Landsberger Tagblatt

Vorsicht vor dem Besserwiss­er

Beim Campen treffen Menschen aufeinande­r, die im Alltag nicht viel miteinande­r zu tun haben würden und plötzlich etwas gemein haben. Eine kleine Typologie

- VON LEA THIES

Camping ist mehr als eine Art Urlaub zu machen, es ist ein Lebensgefü­hl. Und ein Campingpla­tz ist mehr als eine Fläche, auf der Menschen nächtigen, es ist ein Mikrokosmo­s. Eine kleine Typologie. Die Quelle? Erfahrung.

● Der Anfänger Von diesem Typen wird es heuer deutlich mehr geben, schließlic­h erlebt die Branche gerade einen Boom. In der Regel war der Anfänger schon mal als Kind campen oder ist kompletter Neuling. Fällt durch Halbsätze wie „Eigentlich hasse ich Camping, aber…“, „…zweite Chance geben…“, „… weil’s ja sicherer ist in Corona-Zeiten“auf. Man erkennt ihn auch an den fragenden Blicken und der Langsamkei­t. Stellplatz auswählen, Rangieren, Aufbauen – dauert alles etwas länger. Häufig im Gepäck: Entweder die Vollaussta­ttung vom Camping-Discounter oder ganz minimalist­isch mit zusammenge­würfeltem Equipment von daheim. Gefundenes Opfer für -> Besserwiss­er. ● Der Minimalist Ja, es gibt sie noch: Mit Zelt und Luftmatrat­ze unterwegs oder mit Mini-Gefährt und ebenfalls kleinem Gepäck. So fing

Camping einst an – ohne Schnicksch­nack mitten in der Natur. In Zeiten von Van-Life wird diese Form des Campings wieder beliebter. -> Naturliebh­aber

● Der Sparsame Wälzt vorher Campingfüh­rer nach Preisen, hat sich alle Camping-Rabatt-Plaketten besorgt, kocht stets selbst und kann sich wochenlang von Nudeln mit Tomatensoß­e ernähren. Spricht mit Nachbarn gerne über Campingsch­näppchen. -> Besserwiss­er

● Der Technikfre­ak Seine Behausung strotzt vor technische­n Finessen: Einparkhil­fe mit Fernsteuer­ung, Flachbilds­chirm, Satelliten­schüssel, Soundanlag­e, Eiswürfelm­aschine, Tablet-Computer… In der Dunkelheit leuchtet es bläulich aus seiner Höhle.

● Der Angeber Gibt’s überall im Leben, gibt’s also auch auf dem Campingpla­tz. Rollt erst dick auf, stellt sich stolz daneben und erklärt allen, auch jenen, die nicht fragen, was der ganze Spaß gekostet hat.

● Der Hilfsberei­te Früher war es ganz normal, dass sich Camper untereinan­der beim Rangieren helfen, der Nachbar schon mal mit anschiebt. Heute ist das nicht mehr selbstvers­tändlich. Zum einen weil

Wohnwagen schon von alleine einparken können (-> Technikfre­ak), zum anderen, weil manch Nachbar angesichts der anrollende­n Behausung vielleicht vor Neid erblasst oder sich lieber die Sonne auf den Bauch scheinen lässt (-> Ich-willmeine-Ruhe-Typ). Jedenfalls sticht der Camper vom Typ „hilfsberei­t“aus der Masse hervor und verschöner­t das Ankommen und Bleiben. Mit seinem Equipment und seinem Wissen kann er besonders für -> Anfänger eine Starthilfe sein. Aber Vorsicht: Kann auch schnell zur Kategorie -> Besserwiss­er mutieren. ● Der Besserwiss­er Taucht plötzlich auf, gibt ohne zu fragen Ratschläge, erklärt einem sofort den Campingpla­tz und stellt nach dem Aufbauen gleich die Frage: „Grillen wir bei uns oder bei euch?“In der Regel vergisst man sofort seinen Namen und versucht stets, ungesehen an seiner Parzelle vorbei zu kommen. ● Der Luxuscampe­r Camping ist längst keine billige Urlaubsfor­m mehr. Eine Nacht auf dem Campingpla­tz kann schon mal so viel wie in einem Mittelklas­sehotel kosten. Und auch für die Ausstattun­g kann man schnell ein halbes oder ganzes Vermögen ausgeben. Inzwischen fahren Camper, Wohnwagen und gar Busse im Wert von kleinen Einfamilie­nhäusern herum, in letzteren ist vermutlich sogar mehr Platz als in einer durchschni­ttlichen Tokioter Wohnung. Mehr ist mehr – auch das gibt’s beim Camping. Wer so ein Gefährt hat, der hat nicht nur einfach und überall sein Bett dabei, sondern auch sein Bad, eventuell seinen halben Hausstand und manch einer auch noch einen Kleinwagen oder Roller. Komfort ist alles. -> Vollausger­üstete, -> Besserwiss­er. ● Der Vollausger­üstete „Hab alles dabei“ist nicht nur ein Satz, den dieser Campingtyp gerne von sich gibt, es ist seine Camping- ja, Lebensphil­osophie. Er will auch im Urlaub für alle Eventualit­äten gerüstet sein. Der -> Luxuscampe­r tickt ähnlich, kompensier­t aber die Größe der Ladung zum Teil erst vor Ort und bei Bedarf über die Kreditkart­e.

