„Wir können uns noch retten“
Der Historiker Sir Christopher Clark über Sinn und Unsinn des Reisens – und darüber, dass Mensch und Natur kein Gegensatz sind
Sir Christopher, in einer Zeit, in der die Flugzeuge am Boden bleiben, kann der Zuschauer mit Ihnen im Fernsehen auf Weltreise gehen. Viele Stätten des Unesco-Weltkulturerbes sind normalerweise TouristenHotspots. Haben Sie deshalb auch Klagen von Einheimischen gehört? Christopher Clark: Nein, eigentlich nicht. Viele Menschen haben ihr Wohlwollen ausgedrückt. Sie haben sich gefreut, dass wir uns diesen Objekten nicht nur im Rahmen eines touristischen Programms, sondern wirklich ernsthaft nähern. Wir wollten die Logik dieser Orte verstehen, ihren Hintergrund und ihre Bedeutung. Insofern haben wir keine Klagen bekommen. Trotzdem ist vollkommen richtig, was Sie sagen. Wir dürfen ja nun überhaupt nicht mehr reisen. Als ich die Kommentare aufgenommen habe, war es für mich merkwürdig zu sehen, mit welcher Sorglosigkeit wir uns in der Menge bewegt haben, zum Beispiel in Indiens vollgepfropften Straßen. Ich empfand es immer als schön, mitten in der Menge zu sein. Zwischen dem Moment der Dreharbeiten und der Ausstrahlung besteht für mich eine große Diskrepanz. Durch die Isolierung, den Lockdown und Quarantänemaßnahmen haben wir ein Gefühl für die Zusammengehörigkeit der Menschen bekommen. Paradoxerweise mussten wir dazu erst voneinander getrennt werden. Insofern lohnt sich gerade jetzt ein Nachdenken über die Bedeutung des Weltkulturerbes.
Muss man wirklich alles selbst erleben oder sollten wir im Interesse dieses Erbes unser Reiseverhalten überdenken? Clark: Ich befinde mich gewiss nicht in der Position, zu sagen: „Ihr müsst dort nicht hin, ich war für Euch dort.“Es wäre etwas dumm, sich so zu äußern. Aber natürlich stimmt das. Am schlimmsten war es für mich in Venedig. Wenn wir als sechsköpfiges Team dorthin reisen, sind wir natürlich ein Teil des Problems. Das ist ein Paradox der Moderne und ich weiß nicht, wie man das lösen kann. Die Menschen sind mobiler geworden. Natürlich wollen sie an diese schönen Orte. Aber indem sie in riesigen Massen dorthin strömen, zerstören sie diese Reiseziele. Wir sind alle Touristen, aber viele von uns sind auch Anti-Touristen. Wir haben ein schlechtes Gewissen und denken, eigentlich ist es schlimm, was wir tun. Ist es die Antwort, zu Hause zu bleiben? Ich weiß es nicht. Das ist eine Schlüsselfrage der Moderne. Es ändert aber nichts an einer Aufgabe, die wir uns gestellt haben: Durch diese Filme, in denen wir vier bis fünf Millionen Zuschauer fremde Kulturen zeigen, auch zum Verständnis und zur Toleranz beizutragen.
Haben Sie selbst auf den Reisen noch viel dazugelernt?
Clark: Immer wieder. Bei der „Deutschland-Saga“hatte ich als Historiker natürlich ein bisschen Hintergrundwissen über Europa. Über Angkor Wat wusste ich zum Beispiel sehr wenig, ich musste mich in solche Bereiche hineinlesen. Dieses Wissen wird vor Ort wahnsinnig
Kschnell vertieft, durch Gespräche mit Experten und Ortsansässigen, Archäologen und Museumsdirektorinnen. Als Historiker, der nicht in seinem angestammten Bereich arbeitet, bringt man typische Fragen mit. Wie hat sich das Verhältnis zwischen diesem Ort und der staatlichen Autorität mit der Zeit geändert? Welche sind die unterschiedlichen Epochen dieses Objektes? Wann wurde es erschaffen und was befindet sich darunter? Wir erleben es oft, dass ein Tempel auf den Überresten eines anderen errichtet wurde. Oder eine Kirche steht auf einem ehemaligen Tempel. Besonders in Lateinamerika sind die Objekte aufeinandergehäuft. Wenn man tiefer gräbt, stößt man auf eine ältere Kultur, die vielleicht gewaltsam ausgelöscht oder besiegt wurde. Man bringt nicht immer Hintergrundwissen mit, aber diese Fragen.
