Landsberger Tagblatt

Katastroph­enfilm statt Praktikum

Oliver Kahn sollte in aller Ruhe auf seine Führungsau­fgabe beim FC Bayern vorbereite­t werden. Nun aber ist der ehemalige Torwart schon frühzeitig als Entscheide­r gefragt

- VON TILMANN MEHL

Augsburg

Ist das wirklich noch derselbe Mann? Der nach einem 0:2 auf Schalke als maßgeblich­en Grund für die Niederlage angegeben hatte: „Eier, wir brauchen Eier.“Der kurz davor stand, Gegenspiel­er in den Hals zu beißen oder per Kung-FuTritt in die ewigen Torjäger-Jagdgründe zu schicken. Er hört zumindest immer noch auf den gleichen Namen: Oliver Kahn.

Statt Torwarttri­kot trägt er Hemd und statt „weiter, immer weiter“sagt er nun: „Eine Krise ist immer ein Resilienz-Test.“Resilienz-Test. Gemeint ist damit die psychische Widerstand­sfähigkeit – und von der besitzt Kahn seit jeher allerhand. Er ließ sich mit Bananen und Golfbällen bewerfen, strebte öffentlich in eine fernehelic­he Affäre, griff in einem WM-Finale fatal daneben, gewann Champions League und acht Meistersch­aften. Weiter, immer weiter.

Kahn ist Vorstandsm­itglied des FC Bayern, er soll in zwei Jahren Karl-Heinz Rummenigge als Chef ablösen. Die Zeit bis dahin war als Premium-Praktikum gedacht. Kahn sollte sämtliche Bereiche kennenlern­en und so auf die Führungsau­fgabe vorbereite­t werden. Krisen kennen keine Einarbeitu­ngszeit. Die Corona-Pandemie beschleuni­gt Kahns Eignungste­st. Der 50-Jährige ist Leiter der Corona-TaskforceG­ruppe des FC Bayern. „Da kann ich es mir nicht auf dem Sonnendeck gemütlich machen, sondern muss im Maschinenr­aum mithelfen, dass das Schiff auf Kurs bleibt“, sagte er der

Sportbild. Es war das erste Interview Kahns als Verantwort­licher des FC Bayern. Zum gleichen Zeitpunkt veröffentl­ichten die Münchner im klubeigene­n Magazin ein Gespräch mit Kahn. Er ist derzeit das Gesicht des FC Bayern.

Die Münchner fühlen sich mit Kahn gut aufgestell­t für die Zukunft. Resilienz und Eier, Rasen und Business. Fußball ist aber auch in Krisenzeit­en zu Teilen ein Tagesgesch­äft. Visionäre Entscheidu­ngen sind nicht gefragt, wenn Jérôme Boateng seinen Wagen weit entfernt von München in die Leitplanke­n setzt. „Mit dieser Entfernung von seinem Wohnort handelte Boateng den Vorgaben des Vereins zuwider“, schrieben die Bayern in einer Pressemitt­eilung. Die fällige Geldstrafe kommt Münchner Krankenhäu­sern zugute. Boateng allerdings nimmt für sich familiäre Beweggründ­e in Anspruch. Seinem Sohn sei es gesundheit­lich schlecht gegangen, weshalb er aufbrach, um ihn zu besuchen. „Ich möchte den Vater sehen, der in so einem Moment nicht losfährt, um an der Seite seines vierjährig­en Sohnes zu sein. Wenn es dafür dann eine Strafe gibt, dann Respekt. Ich finde das traurig“, sagte er der Bild.

Kahn dürfte zumindest Mitsprache­recht haben, wenn es um die

Sanktionie­rung geht. Er ist selbstvers­tändlich auch involviert, wenn es um die künftige sportliche Ausrichtun­g der Münchner geht.

Kommt nun Leroy Sané oder nicht? Laut Kicker haben die Bayern von der Idee weitestgeh­end Abstand genommen, sich um den 24-Jährigen zu bemühen. Kahn selbst mag der Persönlich­keitsstruk­tur wieder mehr Gewicht beimessen bei möglichen Verpflicht­ungen. „Siegerment­alität, Demut, Disziplin und Durchhalte­vermögen gehören genauso zum Anforderun­gsprofil wie die sportliche Qualität des Spielers“, so der 50-Jährige. Mehr van Bommel, weniger Coutinho. Dazu müssen noch die Arbeitsver­träge mit Manuel Neuer und Thomas Müller ausgehande­lt werden. Mit beiden möchten die Bayern die 2021 auslaufend­en Verträge verlängern. Aber zu welchen Konditione­n? Neuer hätte wohl gerne ein Arbeitspap­ier, das ihm noch bis 2025 Zahlungen garantiert. Dann wäre er 39 Jahre alt.

Entscheidu­ngen, die inmitten einer Phase zu treffen sind, die Kahn in dieser Form „bisher nur aus Katastroph­enfilmen“kannte. Immerhin muss der Vorstand keine Alleingäng­e wagen. Er pflege einen „partizipat­iven Führungsst­il“, sagt Kahn. Der Oliver Kahn, der als Einzelgäng­er bekannt war. Derselbe und doch ganz anders.

Das neue Gesicht des FC Bayern

Ob Kahn eine Verpflicht­ung von Sané anstrebt?

 ?? Foto: Witters ?? Oliver Kahn soll im Januar 2022 Karl-Heinz Rummenigge als Vorstandsv­orsitzende­r des FC Bayern ablösen. Die Zeit bis dahin war dazu gedacht, Einblicke in sämtliche Bereiche zu erhalten. Nun steht er schon frühzeitig in der Verantwort­ung.
Foto: Witters Oliver Kahn soll im Januar 2022 Karl-Heinz Rummenigge als Vorstandsv­orsitzende­r des FC Bayern ablösen. Die Zeit bis dahin war dazu gedacht, Einblicke in sämtliche Bereiche zu erhalten. Nun steht er schon frühzeitig in der Verantwort­ung.

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