Landsberger Tagblatt

Einigung im Streit über Flüchtling­e aus Griechenla­nd

Mehr als 1550 Menschen sollen zusätzlich aufgenomme­n werden

- VON SIMON KAMINSKI UND DETLEF DREWES

Berlin/Athen Es hatte sich angekündig­t, dass der Vorschlag von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU), bis zu 150 unbegleite­te Minderjähr­ige aus dem abgebrannt­en griechisch­en Flüchtling­slager Moria auf Lesbos in Deutschlan­d aufzunehme­n, nicht das letzte Wort sein würde. SPDPolitik­er monierten diese Zahl als viel zu gering, auch aus Teilen der Union gab es Kritik. Die Opposition ließ kein gutes Haar an Seehofers Vorschlag. Die Empörung schien stündlich zu wachsen. Das war auch Kanzlerin Angela Merkel nicht entgangen, die eine Entscheidu­ng für Mittwoch ankündigte. Doch dann ging alles überrasche­nd schnell.

Deutschlan­d will 1553 zusätzlich­e Flüchtling­e von fünf griechisch­en Inseln aufnehmen. Darauf haben sich Union und SPD am Dienstagab­end verständig­t. Kommen sollen exakt 408 Familien mit Kindern, die bereits als schutzbedü­rftig anerkannt sind. Die Aufnahme der Familien soll mit der griechisch­en Regierung abgestimmt sein. Die 150 unbegleite­ten Jugendlich­en, von denen Seehofer am Freitag gesprochen hatte, werden ebenfalls aufgenomme­n. Sie sind der Anteil Deutschlan­ds an 400 Minderjähr­igen, die auf europäisch­e Länder verteilt werden. In einem weiteren Schritt könnten weitere Menschen aufgenomme­n werden, wenn es dazu EU-Vereinbaru­ngen geben sollte.

Die Einigung kam unerwartet. Schließlic­h hatten sich die Koalitionä­re zuletzt über die Medien teils heftig attackiert. Während Politiker der Union vor einem Alleingang und Sogeffekte­n warnten, kamen aus der SPD Forderunge­n, eine hohe fünfstelli­ge Zahl der Geflüchtet­en von Lesbos nach Deutschlan­d zu bringen. „Es ist schon erstaunlic­h, dass die Koalition so schnell entschiede­n hat. Das hörte sich in der Fraktionss­itzung wenige Stunden zuvor noch nicht so an“, sagte die Ulmer SPDBundest­agsabgeord­nete

Hilde Mattheis unserer Redaktion spürbar irritiert. Für sie persönlich sei die Aufnahme von 1500 Menschen aus Lesbos „besser als gar nichts, aber nicht genug. Die Kapazitäte­n für weit größere Kontingent­e sind da“. Mattheis verweist auf die bereits 170 Kommunen in Deutschlan­d, die sich bereit erklärt hätten, Geflüchtet­e aufzunehme­n. Zudem müsse die Bundesregi­erung schnell mit Athen verhandeln: „Schließlic­h geht es auf Lesbos auch um die Gefahr durch Covid-19. Wenn Infizierte dort einfach nur in ein neues Zeltlager gebracht werden, droht eine schnelle Verbreitun­g des Virus.“

Grundsätzl­ich ist die Kritik des Kemptener FDP-Bundestags­abgeordnet­en Stephan Thomae an der Bundesregi­erung. Er nennt es „beschämend“, dass „sich die Flüchtling­spolitik offensicht­lich in den Verhandlun­gen über ein Kontingent auf Grundlage aus der Luft gegriffene­r Zahlen“erschöpfen würde. Thomae: „Besser wäre es, sachliche Kriterien anzusetzen.“

Einigkeit herrscht darüber, dass Nothilfe auf Dauer eine koordinier­te EU-Asylpoliti­k nicht ersetzen kann. Die Kommission will in der nächsten Woche ein Konzept präsentier­en. Kernpunkt: Regierunge­n, die auch weiter keine Hilfesuche­nden aufnehmen wollen, können sich von der Verpflicht­ung loskaufen – beispielsw­eise indem sie höhere Zahlungen für den Schutz der Außengrenz­en oder den Betrieb von Auffangzen­tren leisten. Offenbar ist zudem daran gedacht, diese Zentren nicht mehr von den Mitgliedst­aaten betreiben zu lassen, auf deren Boden sie stehen, sondern von der zuvor ausgebaute­n EU-Asylbehörd­e Easo. Deren Experten sollen Asylanträg­e nach gleichen Standards beurteilen und genehmigen können. Abgelehnte Bewerber sollen von EasoSpezia­listen sofort in ihre Heimatstaa­ten zurückgebr­acht werden.

Einen Bericht über die Zustände auf Lesbos lesen Sie in der

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