Corona-Not macht erfinderisch
Längst machen regionale Unternehmen das, wozu der US-Präsident seine Wirtschaft zwingt: Sie stellen auf Produkte um, die in der Krise dringend benötigt werden. Wie schwierig das ist – und welches Kalkül dahintersteckt
Augsburg Die Menschen haben sich schnell an die Zwänge der Coronakrise gewöhnt. Im Überbietungswettbewerb politischer Maßnahmen stach eine jedoch heraus: US-Präsident Donald Trump wandte ein für Kriegszeiten gedachtes Gesetz an und befahl dem Autobauer General Motors, Beatmungsgeräte zu produzieren. Die Ultima Ratio, von der man in Deutschland noch weit entfernt ist. Wieso, zeigen zahlreiche Unternehmen aus der Region: Sie haben ihre Produktion eigeninitiativ den Notwendigkeiten der Coronakrise angepasst – ein branchenübergreifender Unternehmergeist, der Konstellationen hervorbringt, die sonst unvorstellbar wären.
Mode und Mundschutzmasken hatten etwa bislang so viel miteinander zu tun wie Schwarz und Weiß. Das hat sich in diesen grauen Coronatagen geändert. Im eher luftigen Segment tritt diesen Beweis der Dessous-Hersteller Mey an, der in der Schwäbischen Alb nun MundNasen-Masken für Krankenhäuser produziert. Grundsätzlich mehr Stoff für solche Masken dürfte dagegen die Modemarke Strenesse aus Nördlingen haben. Sind die drei Näherinnen des Unternehmens sonst damit beschäftigt, hochpreisige Kleider, Mäntel und Blusen zu komponieren, dreht sich ihr Arbeitsalltag seit vergangener Woche ebenfalls um Mund-Nasen-Masken. „Die Umstellung verlief relativ reibungslos“, sagt Geschäftsführerin Micaela Sabatier. Die Infrastruktur und das Material – atmungsaktive Baumwolle – waren bereits da. Die Kapazitäten der Modemarke sind für die kommenden eineinhalb Wochen bereits ausgelastet. Die Nachfrage ist enorm.
Strenesse hat mit der Maskenproduktion ungeahnte Kundenkreise erschlossen: Die Marke beliefert nun insbesondere Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, aber auch regionale Behörden oder Dorfläden. „Viele haben sich an uns gewandt, weil sie vom Staat keine Schutzmasken bekommen“, sagt Micaela Sabatier. Daraus sei die Idee entstanden, selbst Masken zu produzieren, die zwar kein medizinisches Produkt seien, durch den Selbstschutz aber doch Infektionen verringern könnten.
Eine Maske ist nach einem 60-Grad-Waschgang wiederverwendbar und kostet bei größerer Abnahme netto drei Euro – nur ein Unkostenbeitrag, sagt Sabatier: „Es geht uns in erster Linie nicht darum, dieser Aktion Geld zu verdienen. Wir wollen unterstützen, wo es in unserer Macht steht.“Auch deshalb werden die Masken nicht an Privatkunden verkauft – sie werden schlicht an anderer Stelle gebraucht.
Und wie ist er nun zu vereinbaren, der Kontrast zwischen Mode und Mundschutz? „Elegant sollen die Masken in Schwarz und Weiß trotzdem sein“, sagt Sabatier. „Eben im Rahmen des Möglichen.“
Mit solchen Äußerlichkeiten muss sich Osram in Schwabmünchen momentan nicht beschäftigen. Unweit der B17 produzieren die Mitarbeiter unter anderem Leuchtstoffe für den mit Problemen belasteten Beleuchtungsspezialisten aus München. Das Jobprofil von zwei Angestellten hat sich in den vergangenen Wochen aber grundlegend verändert: Sie stellen Hand- und Oberflächen-Desinfektionsmittel her. Was mit einer Produktion für den Eigenbedarf begann, sprach sich herum – zunächst firmenintern, dann auch unter Apotheken, Kliniken, Behörden und außenstehenden Unternehmen. „Die Nachfrage seitist immens“, sagt Arbeitsschutz-Leiter Marcus Donié. Auf ihn geht die Idee zurück, für die Produktion von Desinfektionsmitteln die Ressourcen zu nutzen, die schon da waren: Rohstoffe wie Ethanol oder Wasserstoffperoxid – und die Kompetenz der Mitarbeiter. Die Umstellung sei deshalb kein Problem gewesen, sagt Donié.
