Landsberger Tagblatt

„Mercron“und der Gipfel der Mühseligke­it

Es hat lange gedauert, bis Angela Merkel und Emmanuel Macron wieder zur alten deutsch-französisc­hen Achse zusammenfa­nden. Doch das Gespann muss beim EU-Gipfel miterleben, wie sich Europa verändert

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Angela Merkel und Emmanuel Macron: Wäre das Bild nicht schon wegen des Altersunte­rschiedes (42 und 66) so schief – man hätte die beiden für das reif gewordene Elternpaar halten können, das mit seinen Nachkommen die typischen Streitritu­ale ausficht und böse Blicke verteilt. Hier der französisc­he Präsident, der auch mal heftig auf den Tisch schlägt und weniger über Details als wieder einmal über den großen Entwurf Europas referiert. Da die deutsche Bundeskanz­lerin, die beispielsw­eise die dänische Amtskolleg­in Mette Frederikse­n auch mal angeraunzt hat, weil die 42-Jährige in der großen Runde dieses EU-Gipfels davor warnte, die Rechtsstaa­tlichkeit nicht über Bord zu werfen – und Merkel sich offenbar angesproch­en fühlte.

Das Bild vom Treffen „Mercrons“und den sogenannte­n „Frugal Five“, was in Brüssel nur noch mit den „geizigen Fünf“übersetzt wird, hat etwas von Familienko­nferenz. Paris und Berlin sind erbost, ja verbittert, weil die (jungen?) Wilden die Großtat eines Aufbau-Fonds mit rund 500 Milliarden Euro nicht würdigen. Das deutsch-französisc­he Gespann hatte sich nach etlichen Differenze­n vor allem um Macrons europapoli­tische Zukunftsen­twürfe entzweit. Doch in der Krise fand es mehr als zusammen. Bei diesem EU-Gipfel traten sie entweder geAls meinsam auf oder arbeiteten einander zu. Doch sie konnten nicht verhindern, dass sich andere in den Vordergrun­d spielten.

Da war natürlich Viktor Orbán, der ungarische Premier, der sobald die Forderung nach Rechtsstaa­tlichkeit auch nur anklang, in den Kampfmodus wechselte. Der es sich sogar leistete, seine Gegner auf den Arm zu nehmen, als er sagte: „Wer die Rechtsstaa­tlichkeit nicht akzeptiert, sollte die EU verlassen.“Das war weder lustig noch bissig, sondern schlicht unverschäm­t. Eine Reaktion Merkels oder Macrons ist nicht überliefer­t. Wohl aber die mehr oder minder offenen Konfrontat­ionen mit dem eigentlich­en Buhmann dieses Gipfels: Mark Rutte.

Der niederländ­ische Premier dozierte – unterstütz­t von seinem Sekundante­n, dem österreich­ischen Kanzler Sebastian Kurz – in aller Offenheit darüber, dass „Deutschlan­d und Frankreich nicht einen Vorschlag vorlegen und dann erwarten können, dass alle anderen nur noch zustimmen“. Rutte steht im Wahlkampf. Er muss seine bürgerlich­e Koalition im nächsten Frühjahr gegen die immer wieder erstarkend­en Rechtspopu­listen verteidige­n. Der Versuch, das EU-Abkommen über engere Beziehunge­n mit der Ukraine zu ratifizier­en, scheiterte zwei Mal. Rutte ist in seinem Land beliebt, die EU nicht.

Die Niederländ­er mögen die hemdsärmel­ige Art ihre Premiers. Rutte mitten in der Coronaviru­s-Krise einen Supermarkt besuchte und von einer Kundin auf die Versorgung­sengpässe bei Toilettenp­apier angesproch­en wurde, antwortete der Regierungs­chef vor laufenden Kameras: „Es gibt so viel Vorrat, dass wir zehn Jahre kacken können.“Den Kontakt mit der Außenwelt hält er mit einem Uralt-Nokia-Handy. Er habe, so bestätigte er einmal, nie gelernt, „schnell auf einem iPhone zu tippen“.

