„Wir haben genug über den Fußball zu schreiben“
Kicker-Herausgeber Rainer Holzschuh über die Folgen der Corona-Pandemie für das Fachmagazin, die Prinzipien der Redaktion und die Fußballstadt Augsburg
Der Kicker feiert seinen 100. Geburtstag und ist damit die älteste Sportzeitung in Deutschland. Wie wird oder wurde gefeiert?
Rainer Holzschuh: Wir hatten für den 14. Juli, unseren Gründungstag, in Nürnberg ein großes Fest mit rund 600 Gästen und dem Bundespräsidenten als Redner geplant. Auch bei dem Ende März in Nürnberg angesetzten Länderspiel gegen Italien wollten wir uns in Erinnerung bringen. Doch bedingt durch die Corona-Krise mussten wir den Festakt auf das kommende Jahr verschieben.
In diesen Tagen ist Ihre Redaktion besonders gefordert. Die Pandemie lässt den Fußball ruhen, Ihr Kerngeschäft steht praktisch im Abseits, doch Ihr Blatt erscheint trotzdem zwei Mal in der Woche.
Holzschuh: Wir haben auch so genug über den Fußball zu schreiben. Es ist natürlich für uns wesentlich einfacher, zu arbeiten, wenn der Ball rollt.
Wie alle anderen Printmedien, so hat auch Ihre Zeitung schwere Zeiten hinter sich, die Auflage sank. Wie kann und konnte der Kicker in den Zeiten des medialen Umbruchs trotzdem bestehen?
Holzschuh: Leider haben auch wir mit einem Rückgang der Printauflage zu kämpfen, doch wir konzentrierten uns neben Print schon sehr früh auf Online-Berichterstattung und sind dort mittlerweile auch sehr erfolgreich, im Sport absoluter Marktführer.
Boulevardjournalismus ist dem Kicker fremd. Warum sind Sie diesem Prinzip immer treu geblieben?
Holzschuh: Wir berichten, analysieren und kommentieren, das ist unser Stil. Darauf hat unser ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber Karl-Heinz Heimann schon früher immer Wert gelegt. Boulevardesk entspricht nicht unserer Philosophie, das sollen andere ruhig besser können.
Wie abhängig sind Sie von Erfolgen der Nationalmannschaft oder der deutschen Teams in internationalen Wettbewerben?
Holzschuh: Natürlich merken wir das. Ein Beispiel: Als unsere Nationalmannschaft 1990 in Rom den WM-Titel gewann, verkauften wir am Tag danach 400000 Zeitungen. Eine absolute Bestmarke für unser Haus.
Wieso kann sich Ihrer Meinung nach in Deutschland keine täglich erscheinende Sportzeitung durchsetzen? Holzschuh: Eine gute Frage. Mehrere Versuche von Verlagen in diese Richtung sind ja gescheitert. Dafür gibt es meiner Meinung nach mehrere Gründe. Zum einen informiert sich der deutsche Fußballfan über das Fernsehen und dann sind auch die Sportteile der Tageszeitungen sehr umfangreich.
Bei vielen Ihrer Leser genießt der Kicker Kultstatus. Nicht nur die regulären Ausgaben, sondern auch die Sonderveröffentlichung wie das SaisonSonderheft. Dieses sehnen viele Leser ja förmlich herbei. Bei vielen Leuten hängt die Stecktabelle ein Jahr in der Wohnung.
Holzschuh: Das freut uns ungemein. Das Kicker-Sonderheft zu Saisonbeginn produzieren wir schon seit 1963. Daneben bringen wir aber auch noch weitere Editionen wie etwa das Heft zur Champions-League heraus. Was wird da bieten, ist gutes Beiwerk.
Wie wird der Kicker 2040 aussehen? Holzschuh: Diese Frage kann ich eigentlich nicht beantworten, glaube aber, dass es uns auch in 20 Jahren noch geben wird und wir auch unseren 120. Geburtstag feiern können.
Kommen wir zu den aktuellen Problemen. Wann und wie wird die Bundesliga nach der Krise wieder starten? Holzschuh: Ich hoffe, dass die Liga spätestens im Juni mit Geisterspielen wieder starten kann. Das ist dann zumindest realer Fußball. Erst mal gilt: Hauptsache der Ball rollt wieder.
Uli Hoeneß hat jüngst behauptet, dass sich der Fußball durch die Pandemie stark verändern wird. Sehen Sie das genauso?
Holzschuh: Das hoffe ich auch. Ob das über einen längeren Zeitraum der Fall sein wird, das weiß ich nicht. Ich befürchte, dass irgendwo wieder ein Scheich oder ein reicher Russe auftauchen wird und dass die Vereine dann wieder finanziell über das Ziel hinausschießen.
Sie haben Ihre berufliche Laufbahn 1970 in Augsburg begonnen. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Holzschuh: Ich denke sehr gerne an diese Zeit zurück. Ihre Zeitung war entscheidend für meine weitere berufliche Karriere. Ich habe damals nicht nur über Fußball berichtet, sondern auch Zugang zum Eishockey gefunden, erinnere mich gerne an Spieler wie Leonhard Waitl oder Ernst Köpf. Zu manchen Sportlern wie etwa Heiner Schuhmann und Alwin Fink besitze ich immer noch losen Kontakt.
Konnten Sie damals erahnen, dass in Augsburg mal Bundesligafußball gespielt wird?
Holzschuh: Obwohl Augsburg auch damals schon große Spieler wie Biesinger oder Haller hervorbrachte, war es keine Fußballstadt. Das hat sich geändert. Die Entwicklung des FCA ist fantastisch.
Interview: Herbert Schmoll
● Rainer Holzschuh begann seine berufliche Karriere 1970 bei der Augsburger Allgemeinen. 1971 wechselte der gebürtige Unterfranke in die Kicker-Redaktion. Dort entwickelte er sich zu einem der führenden Sportjournalisten der Republik und arbeitet auch heute noch beim Sport-Fachmagazin. 1988 wurde er zum Chefredakteur befördert, seit 2009 ist er Herausgeber. Zwischendurch wurde er dem Blatt aber untreu. Von 1983 bis 1988 wirkte er als Pressechef beim Deutschen Fußballbund (DFB).
● Auflage Im letzten Quartal 2019 hatte der Kicker am Montag eine verkaufte Auflage von 114 700 Exemplaren. Am Donnerstag waren es 106 700. Die digitale E-Paper-Ausgabe betrug 21 700 Exemplare.