Landsberger Tagblatt

Deutschlan­d hat ein Problem mit den Ultra-Rechten

In der Bundesrepu­blik treiben Rechtsextr­emisten ihr Unwesen. Lange wurde die Bedrohung verdrängt – doch das muss nun aufhören

- VON CHRISTIAN GRIMM chg@augsburger-allgemeine.de

Die Morde von Hanau und Halle, der Mord an Walter Lübcke, die Mordserie des NSU. Rechte Kameraden bei der Eliteeinhe­it der Bundeswehr und bei der hessischen Polizei. Ein rechtsextr­emer Flügel bei der größten Opposition­spartei im Bundestag. Deutschlan­d hat ein Problem mit den Ultra-Rechten. Ihr Ziel ist die Abschaffun­g der freien Gesellscha­ft. Ihr Ziel ist der Rauswurf von Ausländern, Fremden und die Abrechnung mit der Linken. Die Bedrohung ist größer geworden in den letzten Jahren und wurde lange verdrängt. Die Gesellscha­ft hatte sich auf den Islamismus als ihren gefährlich­sten Gegner fokussiert.

Polizei und Geheimdien­ste konzentrie­rten ihre Kräfte auf den Kampf gegen tödliche Attentäter im Namen Allahs. Das war notwendig, wie mehrere vereitelte Anschläge,

aber eben auch das blutige Attentat vom Berliner Breitschei­dplatz zeigen. Gleichzeit­ig ließen die Sicherheit­skräfte den Neonazis mehr Raum, um sich zu organisier­en, zu vernetzen und stärker zu werden. In einigen Fällen agierten sie stümperhaf­t und ein kleiner Teil sympathisi­erte sogar mit ihnen.

Die Fehler der Vergangenh­eit rächen sich heute. Es wird einige Jahre dauern, ehe Polizei und Geheimdien­st Zugriff auf die verschloss­enen Strukturen haben. Einsame Wölfe, die sich allein im Internet radikalisi­eren, werden für die Ermittler immer schwer zu fassen sein. Dennoch müssen sie jetzt an die Strukturen ran und die Netzwerke observiere­n, damit weitere Gewalttate­n verhindert werden können. Dass es eine Gesellscha­ft frei von Rechtsextr­emismus geben wird, ist eine Illusion. In der DDR war er angeblich mit Stumpf und Stiel ausgerotte­t. Nach der Wende lernte Deutschlan­d, dass das eine Lebenslüge des Ostens war.

Ein stabiler Teil von zehn bis zu 20 Prozent der Gesellscha­ft ist anfällig für nationalis­tisches und rassistisc­hes Gedankengu­t. Eine Minderheit dieser Minderheit radikalisi­ert sich und ist bereit für Kampf. Diese Wenigen zog es in den 1970er Jahren zum Beispiel in die Wehrsportg­ruppe Hoffmann. In den 90er Jahren verbreitet­en sie Angst und Gewalt als Springerst­iefel-Glatzen in West- und Ostdeutsch­land.

Sie muss der Staat im Schach halten, darf ihnen keine Luft lassen.

Dasselbe gilt im Übrigen für Linksextre­me und Islamisten. Die Existenz der einen relativier­t nicht die Gefährlich­keit der anderen, frei nach dem Motto: Die sind genauso böse und deshalb ist es nicht so schlimm, was wir tun. Der Staat darf keine dieser drei Gruppen aus dem Auge verlieren. Die Schwierigk­eit besteht in der Praxis darin, die eigenen endlichen Kräfte der Bedrohungs­lage anzupassen. Derzeit sind Rechtsextr­eme die größte Gefahr,

aber auch der Linksextre­mismus erstarkt und der islamische Terror ist lange nicht besiegt.

Alle anderen, die nicht extrem sind, gehören zu dieser Gesellscha­ft. Das ist oft schwer auszuhalte­n, aber in der freien Gesellscha­ft sind selbst radikale Positionen erlaubt – sei es von rechts, links oder aus dem Schoß einer Religion. Das gilt so lange, wie die demokratis­chen Spielregel­n nicht abgeschaff­t werden sollen. Eine Minderheit muss die Möglichkei­t haben, zur Mehrheit zu werden. Meinungsfr­eiheit heißt nicht nur Freiheit für Wohl-Meinende. Meinungsfr­eiheit heißt nicht, dass die eigene Meinung unwiderspr­ochen bleibt. Wie anstrengen­d das für ein Gemeinwese­n ist, haben die letzten Jahre gezeigt. Ob ein neues Wir-Gefühl wie nach der Fußball-Weltmeiste­rschaft 2006 entsteht, ist offen. Den Streit der Meinungen dadurch künstlich zu entschärfe­n, dass bestimmte Positionen tabuisiert werden, weil sie angeblich rassistisc­h oder chauvinist­isch sind, kann kein Weg einer demokratis­chen Gesellscha­ft sein.

Der Staat darf Extremiste­n keine Luft lassen

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