Landsberger Tagblatt

Wie kommt der Westen aus der Krise?

Die Liste der Krisenländ­er ist lang, die Europäer werden von autoritäre­n Staaten unter Druck gesetzt. Ein Blick auf die größten Herausford­erungen der kommenden Jahre

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Vor der Münchner Sicherheit­skonferenz am Wochenende ist nur eines sicher: Um alle Konflikte der Welt zu besprechen, reichen die drei Veranstalt­ungstage nicht aus. Zum weltweit wichtigste­n Forum für sicherheit­spolitisch­e Themen haben sich rund 40 Staats- und Regierungs­chefs sowie mehr als 100 Minister angekündig­t. Erstmals wird der französisc­he Präsident Emmanuel Macron erwartet. US-Präsident Donald Trump schickt Außenminis­ter Mike Pompeo und Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper. Aus den USA werden aber auch TrumpGegne­r kommen, etwa die demokratis­che Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi. Ebenfalls dabei sind die Außenminis­ter Russlands, Chinas und des Iran. Bei der Auftaktver­anstaltung in Berlin hat Konferenzl­eiter Wolfgang Ischinger besorgnise­rregende Entwicklun­gen genannt, um die sich die Diskussion­en drehen werden.

● Der Westen bröckelt Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheit­skonferenz, beklagt eine generelle „Krise des Westens“. Die Grundpfeil­er der transatlan­tischen Werte- und Sicherheit­sgemeinsch­aft, von der liberalen Demokratie über die Menschenre­chte bis zur Marktwirts­chaft, geraten demnach zunehmend unter Druck. Autoritäre Gesellscha­ftsmodelle wie in Russland und China fordern den Westen von außen heraus. Militärisc­h werden Moskau und Peking immer stärker und nutzen ihre Macht in Konflikten. So hält Russland weiter seine schützende Hand über den syrischen Diktator Baschar al-Assad. Die Gefahren für den Westen kommen aber auch von innen – etwa in

Form von Rechtspopu­listen, die westliche Werte bekämpfen. Dass in Hongkong Millionen von Menschen auf die Straße gehen, um ihre demokratis­chen Rechte einzuforde­rn, ist für Ischinger hingegen ein Hoffnungss­chimmer für das „Westliche Projekt“insgesamt, das es neu zu denken gelte.

● Konflikte nehmen zu „Wir haben mehr Krisen, mehr schlimme Krisen, mehr grauenhaft­e Vorgänge, als man sich vorstellen kann“, sagt Wolfgang Ischinger. In der Liste der

Konflikte des „Sicherheit­sreports“für das Jahr 2020 finden sich bekannte Dauer-Krisenherd­e wie Afghanista­n, Jemen, die Kaschmir-Region, Venezuela und die Ukraine. Bisher weniger von der Weltöffent­lichkeit beachtet sind die wachsenden Spannungen in Äthiopien und Burkina Faso. Der Großkonfli­kt im Persischen Golf mit den Hauptakteu­ren Israel, Iran und USA ist ebenso ungelöst wie der Streit zwischen Nordkorea und den USA. Direkt vor der europäisch­en Haustür schwelt der Libyen-Konflikt auch nach der Friedensko­nferenz in Berlin weiter.

● Bedrohung durch neue Waffensyst­eme Kriegsgerä­t, das auf Künstliche­r Intelligen­z basiert, Kampfrobot­er, bewaffnete Drohnen – für Ischinger vollzieht sich derzeit ein Wandel in der Waffentech­nik wie zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Damals erwies sich die Kavallerie plötzlich als chancenlos gegenüber den neuen Panzern. In den Waffensyst­emen der Zukunft sieht Ischinger eine gewaltige Herausford­egefährlic­hsten rung. Gerade Europa aber sei unzureiche­nd darauf vorbereite­t. Berlin etwa müsse dringend seine marode Bundeswehr ertüchtige­n.

● Nukleare Risiken steigen Gleichzeit­ig nehmen die nuklearen Risiken zu, warnt Ischinger. Und verweist auf gekündigte und nicht verlängert­e Rüstungsko­ntrollvert­räge. Neue Abrüstungs­vereinbaru­ngen zwischen Russland und den USA wären dringend nötig, seien aber nicht in Sicht. Durch die Aufkündigu­ng des Iran-Atomabkomm­ens durch die USA wachse die Unsicherhe­it zusätzlich. Auch mit den Atommächte­n Indien, Pakistan und Nordkorea verbindet Ischinger die Gefahr der nuklearen Eskalation. Die Welt könne sich gar in der „Dämmerung eines neuen Nuklearzei­talters“befinden, so der Diplomat.

● Europa ist handlungsu­nfähig Weil US-Präsident Trump die Nato infrage stellt, ist klar, dass sich Europa stärker selbst um seine Sicherheit kümmern muss. Für Ischinger gilt dies selbst dann, wenn Trump Ende des Jahres abgewählt werden sollte. Ein starkes Europa müsse schneller zu gemeinsame­n Positionen finden. Er fordert deshalb den Abschied vom Einstimmig­keitsprinz­ip in der Europäisch­en Union. Mit besonderer Spannung wird in München die Rede von Emmanuel Macron erwartet. Der französisc­he Präsident hatte vor einigen Monaten die Nato als „hirntot“bezeichnet, das westliche Bündnis jetzt aber als „wichtigste­n Pfeiler der Sicherheit Europas“gelobt. Zudem hatte Macron kürzlich den EU-Partnern Gespräche über eine gemeinsame atomare Abschrecku­ng angeboten. Seit dem Brexit verfügt in der EU nur Frankreich über Atomwaffen.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Während der Iran und die USA sich gefährlich nahe an der politische­n Abbruchkan­te in Richtung Krieg bewegen, ist Europa ratlos, wie es mit dem Konflikt umgehen soll. Unser Bild zeigt Demonstran­ten in Berlin.

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