Eine Frage der Haltung
Journalismus Springer-Chef Döpfner räumt Fehler der Bild bei der Berichterstattung über den Fall Solingen ein
Berlin Man kann es als Rüffel von oberster Stelle sehen, ein Appell an die eigene Branche war es in jedem Fall: Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, streifte am Dienstag gleich zum Auftakt des Jahreskongresses des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) auch die Berichterstattung seines eigenen Blattes Bild über Solingen. Dort soll eine 27-Jährige Anfang September fünf ihrer sechs Kinder getötet haben. Die Bild veröffentlichte unter anderem WhatsApp-Nachrichten, die der überlebende elfjährige Sohn nach dem Tod der Geschwister mit einem zwölfjährigen Freund ausgetauscht hatte.
Daran gab es scharfe Kritik, auch von Journalisten und Medienforschern – bis hin zum Aufruf, die Bild zu boykottieren. Nach Informationen unserer Redaktion wird das Selbstkontrollorgan Deutscher Presserat noch in dieser Woche über die Einleitung eines Verfahrens gegen die Bild entscheiden. Ihr droht eine öffentliche Rüge. Beim Presserat waren mehr als 160 Beschwerden eingegangen. Er prüfte in den vergangenen Tagen, welche Verstöße gegen den Pressekodex vorliegen könnten. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt hatte die Art der Berichterstattung verteidigt: Auch die Polizei habe aus Chats zitiert. Mathias Döpfner, der am Montag als BDZVPräsident wiedergewählt worden war, widersprach seinem Angestellten nun öffentlich und unmissverständlich: „Wir haben Fehler gemacht bei Axel Springer“, sagte er. „Wir haben den Schutz von Minderjährigen in diesem Fall eindeutig missachtet.“Döpfner beteuerte: „Wir wollen und wir müssen das in Zukunft besser machen.“Vielleicht könne dieser Fall Anlass für eine breite Debatte sein. Auf Nachfrage von Chefredakteur Gregor Peter Schmitz, der mit Unternehmerin Tijen Onaran das Kongress-Programm moderierte, sprach Döpfner zudem von einer „heilsamen Lernerfahrung“, die der Fall sein könne. Jeder Journalist müsse sich dem eigenen Gewissen stellen.
Damit sprach er auch ein Wort an, das, so Schmitz, „schön daherkommt, aber viele Debatten auslöst“: „Haltungsjournalismus“. Ein Wort, das vor allem Rechtspopulisten als Schimpfwort verwenden – indem sie Journalisten unterstellen, diese seien Aktivisten und verfolgten eine „linke“Agenda. Über die Frage, ob Journalismus Haltung braucht, diskutierten Judith Wittwer, Co-Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, und Philipp Oehmke, USA-Korrespondent des Spiegel, mit Gregor Peter Schmitz.
Oehmke gab zu bedenken, dass
Neutralität als Forderung an den Journalismus problematisch sei, wenn damit gemeint sei, allen Positionen eine gleiche Wertigkeit zuzusprechen. Wittwer sagte: „Eine absolute Neutralität im Journalismus ist eine Illusion.“
Für Mathias Döpfner ist klar: Medien müssten „Zeitzeugen der Realität“sein, „nicht Missionare eines bestimmten Weltbildes“, sagte er zuvor bereits. Wenn Journalisten von Aktivisten nicht mehr zu unterscheiden seien, „dann können wir einpacken“. Gesinnungsjournalismus in welcher Form auch immer sei falsch, sagte auch Philipp Oehmke. Aufgabe von Journalisten sei es, mit Mediennutzern ins Gespräch zu kommen, meinte Judith Wittwer.
Hierfür sei zum Beispiel ein Streitgespräch mit einem CoronaKritiker die geeignete Form. „Wir sollten nicht einfach Plattformen bieten, sondern wir sollten inhaltlich uns mit den Positionen auseinandersetzen.“Aufgabe von Journalisten sei es nicht, so Wittwer, in den Empörungswettbewerb sozialer Medien einzusteigen. Auch das ist eine Frage der Haltung – der Haltung seriöser, verantwortungsvoll berichtender Journalisten.