meint: „Es geht dahin, dass die Leute zusammenrücken müssen.“Bunte baut in Pankow, im Norden Berlins, Hochbetten. Auch platzsparende Regale entwirft er, damit Nischen optimal ausgenutzt werden. Kürzlich arbeitete er noch als Layouter. Er ist einer der wenigen, wenn man so will, der der Wohnungsnot etwas abgewinnen kann.
Nirgends ist es hierzulande so teuer wie in München Was der Mietendeckel von Berlin bereits bewirkt