Laut Werksleiter Ingo Hild haben sich die Preise für Ethanol seit Anfang
März vervierfacht. Selbst wolle man aus der Notsituation keinen Profit schlagen. Man habe bislang 3000 Liter hergestellt, bis zur nächsten Ethanol-Lieferung sei etwa die gleiche Menge noch mal möglich. Was danach passiert, hängt laut Hild vom Nachschub ab. „Wir sind es gewohnt, mit großen Mengen umzugehen. Die Kapazitäten sind da.“
Auch in einem kleinen, findigen Betrieb 50 Kilometer westlich von Schwabmünchen hat man vor kurmit zem damit begonnen, Desinfektionsmittel herzustellen. Der Bruch mit dem Kernprodukt fällt dort, in Illertissen, allerdings ungleich deutlicher aus: Ihr Geld verdient die Confiserie Lanwehr hauptsächlich mit Pralinen. Das Ethanol, also hochprozentiger Alkohol, wird hier normalerweise dafür verwendet, die Süßigkeiten länger haltbar zu machen. Jetzt mischen Geschäftsleiter Andreas Lanwehr und seine Mitarbeiter das Ethanol mit Osmose-Wasser – fertig ist das Desinfektionsmittel. Es steht nun zum Selbstkostenpreis in der Confiserie zum Verkauf. Denn die darf noch öffnen.
Doch nicht immer läuft die Umstellung so reibungslos. In einer Umfrage der IHK Schwaben erklärten sich zwar viele Betriebe grundsätzlich bereit, ihre Produktion umzustellen. Doch dies scheitert häufig an zu hohen Hürden. Mal sind die nötigen Rohstoffe – etwa Ethanol oder Isopropanol für Desinfektionsmittel – nicht in der erforderlichen Qualität vorhanden. Mal fehlt es am fachspezifischen Know-how oder an der Möglichkeit, ein Produkt zertidem fizieren zu lassen. Und manchmal fehlen die Maschinen, um die Produkte vor Ort herzustellen.
An diesem letzten Kriterium verzweifelt derzeit Harald Löwe. Er leitet ein Dienstleistungsunternehmen, das auf Medizintechnik spezialisiert ist, selbst aber noch nicht produziert hat. Nun fand Löwe einen Maschinenhersteller, der Geräte zur Produktion von gefalteten chirurgischen Masken mit Aktivkohlefiltern bereitstellen könnte. Die Aktivkohle filtert so stark, dass der Träger vor dem Coronavirus geschützt ist. Löwe wollte also mit der Partnerfirma Primedic aus Rottweil eine Produktionslinie für medizinische Einrichtungen etablieren.
Das Problem: Bis die etwa 250 000 Euro teure Maschine produktionsbereit ist, dauert es mindestens drei Monate. Wie sich die Ausbreitung des Coronavirus und entsprechend der Bedarf an Atemschutzmasken entwickelt, weiß niemand. Um mit der Produktion der Atemschutzmasken also nicht die Zukunft seines Betriebs aufs Spiel zu setzen, braucht Löwe Zusagen von der Politik. Das betrifft Zuschüsse, aber auch die Garantie, dass Masken abgenommen werden. Löwe sagt, er habe sich an das bayerische Wirtschaftsministerium gewandt, allerdings keine Antwort bekommen. Dabei könne eine Maschine monatlich 1,3 Millionen Masken herstellen. Man sei bereit, mehrere Maschinen anzuschaffen.
Grundsätzlich kann eine Produktionsumstellung aus gleich drei Gründen sinnvoll sein: Sie hält den Betrieb zumindest teilweise am Laufen, leistet einen Dienst am Allgemeinwohl – und ist oft auch gut fürs Image. „Wenn die Hilfe gut kommuniziert wird, kann das die Marke enorm stärken“, sagt Jean-Claude Baumer vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU). Er wisse aber von Firmen, die die Produktion umgestellt hätten und nun versuchten, die Lage mit überhöhten Preisen auszunutzen. „Das geht oft nach hinten los. Diese Firmen sind schnell gebrandmarkt.“
Laut Baumer sind medizintechnische Betriebe gut damit beraten, die Produktion schnell an den aktuellen Versorgungslücken zu orientieren und eventuell zu verlagern. Firmen aus anderen Bereichen sollten sich Umstellungen gut überlegen. „Kurzfristig ist das vielleicht interessant, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Aber der medizinische Markt ist langfristig ausgerichtet – und wenn ich da reingehe, brauche ich eine nachhaltige Strategie.“
Die Hürden für Umstellungen sind häufig zu hoch