Doch innerhalb der Staats- und Regierungs­chefs stößt seine Art andere schon mal vor den Kopf. So beim ersten Haushaltsg­ipfel der Union im Februar. „Ich weiß nicht, was ich bei diesem EU-Gipfel diskutiere­n soll, und habe mir die neue Chopin-Biografie mitgenomme­n“, sagte er damals schmunzeln­d den wartenden Journalist­en. Denn ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s seines Landes werde er „sicher nicht“nach Brüssel überweisen.

Angela Merkel war ob dieses Auftritts – britisch gesagt – „not amused“. Der studierte Historiker Rutte, der bekennende­r Single ist und das Radfahren ebenso liebt wie seinen alten Saab, blockierte am Freitag erst mal den Aufbau-Fonds und die vorgesehen­en 500 Milliarden Euro, die in seinen Augen quasi verschenkt werden sollten. Gemeinsam mit den Regierungs­chefs aus Dänemark, Schweden und Österreich (später kam auch noch Finnland dazu), handelte er Merkel und Macron – sowie EU-Ratspräsid­ent Charles Michel, aber der spielt nur eine kleine Rolle – auf 400 Milliarden an Zuschüssen herunter. Dann am Montagmorg­en betonte Rutte, mehr als 350 Milliarden werde man nicht akzeptiere­n – daraus wurden dann schließlic­h 390 Milliarden.

Tapfer sprach Merkel, als sie am Montagmitt­ag zurück aus Berlin wieder in Brüssel zum Showdown gelandet war, von einem „Rahmen für eine mögliche Einigung“, der

„ein Fortschrit­t“sei und „Hoffnung gibt.“Um dann trotzig hinzufügen: „Ich bin sehr froh, dass wir – der französisc­he Präsident und ich – im Mai den Vorstoß für ein wirklich substanzie­lles Programm gemacht haben.“Zwar seien die Verhandlun­gen weiter hart, aber „außergewöh­nliche Situatione­n erfordern eben auch außergewöh­nliche Anstrengun­gen“. Wenig später klang der französisc­he Präsident nur unwesentli­ch anders. Merkel und Macron, das wurde klar, brauchen einander in Europa dringender denn je, weil ihr Wort nicht mehr unwiderspr­ochen bleibt.

Die EU verändert sich. „Man hat manchmal den Eindruck, dass die

Europäisch­e Union sich in vier Teile aufteilt, den Norden, den Süden, den Osten, den Westen“, analysiert der luxemburgi­sche Außenamtsc­hef Jean Asselborn. „Und man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhä­lt“. Asselborn kritisiert offen den politische­n „Kleinkräme­rgeist“vieler Regierungs­chefs, die vor allem das eigene Interesse im Auge haben.

Zumindest dieser Vorwurf trifft auf Merkel und Macron kaum zu. Der französisc­he Präsident gilt seit jeher als Anwalt des Südens, vor allem Italiens und Spaniens. Merkel wird Nähe zu den Ost-Ländern nachgesagt. Beiden könnten sich eine gewichtige Achse innerhalb der EU aus Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Spanien und Polen vorstellen, heißt es. Wenn auch nicht unter Polens heutiger Regierung.

Ein Durchbruch beim Gipfel gilt dennoch als Signal Europas, dass man solidarisc­h zueinander­steht, auch wenn die „Geizigen Fünf“mit dem Ruf der Bremser leben müssen. Macron, so wird kolportier­t, werde weiter den europäisch­en Vordenker geben und eigne sich nicht als Integratio­nsfigur. Bleibt also nur Merkel. Doch mit ihrer Wandlung von der eisernen Spar-Kanzlerin zur großzügige­n Europäerin kommen nicht alle klar. Zumal bisher niemand weiß, wer der Regierungs­chefin in Berlin nachfolgen und welchen Kurs die Bundesrepu­blik in Europa dann einschlage­n wird.

„Man man weiß nicht mehr genau, was in der Mitte das Ding zusammenhä­lt.“Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn über die zunehmende Spaltung der EU

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Foto:Francisco Seco. dpa Ausgebrems­t: Kanzlerin Angela Merkel, EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und der niederländ­ischen Premier Mark Rutte (links).

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