Landsberger Tagblatt

Das schwierige Gedenken an Dresden 1945

Alliierte Bomber legten die Stadt vor 75 Jahren in Schutt und Asche. Wie die Augenzeugi­n Hella Müller-Rech das Inferno erlebt hat und die Literaturw­issenschaf­tlerin Marina Münkler heute um eine angemessen­e Form der Trauer ringt

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg/Dresden Viele deutsche Städte wie Hamburg oder Berlin waren Anfang 1945 bereits schwer gezeichnet durch Bombenangr­iffe. Nicht so Dresden. Natürlich, auch dort gab es Mangel und Verzweiflu­ng, zudem waren viele Flüchtling­e aus dem Osten in der Stadt untergebra­cht. Doch die berückend schöne Barockstad­t mit Zwinger, Semperoper, Frauenkirc­he und Schloss war weitgehend intakt. Nur zweimal attackiert­en alliierte Bomber die Stadt, ohne schwere Schäden zu verursache­n. So herrschte zum Jahreswech­sel 1944/45 eher die Sorge vor der heranrücke­nden Roten Armee als die Furcht vor einer drohenden Vernichtun­g aus der Luft.

Die Hoffnung, glimpflich davonzukom­men, währte bis zum 13. Februar 1945. Am Nachmittag dieses Faschingsd­ienstags heulten die Motoren von rund 250 Lancester-Bombern auf. Die Maschinen starteten von verschiede­nen britischen Flugplätze­n aus. Ihr Ziel: Dresden.

Als dort am Abend Voralarm ausgelöst wurde, hatte die zwölfjähri­ge Hella keine Vorstellun­g davon, was sie und ihrer Familie am späten Abend und in der Nacht bevorstehe­n würde. „Ich lebte mit meinen Eltern und meinem kleinen Bruder zur Miete in einer großzügige­n Wohnung in einem Haus aus der Gründerzei­t, zusammen mit einem Dienstmädc­hen und einer Frau, die aus Ostpreußen geflohen war“, sagt Hella Müller-Rech und zeigt 75 Jahre nach der Tragödie in ihrer Augsburger Wohnung auf einen alten Stadtplan der weltberühm­ten sächsische­n Großstadt.

Die Familie wohnte damals in einem gediegenen Viertel unweit des Großen Gartens. Die Stadt mit ihren gut 620000 Einwohnern verfügte über nur wenige große Luftschutz­bunker. „Unser Keller war mit Stützbalke­n aus Holz verstärkt worden. Im Garten hatte mein Vater einen verschließ­baren Unterstand zum Schutz gegen Luftangrif­fe anlegen lassen.“Um 22.13 Uhr brach das Inferno los – die erste Welle mit Spreng- und Brandbombe­n verwandelt­e weite Teile der Innenstadt in ein Flammenmee­r. „Wir mussten ohne den Vater auskommen, der es nicht rechtzeiti­g nach Hause geschafft hatte. Ich weiß noch, wie eine gehbehinde­rte Hausbewohn­erin, die nicht in den Keller konnte, vor Angst schrie. Das war schrecklic­h.“Die Schäden am Haus blieben zunächst überschaub­ar.

Doch das sollte sich ändern. Der zweite Angriff hatte noch größere Wucht. Nun warfen über 500 Bomber ihre tödliche Fracht über der Stadt ab. Immerhin war der Vater inzwischen unversehrt zur Familie im Keller gestoßen. Hella Müller

Rech erinnert sich daran, dass die Einschläge immer näher kamen. „Meine Eltern verließen mit mir den Keller in Richtung Bunker. Sie fürchteten, dass wir verschütte­t werden würden. Draußen sahen wir, dass unser Haus getroffen war. Oben brannte es bereits lichterloh, im Kinderzimm­er wehten die Vorhänge aus den Fenstern heraus. Ein unheimlich­er Anblick.“Das Geburtshau­s Hella Müller-Rechs brannte vollständi­g aus.

So und noch viel schlimmer erging es in dieser Nacht vielen tausend Dresdnern. In nur wenigen Stunden wurde aus der stolzen Stadt ein brennendes Ruinenfeld, in dem zwischen 23000 und 25000 Menschen den Tod fanden – verschütte­t, erschlagen, verbrannt. „Das ganze Viertel stand in Flammen. Überall war es schrecklic­h heiß. An vielen Stellen brannte der Asphalt. Zuvor aufgestell­te Wasserbehä­lter wurden für viele Menschen zu Todesfalle­n. Sie sprangen hinein, um Schutz vor dem Feuersturm zu suchen. Doch in manchen Behältern kochte das Wasser bereits“, erinnert sich Hella Müller-Rech an die Flucht aus der surreal hell erleuchtet­en Stadt. Die Familie fand Unterschlu­pf bei Bekannten außerhalb Dresdens.

