An Rente ist nicht zu denken
Vor einem Jahr war Kanzlerin Angela Merkel fast abgeschrieben. In ihrer letzten Amtsphase steht sie vor gewaltigen Herausforderungen – und gibt sich dennoch entspannt
Berlin Auf die Frage nach einer Einschätzung ihrer historischen Leistung als Politikerin lächelt die Kanzlerin ihr typisches schelmisches Merkel-Lächeln. „Nee“, sagt Angela Merkel, „daran beteilige ich mich nicht, das überlasse ich Ihnen“. Sie meint die vielen Journalisten, die in der Bundespressekonferenz ihre traditionelle Sommerpressekonferenz verfolgen. Es ist der 26. Auftritt vor der Vereinigung der Hauptstadtjournalisten und trotz Pandemie, trotz Syrien-Konflikt, Flüchtlingskrise, Klimawandel oder Wirecard-Skandal ist es ihre mit Abstand entspannteste Vorstellung.
Wie sie so dasitzt in ihrem blauen Blazer, ausgeruht den Blickkontakt sucht und manch lockeren Spruch von sich gibt, wirkt Merkel, als ob es den Stress der vergangenen 15 Jahre nicht gegeben hat. Ein paar Millionen Flugkilometer stecken ihr in den Knochen, Kriseninterventionen im In- und Ausland, Ärger mit der EU, der Partei, dem Koalitionspartner. Nach so langer Zeit, den Ruhestand vor Augen, könnte man es ruhiger angehen, die Sache kräfteschonend auslaufen lassen. Der CDUPolitikerin schwebt jedoch offenbar das Gegenteil vor.
„Natürlich weiß ich, dass es jetzt noch ein Jahr ist“, sagt die Regierungschefin und ergänzt: „Das bringt aber auch mit sich, dass jeder Tag sehr zählt und man keine Zeit verschwenden möchte.“Die Arbeit müsse deshalb „gut getaktet sein, und das macht mir Freude“, sagt Merkel. Das Aufgabenfeld ist fest umrissen. Neben ihren „normalen Aufgaben als Bundeskanzlerin“will sie die Digitalisierung voranbringen, die Wasserstofftechnologie und die Batteriezellherstellung. „Mir geht die Arbeit jetzt nicht aus.“
Und natürlich ist da auch die Corona-Pandemie. Merkel sagt nicht oft Krise, sie spricht eher von einer „ganz speziellen Zeit“, in der wir gerade leben. Das ist so einer dieser Sätze, die typisch für sie sind, die sich zwischen Coolness und unfreiwilliger Komik bewegen, wobei sie das nicht verharmlosend meint. „Das Virus ist eine demokratische Zumutung“, sagt die Kanzlerin und zählt auf, wen es vorrangig zu schützen gelte: Die Kinder, die Wirtschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Fehler im Corona-Krisenmanagement sieht Merkel nicht. „Ich finde, dass wir bislang nach bestem Wissen und Gewissen entschieden haben“, erklärt sie und ergänzt, dass sie „mit dem Gang der Ereignisse bisher einigermaßen zufrieden“sei. „Es wird nicht so wie früher, solange wir keinen Impfstoff und kein Medikament haben“, sagt Merkel. Aber wenn man das habe, „wird man natürlich sofort zu den uns eigenen Verhaltensweisen zurückkehren können“. Einen Zeitpunkt nennt sie nicht, verweist aber selbstbewusst auf die vielfältigen Bemühungen der EU und der Staatengemeinschaft.
Corona hat „natürlich die Art des Arbeitens verändert“, sagt Merkel. Auch ihre. Sonst sei ja viel Zeit für Reisen draufgegangen, die könne sie jetzt anders nutzen. Wobei es aber nun auch nicht so sei, dass ihr mehr Zeit bleibe, „um über die Welt von übermorgen nachzudenken“. Aber immer nur Kanzleramt ist dann doch langweilig. „Auf der anderen Seite vermisse ich das schon ein bisschen, dass man jetzt nicht rauskommt“, sagt die 66-Jährige.
Vor fünf Jahren hat die ehemalige CDU-Chefin, ebenfalls vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz, den wohl berühmtesten Satz ihrer Amtszeit gesagt. „Wir schaffen das“bezog sich auf die Flüchtlingsbewegungen in 2015. „Ich würde die wesentlichen Entscheidungen wieder so fällen“, sagt sie heute und bekräftigt unbeirrt von tausenden Anfeindungen: „Wenn Menschen vor der Grenze stehen, dann muss man sie als Menschen behandeln.“Und was hat sie selbst am meisten geschafft? „Ich sitz ja noch hier, also geschafft hat mich eigentlich nichts. Aber gefordert hat mich sicherlich vieles“, grinst die Kanzlerin.
Merkels Ruhe rührt auch daher, dass sie den Ballast als CDU-Vorsitzende losgeworden ist, dass sie nicht ein weiteres Mal Kanzlerin werden will. „Natürlich ist das eine besondere Zeit, wenn ich nicht drüber nachdenke: Wie sieht der nächste Wahlkampf aus“, sagt sie. Das gebe ihr aber die Zeit, sich „in dieser herausfordernden Zeit auf das Regieren zu konzentrieren“. Wobei der lang gedienten Regierungschefin die Routine sehr zugutekommt, wie sie sagt. In Zeiten von Videokonferenzen sei es hilfreich, wenn man viele Akteure schon von anderen, leibhaftigen Begegnungen kenne. Wäre sie erst seit einem Jahr Kanzlerin, würde sie sich deutlich schwerer tun, sagt Merkel, die jeden Kommentar zu dem Rennen um ihre Nachfolge ablehnt.
Bleibt die Frage, was sie tun will, wenn auch das Regieren in einem Jahr vorbei ist. Gibt es schon konkrete Reisepläne? „Nein, ich habe noch nicht gebucht.“Dafür sei gerade auch nicht die Zeit. „Ich werde jetzt erst mal noch weiterarbeiten, und dann wird sich was finden“, sagt Merkel und schiebt gelassen nach, sie sei „optimistisch, dass mir was einfällt“.