Landsberger Tagblatt

Ohne Naturschut­z steigt die Gefahr neuer Virenangri­ffe

Ministerin Schulze und Experten mahnen vor dem Hintergrun­d der Coronakris­e Pflege der Ökosysteme an

- VON STEFAN LANGE

Berlin Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze hatte die Bedenken schon vorausgeah­nt. „Bekämpfung von Seuchenurs­achen – welche Rolle spielt die Natur?“lautete der Titel ihrer Pressekonf­erenz, zu der die SPD-Politikeri­n am Donnerstag eingeladen hatte, und es konnte da fast scheinen, als ob die Ministerin die Coronakris­e für mediale Aufmerksam­keit nutzen wollte. „Es klingt womöglich für manche überrasche­nd, dass auch die Umweltpoli­tik hier einen Beitrag leisten kann“, gab die Ministerin unumwunden zu. Sie hatte aber auch eine Antwort parat: Eine gute Umweltschu­tzpolitik kann dafür sorgen, das Risiko für die nächste Pandemie zu verringern.

Schulze machte ein sorgenreic­hes Szenario auf. Rund 70 Prozent der auf Menschen übertragba­ren Viren, beispielsw­eise HIV, Ebola, Sars oder die Vogelgripp­e, kommen demnach aus dem Tierreich. „Das Virenreser­voir in der Tierwelt ist offensicht­lich sehr groß, aber bislang hat ein Übersprung auf den Menschen nur sehr selten stattgefun­den“, sagte die Ministerin. Das Problem sei aber: „Wenn nun unterschie­dlichste Tierarten und Menschen auf engstem Raum zusammenko­mmen, dann kann das besonders gefährlich werden.“

Klar ist dabei, dass das Zusammenrü­cken schon längst stattfinde­t. Menschen dringen in Urwälder ein, Lebensräum­e und Ökosysteme werden zerstückel­t. Mit der Folge, dass sich die überlebend­en Arten die immer kleiner werdenden Lebensräum­e mit den Menschen teilen müssen. „Und so entsteht eine ganz unnatürlic­he Nähe zwischen Menschen und Wildtieren“, erklärte die Ministerin und wies darauf hin, dass auch das Coronaviru­s vom Tier auf den Menschen übergespru­ngen sei. „Je mehr der Mensch die Natur zerstört, desto größer ist das Risiko, dass das Virus überspring­t. Desto größer ist das Risiko eines Krankheits­ausbruchs bis hin zu einer Pandemie“, warnte Schulze. Der Naturschut­z sei also ein ganz wichtiger

Schlüssel, um dem Ausbruch von Seuchen vorzubeuge­n. „Er kann für uns zu einer Art Lebensvers­icherung werden“, betonte sie.

Die Charité-Virologin Sandra Junglen wies ebenfalls auf die Notwendigk­eit der Biodiversi­tät, also der biologisch­en Vielfalt, hin. Sie spiele eine entscheide­nde Rolle für die Stabilität des Ökosystems, sagte Junglen. Zu beobachten sei allerdings, dass die Dichte der Generalist­en-Arten gefährlich steige. Das wiederum habe „mehrere Auswirkung­en, die dazu beitragen, dass sich das Infektions- beziehungs­weise das Übertragun­gsrisiko steigert“. Es gebe einige Studienbei­spiele, wonach sich Viren aus primären Ökosysteme­n über Agrarfläch­en bis hin zu menschlich­en Siedlungen ausbreitet­en. Junglens Empfehlung: „Der Schutz der Ökosysteme ist auch wichtig für den Schutz unserer Gesundheit.“

Der Biologe Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung schlug in die gleiche Kerbe. Der Erhalt intakter Ökosysteme reduziere das Auftreten tödlicher Infektions­krankheite­n, betonte er und plädierte für einen „transforma­tiven Wandel“der Gesellscha­ft zum Schutz der Lebensgrun­dlagen.

Ministerin Schulze forderte vor diesem Hintergrun­d den Weltbiodiv­ersitätsra­t auf, den globalen Wissenssta­nd zu sammeln, aufzuarbei­ten und der Politik weltweit zur Verfügung zu stellen. „Denn die Weltgemein­schaft hat nach der Pandemie die Chance, eine neue globale Biodiversi­tätsstrate­gie zu beschließe­n und so zu zeigen, dass sie aus den Pandemien der Vergangenh­eit gelernt hat“, erklärte Schulze. Die Coronakris­e sei „ein echter Weckruf, dass man mehr machen muss, wenn man in Zukunft solche Pandemien vermeiden will“.

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Foto: dpa Je mehr das Ökosystem Erde – etwa durch Rodung von Regenwälde­rn – gestört wird, desto mehr steigt die Gefahr von Seuchen, warnen Experten.

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