In der Menschheit sind Macht und Gewalt seit jeher eng verflochten. Viele der Kulturen sind auch deshalb in der Bedeutungslosigkeit versunken. Haben wir Menschen einen Hang zur Selbstzerstörung? Clark: Auf jeden Fall einen Hang zur Zerstörung von anderen Menschen. Es ist ein komplexer und heikler Aspekt dieser Objekte, dass sie auch oft Orte der Gewalt waren. Wenn man sich die Aztekentempel in Mexiko anschaut, haben sie auch etwas Sakrales und sind mit Menschenopfern verbunden. Leute wurden getötet und ihre Herzen dem Himmel entgegengestreckt. Sie wurden Opfer eines religiösen Ritus. Es gibt viele Orte mit einer solchen Vergangenheit. Andere Weltkulturerbestätten deuten auf etwas ganz anderes hin, zum Beispiel auf das Überleben in schwierigen Situationen. Wir haben die Wüstenstadt Yazd im Iran besucht und sind auf unglaublich kluge Lösungen im Umgang mit dem kostbaren Wasser gestoßen. Oder auf ausgeklügelte Methoden zum Wärmeaustausch, um Gebäude in großer Hitze mithilfe von Wasser und Wind zu kühlen. Es ist nicht immer nur Gewalt im Spiel, auch menschliche Klugheit und Erfindungsreichtum. Interessant ist auch, wie diese Stätten miteinander eine Frage, die Masken nerven! Man bekommt mit ihnen über Mund und Nase schwerer Luft, man muss viel lauter sprechen, man sieht viel weniger Lächeln in den Gesichtern und Langhaarträgerinnen und -träger können ein Lied von verknoteten Haaren in Maskengummis und -bändern singen. Ebenfalls keine Frage: Es ist gut und richtig, dass es zurzeit eine Maskenpflicht gibt, weil so weniger Aerosole mit Coronaviren im Raum verteilt werden. Hätte es zu Beginn der Corona-Krise keinen MaskenNotstand gegeben und jeder hätte sich im Baumarkt mit weißen FFP2-Masken eindecken können, hätte sich die Mode-Frage wohl auch nicht gestellt. Schutz über Style, ganz klar. So aber müssen viele Selfmade-Mund-NaseSchutz aus Stoff tragen, dadurch geht’s automatisch schon bunter zu.
Natürlich ist so eine Maske in erster Linie kein Mode-Accessoire, der medizinische Nutzen hat oberste Priorität. Trotzdem spricht nichts dagegen, sich eine Gesichtsmaske auszusuchen, die einem auch gefällt – wenn das denn angesichts der begrenzten Auswahl überhaupt möglich ist. Wir tragen ja auch nicht alle die gleiche Brille. Hübsches Muster, Lieblingsfarbe – das ändert am Nutzen der Maske nichts, trägt aber vielleicht ein bisschen dazu bei, dass man oder zumindest das Kind seine Maske lieber aufsetzt. Die Muster haben übrigens noch einen Vorteil: Wenn nicht jede Maske im Fundus gleich aussieht, behält man einfacher den Überblick, welche wieder gereinigt werden muss und welche Maske wem in der Familie gehört. Auch wenn’s in diesen Zeiten hinterm Mundschutz keiner sieht, sorgt manch Maske eines Mindestens-1,5-Meter-Abstand-Gegenübers doch auch für ein Lächeln, weil lustig, hübsch oder auch schräg. Und das tut doch auch mal gut. kommunizieren. Sie sind fast nie das Destillat einer einzelnen Kultur, die sich abgeschottet hat. Im Gegenteil, sie sind fast immer Orte der Verbindungen zwischen verschiedenen Kulturen. Das macht ihren Reiz und ihre Faszination aus.
Sind Sie als Historiker für die Wunder der Natur ebenso empfänglich wie für Altertümer?
Clark: Natürlich, aber nicht als Naturwissenschaftler, sondern als Mensch. Wenn man auf Galapagos einer Schildkröte begegnet, die vielleicht 120 Jahre alt und vor dem Ersten Weltkrieg aus dem Ei geschlüpft ist, dann bekommt man Gänsehaut. Ein schönes, uriges Tier, das so würdevoll durch das Gras stolziert.
Wie werden Historiker in ein paar hundert Jahren das frühe 21. Jahrhundert beurteilen?
Clark: Alles hängt davon ab, ob wir den Gefahren, die uns bedrohen, auf eine Weise begegnen, die ihnen gerecht wird. Wenn uns das gelingt, wird es heißen, dass da der Weg aus der Finsternis seinen Anfang nahm. Wenn wir das nicht tun, wird man sagen, dass das der Anfang vom Ende war. In vielen Büchern und Filmen wird über das nachgedacht, was nach der Menschheit kommt. Wie wird es aussehen, wenn unsere menschliche Gesellschaftsordnung kaputt geht? Was übrig bleibt, sind ein paar unterirdische Bunker für die CEOs der großen Tech-Firmen. Alle anderen sind tot oder wandeln in einem wilden Zustand herum. Ich sage: Schluss mit diesen dummen Fantasien! Wir haben noch die Möglichkeit zu retten, was gerettet werden muss. Ich rede nicht nur von den Problemen des Planeten, auch von den gesellschaftlichen Ungleichheiten, die durch die Corona-Krise noch stärker sichtbar geworden sind. Wir müssen nicht nur die Umwelt pflegen, sondern gleichzeitig die Menschen. Wir müssen verstehen, dass Natur und Mensch kein Gegensatz sind. Es ist alles ein Kontinuum. Und nur wenn wir aufeinander und auf die physische Umgebung aufpassen, kann es besser werden.
Interview: André Wesche.
Chiffon ja noch nicht einmal etwas bringt, die Viren ungehindert sich durch kleine Glitzersteinchen ihren Weg bahnen. Die Schutzfunktion ist ja aber der einzige Grund, weshalb man sich den Mundschutz überzieht. Die Frage aber nun natürlich: Warum? Warum aus dem Übel nicht das Beste machen, sich die hippe Maskensammlung zulegen und die Umwelt beeindrucken, indem man beispielsweise ganz selbstverständlich Leopardenprint auf dem Mund mit lässigem Nadelstreifen kombiniert? Weil eine Maske eine Maske eine Maske ist. Weil ihre Schönheit im Nutzen liegt. Je schlichter, umso besser daher. Weil man die Dinger sobald wie möglich wieder loswerden möchte. Und weil die Vorstellung ganz fürchterlich ist, dass sich der Trend zur Maske verselbstständigt, die Menschen sich an die Stofffetzen gewöhnen, sie am Ende sogar lieb gewinnen. Nö, das aber braucht man wirklich nicht!