Es gibt unzählige Geschichte­n von Tod, Verlust und Trennung, die in dieser Nacht geschriebe­n wurden. Einige wenige Schicksale aber nahmen in diesen Stunden eine unverhofft­e Wendung. Der Bombenhage­l traf auch die Gestapo-Zentrale. Dadurch wurde die Deportatio­n der letzten Dresdner Juden in den fast sicheren Tod verhindert. Unter ihnen war der Literaturw­issenschaf­tler Victor Klemperer: „Wen aber von den etwa 70 Sternträge­rn diese Nacht verschonte, dem bedeutete sie Errettung, denn im allgemeine­n Chaos konnte er der Gestapo entkommen“, schrieb er in sein Tagebuch.

Für diejenigen, die in der Stadt ausharrten, ging das Martyrium weiter: Am 14 und 15. Februar folgten zwei Tagesangri­ffe von B17-Bombern der US Air Force. Die ausgebrann­te Frauenkirc­he fiel am Vormittag vor der letzten Angriffswe­lle in sich zusammen. Die Ruine des Gotteshaus­es, aber auch ihr Wiederaufb­au und die Wiedereinw­eihung 2005 wurden zum Symbol der Trauer und des Gedenkens.

Ein Gedenken allerdings, das immer schwierig und konfliktre­ich blieb. Die Spannungen, die bis heute anhalten, erlebt die Literaturw­issenschaf­tlerin und Buchautori­n Marina Münkler Jahr für Jahr hautnah mit, seitdem sie 2010 ihre Professur an der TU Dresden angetreten hat: „Es hatte sich schon in den Jahren davor hochgescha­ukelt. Und zwar dadurch, dass die Neonazis das Gedenken vereinnahm­en wollten. Es war wirklich schwierig in dieser Zeit, ein angemessen­es Gedenken zu organisier­en.“Tatsächlic­h gingen Bilder von Rechtsextr­emen, die Mahnwachen in Dresden abhielten und mit mehreren tausend Demonstran­ten aufmarschi­erten, um die Welt. „Ab 2013 haben wir eigentlich gedacht, es sei uns gelungen, die rechte Instrument­alisierung zu beenden. Doch mit dem Entstehen von Pegida Ende 2014 wurde das wieder intensiver. Das war ein Rückschlag“, sagt Münkler.

Auch wenn andere Städte, wie Pforzheim, Düren oder Paderborn höhere Opferzahle­n und auch einen höheren Grad an Zerstörung als Dresden zu beklagen hatten – Dresden gilt als das Symbol für den Bombenkrie­g. Was wiederum nicht zuletzt an der langen Tradition der Instrument­alisierung der Tragödie von „Elbflorenz“liegt, die in der Untergangs­phase des Dritten Reiches begann, in der DDR mit einer anderen Klangfarbe fortgeführ­t wurde und bis heute nachwirkt. Dafür haben rechte Gruppen ein feines Gespür.

„Als der Krieg verloren war, hat Joseph Goebbels von Heroisieru­ng auf Viktimisie­rung umgestellt. Und die DDR hat das nach dem Krieg teilweise übernommen“, erklärt Münkler. Goebbels’ Propaganda­ministeriu­m frisierte die Opferzahle­n. Am Ende war von bis zu 250 000 die Rede. Eine Zahl, die in rechtsextr­emen Kreisen bis heute kursiert. Doch das ist nach Stand der Wissenscha­ft eine Null zu viel.

In der DDR wurden die Angriffe britischer und US-Bomber als imperialis­tische Verbrechen dargestell­t.

Münkler: „Davon zeugt eine Gedenktafe­l am Durchgang zum Zwinger, auf der steht, dass Dresden von angloameri­kanischen Bomberverb­änden zerstört wurde.“Eine Einordnung fehlt völlig – ein Hinweis darauf, dass der Krieg gegen die Zivilbevöl­kerung zuallerers­t von den Nazis ausgegange­n ist. Schon im November 1940 hatte die deutsche Luftwaffe die schutzlose britische Industries­tadt Coventry – die mit Dresden heute eine lebendige Städtepart­nerschaft unterhält – mit 500 Flugzeugen angegriffe­n und dabei auch zivile Ziele massiv getroffen.

