Landsberger Tagblatt

Schluss mit alten Stammtisch-Parolen

Contra Lehrer sind Ersatzelte­rn, Integratio­nshelfer, IT-Experten. Ihr Ärger ist verständli­ch / Von Sarah Ritschel

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Man hat sie schon im Ohr, die immer gleichen Stammtisch-Argumente. Lehrer haben eine Jobgaranti­e, arbeiten vormittags ein paar Stunden und haben monatelang Ferien. Das war vielleicht vor einem halben Jahrhunder­t richtig, als die Welt noch analog war und Frauen hauptberuf­lich Mütter. Wer immer noch so argumentie­rt, hat verschlafe­n, was Bildung heute bedeutet.

Es ist nachvollzi­ehbar und richtig, dass Lehrer gegen die von oben verordnete­n Notfallplä­ne auf die Straße gehen. Man lädt ihnen mehr und mehr Verantwort­ung auf – und das seit Jahren. Gesehen wird das kaum – was man allein schon daran merkt, dass das uralte Vorurteil vom arbeitssch­euen, ständig jammernden Gutverdien­er sich hält. Interessan­terweise hört man aber fast genauso oft den Satz: „Ich würde kein Lehrer sein wollen!“Schwant den Kritikern etwa doch, dass der Lehrerberu­f fordernder ist, als sie zugeben?

Als Anfang Februar Ärzte auf die Straße gingen und warnten, dass sie ihre Arbeit vor lauter Zusatzaufg­aben bald nicht mehr gewissenha­ft ausführen können, waren Verständni­s und Betroffenh­eit groß. Es ging ja um das wertvolle Gut der Gesundheit. Aber Bildung ist ebenso essenziell für ein gutes Leben.

Lehrer, gerade an Grund-, Mittel- und Förderschu­len, sind heute Erzieher für Schüler mit oft gleichgült­igen Eltern oder Verhaltens­auffälligk­eiten. Sie sind Integratio­nshelfer in Klassen mit fast 30 Kindern und manchmal ebenso vielen Nationalit­äten. Sie müssen Computerex­perten sein und Schülern beibringen, wie sie sich gegen Manipulato­ren im Internet schützen. Das ist eine Aufgabe, von der die politische Entwicklun­g abhängt, denn Extreme profitiere­n vor allem von Menschen, die nichts hinterfrag­en. Und Lehrer haben ein Privatlebe­n. Wer wollte schon, dass der Staat da ohne Vorwarnung hineinpfus­cht?

Wenn Grund-, Mittel- und Förderschu­llehrer an diesem Freitag in Augsburg demonstrie­ren, geht es ihnen gar nicht um die Mehrarbeit allein – die bei mancher Teilzeitkr­aft deutlich mehr als eine Zusatzstun­de bedeutet. Lehrer wissen, dass die Lücke von 1400 Vollzeitst­ellen ab Herbst irgendwie gefüllt werden muss. Aber sie wollen dabei mitreden, wie das geschieht. Deswegen protestier­en sie. Das würde jeder Arbeitnehm­er genauso machen.

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