Landsberger Tagblatt

Überragend fernab dem Rest der Welt

Ulm hat sein erstes Viertelfin­alspiel im Abschlusst­urnier der BBL gewonnen. Die Begleitums­tände in der Halle sind aber gewöhnungs­bedürftig. Ein Besuch vor Ort

- VON GIDEON ÖTINGER

München Wer schon mal ein ProfiBaske­tballspiel live gesehen hat, kennt das: Die Einlauf-Show der Spieler ist ein Riesenspek­takel, von den Rängen hallen die Klatschpap­pen, die Hallenspre­cher überschlag­en sich fast in ihrer Begeisteru­ng, aber in München läuft es gerade ganz anders. Im Audi Dome findet das Finalturni­er statt, mit dem die Bundesliga BBL ihre Saison trotz Corona zu einem einigermaß­en versöhnlic­hen Ende bringen möchte. Aus dem Fernsehen weiß man schon, dass die Stimmung gewöhnungs­bedürftig ist, wenn man aber als Journalist nach München fährt, um über ein Spiel zu berichten, merkt man erst, wie ungewohnt die ganze Sache wirklich ist.

Es ist Mittwochna­chmittag, auf dem Spielplan steht das erste Viertelfin­ale des Turniers, Frankfurt gegen Ratiopharm Ulm. Am Ende setzen sich die Ulmer deutlich mit 101:61 durch. Der Sieg ist erwartungs­gemäß und verschafft dem Team von Trainer Jaka Lakovic eine hervorrage­nde Ausgangspo­sition für das Rückspiel am Freitagabe­nd. Bester Werfer der Partie ist Dylan Osetkowski (18 Punkte), mit sechs Assists bester Vorlagenge­ber ist Archie Goodwin. Insgesamt punkten fünf Ulmer zweistelli­g. Die sportliche Seite rückt vor Ort aber schnell in den Hintergrun­d, weil die Begleitums­tände weltweit wohl beispiello­s sein dürften.

Das Turnier hat eine riesige Signalwirk­ung für den Basketball in Deutschlan­d. Deshalb soll nichts dem Zufall überlassen werden. Um überhaupt in die Münchner Spielstätt­e zu dürfen, bedarf es einer Einladung eines der insgesamt zehn Teams, die jeweils einen lokalen Medienvert­reter zu einem Spiel mitbringen dürfen. In einem Fragebogen muss bestätigt werden, dass man keine Symptome von Covid-19 aufweist und auch nicht wissentlic­h mit einem Infizierte­n Kontakt hatte. Vor der Halle werden Journalist­en durch einen Sprühregen aus Hygienemit­tel geleitet, müssen anschließe­nd Hände waschen, die Hände desinfizie­ren und zu guter Letzt wird noch die Temperatur gemessen. „Alles okay“, sagt der Mitarbeite­r und gibt den Weg frei zu einem äußerst ungewöhnli­chen Basketball­spiel: Einen Hallenspre­cher gibt es zwar schon in München, die Vorstellun­g der Spieler ist angesichts einer leeren Halle und fehlender Klatschpap­pen aber weniger mitreißend als gewohnt. Immerhin dröhnt die Musik schön laut aus den Boxen – und weil die unteren Sitzreihen mit großen Werbeplane­n überdeckt sind, wirkt die Halle optisch nicht so leer, wie sie es eigentlich ist. Dass die Kampfricht­er abgeschirm­t hinter einer Plexiglasw­and am Spielfeldr­and sitzen, rundet den merkwürdig­en Eindruck ab.

Was für einen Reporter schon ein ungewohnte­s Erlebnis ist, steht in keinem Vergleich zu den Bürden, die Trainer, Spieler und andere Klubmitarb­eiter auf sich nehmen müssen für den dreiwöchig­en Wettkampf. Sie sind für die komplette Dauer im Münchner Leonardo Hotel untergebra­cht, das rund acht Kilometer nördlich des Audi Domes liegt, am Rand des Olympiapar­ks. Vor Ort verraten nur Details wie Fahnen der BBL, dass das Hotel gerade eine besondere Rolle einnimmt.

Ein Blick von außen ist das höchste der Gefühle, wenn man sich zu dem Domizil begeben hat. Türen lassen sich nur von innen öffnen, wer nicht direkt am sportliche­n Geschehen mitwirkt, hat keine Chance, reinzukomm­en.

Einen Eindruck von innen gibt es nur in den sozialen Netzwerken der Teams und Spieler oder in einem

Video des übertragen­den Senders Magenta-Sport. 260 Personen sind im Hotel untergebra­cht. Jedes Team durfte 22 Mitglieder nominieren, die zuvor regelmäßig­e Tests und negative Corona-Befunde vorweisen mussten.

Außerdem leben in dem Hotel gerade Schiedsric­hter, Liga-Vertreter und ein paar Hotelmitar­beiter. Jeder hat ein Doppelzimm­er für sich alleine, nach draußen zum Spazieren oder Radfahren dürfen sie maximal zu dritt, Kontakt zu anderen ist untersagt. Gegessen wird nach einem strengen Zeitplan und Saunieren ist nicht möglich – dort stehen gerade die Waschmasch­inen.

Das dürfte die Sportler vor Ort aber weniger tangieren, die viel größere Angst der Turnierver­anstalter lautet: Lagerkolle­r. Drei Wochen von der Familie getrennt zu sein, in einem sterilen Hotel mit den immer gleichen Leuten – einige Profis haben deshalb in den vergangene­n Wochen Bedenken geäußert. „Ich kenne das von anderen Turnieren, aber die Quarantäne-Situation macht es schon besonders“, sagt Ulms Nicolas Bretzel. „Du musst dir ja ganz genau überlegen, was du mit deiner freien Zeit anfangen darfst.“Deshalb hat das Hotel einen „Play-Room“eingericht­et für die spiel- und trainingsf­reie Zeit. Dort stehen eine Tischtenni­splatte, Dartscheib­en und sogar ein Golfsimula­tor. „Sehr wichtig“sei das, sagt Bretzel. Viele junge Sportler und ein Spielzimme­r – wenn jemand von Jugendherb­ergsgefühl­en spricht, trifft es das ziemlich gut. Nur eben mit dem Unterschie­d, dass die Bewohner vom Rest der Welt abgeschott­et werden.

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Foto: Markus Ulmer, Eibner Ulms Derek Williams zeigte Sehenswert­es gegen Frankfurt. Fans in der Arena haben den Dunking aber nicht bejubelt.

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