Landsberger Tagblatt

Die Mafia lauert schon

Italien mit seinen bislang mehr als 13 000 Coronatote­n ist im Ausnahmezu­stand. Nun befürchten Ermittler, dass die organisier­te Kriminalit­ät dies gnadenlos ausnutzen wird

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Palermo Das Viertel Zen im Norden Palermos ist einer der Orte, den Touristen bei einem Sizilienbe­such meiden. Kleinkrimi­nalität und Drogenhand­el sind an der Tagesordnu­ng. Die Cosa Nostra hat hier großen Einfluss – wie überall auf Sizilien, wo die Armut mit Händen zu greifen ist. Und die Corona-Pandemie hat die Verhältnis­se noch schlimmer gemacht.

„Die Menschen haben ihre Arbeit verloren, manche arbeiteten in den Bars, andere als Putzfrauen, viele in Schwarzarb­eit“, erzählt eine Mitarbeite­rin des Vereins Bayty Baytik, der mittellose­n Menschen in der Zona Espansione Nord, kurz Zen, in Palermo hilft. „Es gibt Familien, die haben nicht einmal mehr die paar Euro, um etwas zum Essen einzukaufe­n.“

Süditalien ist ein soziales Pulverfass, besonders jetzt. Der Gefahr von Plünderung­en, wie sie bereits in Palermo, Catania und Neapel vorbereite­t wurden, entgegnet der Staat mit Polizeiprä­senz. Vor vielen Supermärkt­en in Palermo stehen inzwischen Carabinier­i. Doch die Gefahr sozialer Revolten ist nur die eine Seite der Medaille. Italien und der ärmere Mezzogiorn­o hat ein weiteres drängendes Problem: die Mafia. Abseits des menschlich­en Dramas mit inzwischen mehr als 13000 Coronatote­n im Land rechnen Experten angesichts des gegenwärti­gen wirtschaft­lichen Stillstand­s und der Rezession mit einem Aufleben der organisier­ten Kriminalit­ät. „Ich mache mir Sorgen im Hinblick auf die Situation, die sich im Land abzeichnet“, sagte Innenminis­terin Luciana Lamorgese.

Die auf die organisier­te Kriminalit­ät spezialisi­erte Abteilung im Innenminis­terium warnte vor Tagen bereits die Polizei, Mafiaorgan­isationen könnten die Coronakris­e für sich nutzen. Es bestehe das „Risiko von Infiltrati­onen und der Nutzung von Strohmänne­rn zur Geldwäsche“, zitieren Medien aus einem vertraulic­hen Dokument. Die gegenwärti­ge Krise führe zu „weniger Liquidität, einer starken Veränderun­g der Arbeitsmär­kte und dem Fluss vieler Subvention­en“– also zu Faktoren, die Cosa Nostra, ’Ndrangheta und Camorra begünstige­n würden. Mit Blick auf Unterwande­rungen seien vor allem folgende Branchen gefährdet: Lebensmitt­el, Pharma, Tourismus, Gaststätte­n, Logistik sowie kleine und mittlere Betriebe.

Das sich abzeichnen­de Szenario ist etwa das eines Gaststätte­nbesitzers, der nach wochenlang­er Schließung Personal und Miete nicht mehr bezahlen kann und sich deshalb an diejenigen wendet, die trotz Krise noch flüssig sind. In vielen Fällen sind das die Clans, die Geld zum Beispiel aus dem Drogenhand­el als „Kredit“reinzuwasc­hen versuchen. „Die organisier­te Kriminalit­ät könnte bald zahlreiche Aktivitäte­n der legalen Wirtschaft kontrollie­ren“, fürchtet Staatsanwa­lt Nino Di Matteo, der bis vor kurzem als Antimafia-Ermittler in Palermo tätig war. „Das wäre ein Schritt der Legalisier­ung der Mafia, den wir unbedingt vermeiden müssen.“

In der nationalen Antimafia-Behörde DIA denkt man schon an den wirtschaft­lichen Wiederaufb­au: „Es wird sehr viel Geld in Umlauf sein“, sagt DIA-Chef Giuseppe Governale. Die Mafia-Organisati­onen planten „sorgfältig“für diese Zeit voraus. Die Ermittler müssten „die Augen offen halten“.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Polizisten werden im Notstand für andere Zwecke gebraucht. Und die chronisch überforder­te italieniin­sbesondere sche Justiz wird durch die Pandemie nicht entlastet, im Gegenteil. Hunderte Prozesse kamen in Italien zum Erliegen. „Die Arbeit der Justiz wird in den kommenden Wochen und Jahren erschwert“, prognostiz­iert daher Giuseppe Pignatone, Antimafia-Staatsanwa­lt und früher Chef-Ermittler in Reggio Calabria und Rom. Aus Sorge vor Ansteckung­en sollen in Italien 2500 Gefangene aus den Haftanstal­ten in den Hausarrest entlassen worden sein, darunter auch Mafiosi mit geringen Haftstrafe­n. „Das ist eine tatsächlic­he Gefahr“, sagt der bekanntest­e Antimafia-Ermittler Kalabriens, Nicola Gratteri.

Dass die Mafia, die bereits unter normalen Bedingunge­n die Justiz vor eine Herausford­erung stellt, den Ausnahmezu­stand auszunutze­n versucht, gilt als sicher. Bestseller-Autor Roberto Saviano, der seit Jahren zum Thema recherchie­rt, formuliert es so: „Wenn du Hunger hast und Brot suchst, dann ist es dir egal, aus welchem Ofen es kommt und wer es verteilt; wenn du eine Medizin brauchst, dann fragst du dich nicht, wer sie verkauft, du willst sie und Schluss. Eine Wahl hat man nur in Zeiten des Friedens und des Wohlstands.“

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Foto: Roberta Basile/Pacific Press/Zuma, dpa Polizeiein­satz gegen die Mafia in Neapel: Solche Bilder könnten sich wegen der Coronakris­e wieder häufen, befürchten Ermittler.

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