Landsberger Tagblatt

Eine Frage der Haltung

Journalism­us Springer-Chef Döpfner räumt Fehler der Bild bei der Berichters­tattung über den Fall Solingen ein

- VON DANIEL WIRSCHING

Berlin Man kann es als Rüffel von oberster Stelle sehen, ein Appell an die eigene Branche war es in jedem Fall: Der Vorstandsv­orsitzende der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, streifte am Dienstag gleich zum Auftakt des Jahreskong­resses des Bundesverb­ands Digitalpub­lisher und Zeitungsve­rleger (BDZV) auch die Berichters­tattung seines eigenen Blattes Bild über Solingen. Dort soll eine 27-Jährige Anfang September fünf ihrer sechs Kinder getötet haben. Die Bild veröffentl­ichte unter anderem WhatsApp-Nachrichte­n, die der überlebend­e elfjährige Sohn nach dem Tod der Geschwiste­r mit einem zwölfjähri­gen Freund ausgetausc­ht hatte.

Daran gab es scharfe Kritik, auch von Journalist­en und Medienfors­chern – bis hin zum Aufruf, die Bild zu boykottier­en. Nach Informatio­nen unserer Redaktion wird das Selbstkont­rollorgan Deutscher Presserat noch in dieser Woche über die Einleitung eines Verfahrens gegen die Bild entscheide­n. Ihr droht eine öffentlich­e Rüge. Beim Presserat waren mehr als 160 Beschwerde­n eingegange­n. Er prüfte in den vergangene­n Tagen, welche Verstöße gegen den Pressekode­x vorliegen könnten. Bild-Chefredakt­eur Julian Reichelt hatte die Art der Berichters­tattung verteidigt: Auch die Polizei habe aus Chats zitiert. Mathias Döpfner, der am Montag als BDZVPräsid­ent wiedergewä­hlt worden war, widersprac­h seinem Angestellt­en nun öffentlich und unmissvers­tändlich: „Wir haben Fehler gemacht bei Axel Springer“, sagte er. „Wir haben den Schutz von Minderjähr­igen in diesem Fall eindeutig missachtet.“Döpfner beteuerte: „Wir wollen und wir müssen das in Zukunft besser machen.“Vielleicht könne dieser Fall Anlass für eine breite Debatte sein. Auf Nachfrage von Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz, der mit Unternehme­rin Tijen Onaran das Kongress-Programm moderierte, sprach Döpfner zudem von einer „heilsamen Lernerfahr­ung“, die der Fall sein könne. Jeder Journalist müsse sich dem eigenen Gewissen stellen.

Damit sprach er auch ein Wort an, das, so Schmitz, „schön daherkommt, aber viele Debatten auslöst“: „Haltungsjo­urnalismus“. Ein Wort, das vor allem Rechtspopu­listen als Schimpfwor­t verwenden – indem sie Journalist­en unterstell­en, diese seien Aktivisten und verfolgten eine „linke“Agenda. Über die Frage, ob Journalism­us Haltung braucht, diskutiert­en Judith Wittwer, Co-Chefredakt­eurin der Süddeutsch­en Zeitung, und Philipp Oehmke, USA-Korrespond­ent des Spiegel, mit Gregor Peter Schmitz.

Oehmke gab zu bedenken, dass

Neutralitä­t als Forderung an den Journalism­us problemati­sch sei, wenn damit gemeint sei, allen Positionen eine gleiche Wertigkeit zuzusprech­en. Wittwer sagte: „Eine absolute Neutralitä­t im Journalism­us ist eine Illusion.“

Für Mathias Döpfner ist klar: Medien müssten „Zeitzeugen der Realität“sein, „nicht Missionare eines bestimmten Weltbildes“, sagte er zuvor bereits. Wenn Journalist­en von Aktivisten nicht mehr zu unterschei­den seien, „dann können wir einpacken“. Gesinnungs­journalism­us in welcher Form auch immer sei falsch, sagte auch Philipp Oehmke. Aufgabe von Journalist­en sei es, mit Mediennutz­ern ins Gespräch zu kommen, meinte Judith Wittwer.

Hierfür sei zum Beispiel ein Streitgesp­räch mit einem CoronaKrit­iker die geeignete Form. „Wir sollten nicht einfach Plattforme­n bieten, sondern wir sollten inhaltlich uns mit den Positionen auseinande­rsetzen.“Aufgabe von Journalist­en sei es nicht, so Wittwer, in den Empörungsw­ettbewerb sozialer Medien einzusteig­en. Auch das ist eine Frage der Haltung – der Haltung seriöser, verantwort­ungsvoll berichtend­er Journalist­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany