Landsberger Tagblatt

An Rente ist nicht zu denken

Vor einem Jahr war Kanzlerin Angela Merkel fast abgeschrie­ben. In ihrer letzten Amtsphase steht sie vor gewaltigen Herausford­erungen – und gibt sich dennoch entspannt

- VON STEFAN LANGE

Berlin Auf die Frage nach einer Einschätzu­ng ihrer historisch­en Leistung als Politikeri­n lächelt die Kanzlerin ihr typisches schelmisch­es Merkel-Lächeln. „Nee“, sagt Angela Merkel, „daran beteilige ich mich nicht, das überlasse ich Ihnen“. Sie meint die vielen Journalist­en, die in der Bundespres­sekonferen­z ihre traditione­lle Sommerpres­sekonferen­z verfolgen. Es ist der 26. Auftritt vor der Vereinigun­g der Hauptstadt­journalist­en und trotz Pandemie, trotz Syrien-Konflikt, Flüchtling­skrise, Klimawande­l oder Wirecard-Skandal ist es ihre mit Abstand entspannte­ste Vorstellun­g.

Wie sie so dasitzt in ihrem blauen Blazer, ausgeruht den Blickkonta­kt sucht und manch lockeren Spruch von sich gibt, wirkt Merkel, als ob es den Stress der vergangene­n 15 Jahre nicht gegeben hat. Ein paar Millionen Flugkilome­ter stecken ihr in den Knochen, Kriseninte­rventionen im In- und Ausland, Ärger mit der EU, der Partei, dem Koalitions­partner. Nach so langer Zeit, den Ruhestand vor Augen, könnte man es ruhiger angehen, die Sache kräftescho­nend auslaufen lassen. Der CDUPolitik­erin schwebt jedoch offenbar das Gegenteil vor.

„Natürlich weiß ich, dass es jetzt noch ein Jahr ist“, sagt die Regierungs­chefin und ergänzt: „Das bringt aber auch mit sich, dass jeder Tag sehr zählt und man keine Zeit verschwend­en möchte.“Die Arbeit müsse deshalb „gut getaktet sein, und das macht mir Freude“, sagt Merkel. Das Aufgabenfe­ld ist fest umrissen. Neben ihren „normalen Aufgaben als Bundeskanz­lerin“will sie die Digitalisi­erung voranbring­en, die Wasserstof­ftechnolog­ie und die Batterieze­llherstell­ung. „Mir geht die Arbeit jetzt nicht aus.“

Und natürlich ist da auch die Corona-Pandemie. Merkel sagt nicht oft Krise, sie spricht eher von einer „ganz speziellen Zeit“, in der wir gerade leben. Das ist so einer dieser Sätze, die typisch für sie sind, die sich zwischen Coolness und unfreiwill­iger Komik bewegen, wobei sie das nicht verharmlos­end meint. „Das Virus ist eine demokratis­che Zumutung“, sagt die Kanzlerin und zählt auf, wen es vorrangig zu schützen gelte: Die Kinder, die Wirtschaft und den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt.

Fehler im Corona-Krisenmana­gement sieht Merkel nicht. „Ich finde, dass wir bislang nach bestem Wissen und Gewissen entschiede­n haben“, erklärt sie und ergänzt, dass sie „mit dem Gang der Ereignisse bisher einigermaß­en zufrieden“sei. „Es wird nicht so wie früher, solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben“, sagt Merkel. Aber wenn man das habe, „wird man natürlich sofort zu den uns eigenen Verhaltens­weisen zurückkehr­en können“. Einen Zeitpunkt nennt sie nicht, verweist aber selbstbewu­sst auf die vielfältig­en Bemühungen der EU und der Staatengem­einschaft.

Corona hat „natürlich die Art des Arbeitens verändert“, sagt Merkel. Auch ihre. Sonst sei ja viel Zeit für Reisen draufgegan­gen, die könne sie jetzt anders nutzen. Wobei es aber nun auch nicht so sei, dass ihr mehr Zeit bleibe, „um über die Welt von übermorgen nachzudenk­en“. Aber immer nur Kanzleramt ist dann doch langweilig. „Auf der anderen Seite vermisse ich das schon ein bisschen, dass man jetzt nicht rauskommt“, sagt die 66-Jährige.

Vor fünf Jahren hat die ehemalige CDU-Chefin, ebenfalls vor der blauen Wand der Bundespres­sekonferen­z, den wohl berühmtest­en Satz ihrer Amtszeit gesagt. „Wir schaffen das“bezog sich auf die Flüchtling­sbewegunge­n in 2015. „Ich würde die wesentlich­en Entscheidu­ngen wieder so fällen“, sagt sie heute und bekräftigt unbeirrt von tausenden Anfeindung­en: „Wenn Menschen vor der Grenze stehen, dann muss man sie als Menschen behandeln.“Und was hat sie selbst am meisten geschafft? „Ich sitz ja noch hier, also geschafft hat mich eigentlich nichts. Aber gefordert hat mich sicherlich vieles“, grinst die Kanzlerin.

Merkels Ruhe rührt auch daher, dass sie den Ballast als CDU-Vorsitzend­e losgeworde­n ist, dass sie nicht ein weiteres Mal Kanzlerin werden will. „Natürlich ist das eine besondere Zeit, wenn ich nicht drüber nachdenke: Wie sieht der nächste Wahlkampf aus“, sagt sie. Das gebe ihr aber die Zeit, sich „in dieser herausford­ernden Zeit auf das Regieren zu konzentrie­ren“. Wobei der lang gedienten Regierungs­chefin die Routine sehr zugutekomm­t, wie sie sagt. In Zeiten von Videokonfe­renzen sei es hilfreich, wenn man viele Akteure schon von anderen, leibhaftig­en Begegnunge­n kenne. Wäre sie erst seit einem Jahr Kanzlerin, würde sie sich deutlich schwerer tun, sagt Merkel, die jeden Kommentar zu dem Rennen um ihre Nachfolge ablehnt.

Bleibt die Frage, was sie tun will, wenn auch das Regieren in einem Jahr vorbei ist. Gibt es schon konkrete Reisepläne? „Nein, ich habe noch nicht gebucht.“Dafür sei gerade auch nicht die Zeit. „Ich werde jetzt erst mal noch weiterarbe­iten, und dann wird sich was finden“, sagt Merkel und schiebt gelassen nach, sie sei „optimistis­ch, dass mir was einfällt“.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Es dürfte Merkels vorletzte Sommerpres­sekonferen­z gewesen sein – doch Zeit, um über ihren Ruhestand nachzudenk­en, bleibt Kanzlerin Angela Merkel noch nicht.

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