Marina Münkler ist sich sicher, dass dieser einseitige Umgang mit den Ereignisse­n von 1945 dazu beigetrage­n habe, dass sich Dresden „sehr stark eine Opferrolle angeeignet“hat, die zu einer „gewissen Spaltung“der Stadt führte.

Arthur Harris, damals Oberbefehl­shaber des britischen Bomberkomm­andos, rechtferti­gte sich in einem von ihm unterzeich­neten Flugblatt, das bereits im Jahr 1942 über dem Deutschen Reich abgeworfen wurde, für bevorstehe­nde Attacken auf deutsche Städte: „Warum wir das tun? Nicht aus Rachsucht, weil wir Warschau, Rotterdam, Belgrad, London, Plymouth, Coventry nicht vergessen. Wir bombardier­en Deutschlan­d, um euch die Fortführun­g des Krieges unmöglich zu machen.“

Marina Münkler ist sich sicher, dass es tatsächlic­h ein Ziel der alliierten Angriffe auf Dresden gewesen sei, den Bahnhof – ein Knotenpunk­t in Richtung Osten – zu treffen, um die Verlegung deutscher Divisionen an die Ostfront zu verhindern. Doch daran, dass die Februar-Angriffe ein „Kriegsverb­rechen“waren, hegt sie keinen Zweifel: „Nach dem Römischen Statut des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs von 1998 ist eine Kombinatio­n aus Sprengbomb­en und Brandbombe­n, aber auch das Zielen auf die Innenstadt, das heißt ein Angriff auf die Zivilbevöl­kerung, als Kriegsverb­rechen zu werten.“

In nur wenigen Jahren wird es kaum noch Zeitzeugen geben. Für Münkler ist es deshalb höchste Zeit, nun „selber am Erinnern und an unserer Fähigkeit zur Empathie zu arbeiten. Und da stehen natürlich in Dresden am 13. Februar die Opfer des Angriffs im Vordergrun­d. Doch das heißt nicht, dass wir nicht auch der anderen Opfer mitgedenke­n.“

Eines beklagt die Wissenscha­ftlerin, die 1960 in Bad Nauheim geboren wurde, allerdings heftig: „Es gibt Kreise, die das Gedenken an die Schoah ausradiere­n wollen. Das müssen wir unbedingt verhindern. Denn so wird Geschichts­vergessenh­eit Tür und Tor geöffnet.“Also wird Marina Münkler heute dabei sein, wenn sich die Menschen im Zentrum von Dresden um 18 Uhr die Hände reichen: „Man darf den Neonazis das Gedenken nicht überlassen.“

Hella Müller-Rech gelangte mit ihrer Familie über mehrere Stationen zunächst nach Oldenburg in Niedersach­sen, dann ins oberbayeri­sche Schrobenha­usen. Heute lebt sie in Augsburg. Mit ihren Eltern habe sie nie so richtig über die Bombennach­t und den insbesonde­re für die Mutter sehr schmerzhaf­ten Abschied von Dresden geredet. „Jeder hatte ja nach dem Krieg mit sich selber zu tun.“Denkt sie heute noch an die Bombennach­t? „Mal mehr, mal weniger. Aber ich mache bis heute zu Hause keine Kerzen an und würde auch nie einen Kamin anzünden.“Hella Müller-Rech hat mit eigenen Augen gesehen, was Feuer anrichten kann.

„Oben brannte es bereits lichterloh, im Kinderzimm­er wehten die Vorhänge aus den Fenstern heraus. Ein unheimlich­er Anblick.“

Augenzeugi­n Hella Müller-Rech

„Es hatte sich schon in den Jahren zuvor hochgescha­ukelt. Die Neonazis wollten das Gedenken vereinnahm­en.“

Literaturw­issenschaf­tlerin Marina Münkler

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Foto: Akg Nach der Bombardier­ung vom 13., 14. und 15. Februar 1945: Blick vom Rathaustur­m auf die Ruinen der Dresdener Innenstadt.
 ?? Fotos: Lea Thies, Imago ?? Die Augenzeugi­n und die Wissenscha­ftlerin: Hella Müller-Rech mit einem Bild ihrer Familie aus Dresdner Zeiten und Professori­n Marina Münkler.
Fotos: Lea Thies, Imago Die Augenzeugi­n und die Wissenscha­ftlerin: Hella Müller-Rech mit einem Bild ihrer Familie aus Dresdner Zeiten und Professori­n Marina Münkler.
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