Die fetten Jahre sind endgültig vorbei
Die Corona-Krise bringt den Kirchen massive Einnahmeverluste aus der Kirchensteuer. Die Folge sind Sparmaßnahmen – „auch da, wo es wehtut“, wie der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagt
Augsburg Die Corona-Krise entwickelt sich für die katholische und evangelische Kirche immer stärker zu einem wirtschaftlichen Problem – ihr brechen massiv Kirchensteuereinnahmen weg. In der katholischen Kirche werden daher bereits Stimmen laut, die eine Reform des Kirchensteuersystems fordern.
So sprach sich der Münchner Theologieprofessor Andreas Wollbold, selbst Priester, in der katholischen Wochenzeitung Die Tagespost für eine Reform aus, „bei der man seine Steuer gezielt einzelnen Gemeinden oder Klöstern widmen“könne. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte Ulrich Hemel, Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer: „Ich glaube, die Zahlungsbereitschaft, die Fantasie und die Kompetenz des Gottesvolks werden massiv unterschätzt.“Hemel verweist auf Italien, wo Steuerzahler durch Ankreuzen bei der Steuererklärung entscheiden, wem sie ihre Mittel zukommen lassen. „Grundsätzlich spreche ich mich für die Abschaffung der Kirchensteuer aus – trotz vieler Bedenken und nötiger Umbauten“, sagte er.
Die Kirchensteuer ist die Haupteinnahmequelle der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. beitergeld kirchensteuerfrei ist. So rechnet die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern mit einem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen von 95 Millionen Euro aufgrund der Pandemie-Folgen. Die geplanten Einnahmen sinken auf 696,6 Millionen Euro. „Die Landeskirche wird das Jahr 2020 mit einem Defizit von 131 Millionen Euro abschließen“, erklärte sie am Mittwoch. Aus den sieben katholischen Bistümern in Bayern, die (kirchen-)rechtlich selbstständig sind, gibt es bislang lediglich Schätzungen. Sie erwarten einen deutlichen Kirchensteuerrückgang, teils um zweistellige Millionenbeträge. Zugleich verursacht ihnen die CoronaKrise Kosten, etwa für Schutzausrüstung in ihren Einrichtungen.
Bei bundesweit 27 katholischen (Erz-)Bistümern und 20 evangelischen Landeskirchen könnte der Kirchensteuerrückgang insgesamt über eine Milliarde Euro betragen. Ulrich Hemel, Vorsitzender des Bundes Katholischer Unternehmer und Managing Director der ROGG Verbandstoffe GmbH bei Freising, schätzt sogar, dass auf beide Kirchen Einnahmenverluste aus der Kirchensteuer „in Höhe von mindestens 25 bis 30 Prozent“zukommen. Vor allem, weil die CoronaKrise Selbstständige und Unternehmer hart treffe – die dann als Kirchensteuerzahler ausfielen. Den Kirchensteuerrückgang bezeichnet er als „wirklich erheblich, da bereits die Personalkosten von Kirchen bei ungefähr 70 Prozent liegen“.
Hemel rechnet mit gravierenden Folgen. „Es wird Heulen und Zähneknirschen geben, Verkauf und Schließung von Tagungsstätten, Krankenhäusern, Kindergärten und dergleichen – wenn es nicht ein intelligenteres Konzept gibt“, prognostiziert er. Das allerdings sieht er nicht. „Eine wirkliche Krisenstrategie ist nirgends erkennbar, eher ein fantasieloses ,Weiter wie bisher‘.“Auf die Corona-Krise reagierten katholische und evangelische Kirche mit Einstellungsstopps, Haushaltssperren oder Etat-Einschränkungen. Und mit Kurzarbeit. Von ihr werden ab Juni auch Mitarbeiter in Tagungshäusern der katholischen Diözese Augsburg betroffen sein.
Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Landesbischof, sagte unserer Redaktion: „Wir werden ebenso beherzt wie klug sparen müssen, auch da, wo es wehtut.“Dennoch zeigte er sich zuversichtlich. Man habe in den letzten Jahren gut gewirtschaftet und intensiv an Konzepten für eine Kirche der Zukunft gearbeitet, die mit weniger Geld auskommen müsse. In der breiten Öffentlichkeit rufen derlei Äußerungen stets Kritik hervor. Sind die Kirchen nicht reich und mit Steuer-Milliarden gesegnet?
In der Tat haben sie teils große Vermögen. Doch diese sind von Bistum zu Bistum, von Landeskirche zu Landeskirche ungleich verteilt. Gelder sind angelegt oder in Rückstellungen für Pensionen gebunden. Der Unterhalt von Gotteshäusern ist teuer, Sakralbauten oder Kunstgegenstände lassen sich nicht einfach verkaufen. Während das Bistum Augsburg am Freitag auf Nachfrage
Einschränkungen bei der Einstellung von Personal oder bei laufenden (Bau-)Projekten sowie einen Nachtragshaushalt ausschloss, hatte das benachbarte Bistum Eichstätt schon vor der Corona-Krise mit einem Minus von rund 4,7 Millionen Euro gerechnet. „Die Krise wird dieses Minus aber noch vergrößern“, sagte Bischof Gregor Maria Hanke unserer Redaktion. „Die aktuelle Lage macht es erforderlich, die bestehende Schwerpunktsetzung unserer Aktivitäten zu überprüfen und gegebenenfalls einige Aufgaben neu zu gewichten.“
So gibt die Corona-Krise einen Vorgeschmack auf die kommenden Jahre – in denen die Zahl der Kirchenmitglieder und mit ihr das Kirchensteueraufkommen einer Studie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zufolge spürbar sinken wird. Die fetten Jahre, in denen dank florierender Wirtschaft die
Kirchensteuereinnahmen trotz vermehrter Kirchenaustritte wuchsen, sind endgültig vorbei. Die Zahl der Austritte dürfte 2019 und in den ersten Monaten von 2020, vor allem wegen der Kirchenskandale, abermals gestiegen sein – in beiden Kirchen und auch in Schwaben und Oberbayern. Darauf deuten Recherchen unserer Redaktion hin.
Axel Piper, Regionalbischof des Kirchenkreises Augsburg und Schwaben, geht ebenfalls davon aus. „Es ist schade und es schmerzt, dass sich die Menschen aus verschiedenen Gründen abwenden“, sagte er. In der Corona-Krise sieht er gleichwohl eine Chance: Über soziale Medien, Rundfunk und Presse hätten sich viele Menschen erreichen lassen. Die offizielle Kirchenstatistik mit den Gesamtzahlen beider Kirchen wird Ende Juni veröffentlicht. Es wird ein schlechter Tag für Kirchenverantwortliche werden.