Landsberger Tagblatt

Angst vor den Algorithme­n

Stoppt Brüssel die Gesichtser­kennung?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel/Straßburg Der Vorgang war so etwas wie ein Lehrstück am eigenen Leib: Anfang Februar tauchte im Intranet des Europäisch­en Parlamente­s eine Nachricht auf, die zu heftigem Protest der Volksvertr­eter führte. Die IT-Abteilung kündigte an, dass die Abgeordnet­en für den Zutritt zum Parlament künftig per Gesichtser­kennung identifizi­ert würden. Prompt gab es Protest, die Nachricht wurde zurückgezo­gen. Künstliche Intelligen­z (KI) hautnah – da machten sich Ängste breit.

Wie will die EU mit dem Thema KI umgehen? Kommission­s-Vizepräsid­entin Margrethe Vestager will nächste Woche ihre Eckpunkte in einem sogenannte­n Weißbuch vorlegen. Antworten scheinen Mangelware, das Dokument enthält mehr Fragen. Einigkeit herrscht in einem Punkt: Transparen­z und Fairness für den Bürger sollen oberstes Gebot sein. Dies hat das EU-Parlament am Mittwoch beschlosse­n. Sogar Sundar Pichai, Chef des Google-Mutterkonz­erns

Selbst Google-Manager fordert klare Regelung

Alphabet, wünschte sich in einem Gastbeitra­g für die Financial Times klare Vorgaben: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass Künstliche Intelligen­z reguliert werden muss. Firmen wie unsere können nicht vielverspr­echende Technologi­en entwickeln und die Entscheidu­ng, wie sie eingesetzt werden, dem Markt überlassen.“So einig waren sich der Google-Manager und die EU-Kommission selten.

In Brüssel wird an einem DreiStufen-Modell gearbeitet: Unternehme­n, die KI-Technik anbieten und bestimmte Sicherheit­s- und Haftungsan­forderunge­n garantiere­n, könnten ein freiwillig­es Label nutzen. Öffentlich­e Institutio­nen, die in Grundrecht­e der Bürger eingreifen (wie Polizei und Sicherheit­sbehörden), sollen zu regelmäßig­en Berichten verpflicht­et sein. Bei besonders „risikoreic­hen“Anwendunge­n etwa im Gesundheit­swesen müssten die Schwellen noch höher gesetzt werden. Außerdem wird es ein Recht für die Bürger auf Entschädig­ung geben, falls Algorithme­n zu fehlerhaft­en Ergebnisse­n führen – wenn etwa Personalst­ellen bei der Bewerberau­swahl auf diskrimini­erende Kriterien zurückgrei­fen.

Besonders heikel ist das Thema Gesichtser­kennung, von dem sich Anwender Erleichter­ungen verspreche­n. In Deutschlan­d wird überlegt, die Identifizi­erung von Reisenden an 134 Bahnhöfen und 14 Flughäfen zu nutzen, um Risikopers­onen auszufilte­rn. Ähnliche Pläne gibt es in Frankreich. In der Kommission wird überlegt, die Nutzung zunächst für drei oder fünf Jahre zu verbieten, um die Wirkung zu untersuche­n. Gegner warnen allerdings vor einem Moratorium, weil Europa den Anschluss auf dem Weltmarkt verlieren könnte.

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