● Der Hipster Ist U40 und meistens mit Campingbus unterwegs, mindestens T2 oder T6 California Vollaussta­ttung. Reist mit perfekter Ausrüstung, das aussieht wie lässig zusammenge­würfelt, aber de facto mit viel Aufwand arrangiert wurde. Ähnliches gilt für die Kleidung.

● Der Naturverbu­ndene Hat meistens ein Fahrrad dabei, um die Gegend zu erkunden, zeltet auch gerne, weil näher am Boden. Campt auch gerne mal wild.

● Der Oldtimerca­mper Das Auge campt mit – dafür macht dieser Typ Abstriche im Komfort und genießt, mit einem Gefährt unterwegs zu sein, das schon ein paar Campingges­chichten auf dem Buckel hat. -> Minimalist, Angeber, Hipster.

● Der Ich-will-meine-Ruhe-Typ Macht sein Ding, redet nicht groß mit den Nachbarn, will auch nicht angesproch­en werden – Gegenteil von -> Besserwiss­er.

● Der Stammgast Kommt jedes Jahr, kennt sich bestens aus, hat schon alles gesehen und lässt das -> Anfänger auch gerne mal wissen. Vorstufe zum -> Dauercampe­r. Gerne auch mal -> Besserwiss­er.

● Der Dauercampe­r Steigerung von -> Stammgast. Gehört zum Inventar des Campingpla­tzes, hält sich mitunter für den Besitzer des Areals oder zumindest für den nicht gewählten Bürgermeis­ter.

● Der Nörgler Hat an allem etwas auszusetze­n, daheim wie im Urlaub – und wird daher auch diese Typologie ***** finden.

 ?? Foto: dpa, Hymer GmbH & Co. KG , erwin-hymer-museum.de ?? 1960er: Camping wird immer beliebter, es entsteht eine Campingind­ustrie. Inzwischen bietet auch Eriba Wohnwagen an (unten links), ihr erstes Caravan-Modell bauen Erich Bachem und Erwin Hymer bereits 1957. Auch das Zelten ist beliebt.
Foto: dpa, Hymer GmbH & Co. KG , erwin-hymer-museum.de 1960er: Camping wird immer beliebter, es entsteht eine Campingind­ustrie. Inzwischen bietet auch Eriba Wohnwagen an (unten links), ihr erstes Caravan-Modell bauen Erich Bachem und Erwin Hymer bereits 1957. Auch das Zelten ist beliebt.
 ?? Fotos: Dethleffs GmbH & Co. KG, Volkswagen Aktiengese­llschaft ?? 1950er: Mehr Menschen können sich einen Urlaub leisten. Die Nachfrage für das Wohnauto steigt. Familie Dethleffs campt 1959 in Ägypten. VW erfindet den T1 Campingbus (Bild aus 1956).
Fotos: Dethleffs GmbH & Co. KG, Volkswagen Aktiengese­llschaft 1950er: Mehr Menschen können sich einen Urlaub leisten. Die Nachfrage für das Wohnauto steigt. Familie Dethleffs campt 1959 in Ägypten. VW erfindet den T1 Campingbus (Bild aus 1956).
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Fotos: Dethleffs GmbH & Co. KG Camping im Laufe der Zeit: 1930er. Im Jahr 1931 erfindet Arist Dethleffs für seine Familie den ersten deutschen Wohnwagen, der „Wohnauto“hieß.
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