Landsberger Tagblatt

Wie es in München wirklich war

Die neue „Oktoberfes­t 1900“handelt von Macht und Intrigen auf der Münchner Wiesn. Wir haben nachgefors­cht, wie es damals auf dem Oktoberfes­t zugegangen ist

- VON ANJA DONDL

Augsburg An diesem Samstag wäre es wieder so weit gewesen: Zwei Schläge, vielleicht drei und dann der Ruf des Münchner Oberbürger­meisters Dieter Reiter: „Ozapft is! Auf eine friedliche Wiesn!“Wäre da nicht die Corona-Pandemie, wegen der das traditions­reiche Volksfest dieses Jahr abgesagt wurde. Einen Ersatz gibt es aber dennoch: In der neuen ARDSerie „Oktoberfes­t 1900“geht es darum, wie die Wiesn auf der Münchner Theresienw­iese zu dem Event wurde, das sie heute ist. Doch war es wirklich so, wie es in der ARD-Serie dargestell­t wird? Wir haben die Serie einem Faktenchec­k unterzogen.

Gab es einen Brauer aus Nürnberg, der sich Budenplätz­e auf der Wiesn ergaunert hat?

Der Nürnberger Brauer Curt Prank möchte in der Serie unbedingt die erste große Bierburg eröffnen – koste es, was es wolle. Die Person des machthungr­igen Curt Prank habe es so in der Realität nicht gegeben, erklärt Georg Reichlmayr, offizielle­r Gästeführe­r der Stadt München. Seine Figur erinnere aber sehr stark an einen Nürnberger Gastronom namens Georg Lang (1866–1904). Der auch als „Krokodilwi­rt“bekannte

habe sich im Jahr 1898 über Münchner Strohmänne­r fünf Budenplätz­e auf der Wiesn ersteigern lassen. So schreibt es der langjährig­e Direktor des Stadtarchi­vs München, Michael Stephan, im Vorwort des Katalogs „Das Oktoberfes­t 1810– 2010“. Obwohl Lang kein Münchner gewesen sei und das Festzelt nicht selbst bewirtscha­ftet habe, eröffnete er schließlic­h ein Zelt mit dem Namen „Lang’s Riesenhall­e“.

Gab es wirklich rivalisier­ende Brauer auf der Wiesn?

In der Serie streiten sich mehrere Wiesnwirte um die Bierbudenp­lätze auf dem Oktoberfes­t. Rivalisier­ende Brauer habe es tatsächlic­h gegeben, erklärt Gästeführe­r Reichlmayr. Das sei den wirtschaft­lichen und infrastruk­turellen Entwicklun­gen in Bayern geschuldet gewesen. Sie trugen dazu bei, dass die Wiesn ab dem Jahr 1890 zu einem Großevent wurde und die Besucherza­hlen stark anstiegen. Kleine Bierbuden mussten großen Bierburgen weichen. „Der Verdrängun­gswettbewe­rb für die großen Hallen wurde tatsächlic­h hart geführt und viele kleinere Münchner Brauereien mussten zugunsten der Festhallen der Großbrauer­eien aufgeben“, erzählt Reichlmayr. Etwas sei sicher auch an dem Gegensatz dran, der in der ARD-Serie zwischen Altbayern und Franken aufgemacht werde, erklärt Larissa Wagner, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Institut für Bayerische Geschichte der LMU München. Beide Regionen hätten bis Anfang des 19. Jahrhunder­ts verschiede­ne Brautradit­ionen gehabt. Dementspre­chend seien sie lange Zeit Konkurrent­en gewesen.

War München im Jahr 1900 wirklich so gefährlich?

Obwohl die Serie „Oktoberfes­t 1900“ein sehr gefährlich­es und düsteres Bild des damaligen Münchens zeichnet, sei es dort nicht unbedingt gefährlich­er gewesen als in anderen größeren Städten, betont Reichlmayr. Ja, es habe brutale Schlägerei­en, Übergriffe und Vergewalti­gungen gegeben. Reichlmayr vermutet aber, dass dies mit einem damals größeren Alkoholkon­sum zusammenhä­ngen könnte. „Anders als heute wurden dergleiche­n Ausschreit­ungen nicht polizeilic­h verfolgt.“

Gab es wirklich Kannibalen und Völkerscha­uen in München?

Gleich zu Beginn der Serie wird eine Gruppe von Kannibalen gezeigt. Ihre Mitglieder treten auf dem Oktoberfes­t 1900 in Völkerscha­uen auf. Die ehemalige Direktorin des BayeriLang schen Hauptstaat­sarchivs in München, Sylvia Krauss-Meyl, bestätigt, dass es auf dem Oktoberfes­t in München wirklich Völkerscha­uen gegeben habe. Wie Zirkustier­e habe man Menschen aus deutschen Kolonien den Zuschauern vorgeführt. Dass es aber, wie in der Serie dargestell­t, Kannibalen gegeben habe, die in München lebten, sei zu bezweifeln. Die Völkerscha­uen wären aber nicht nur auf der Wiesn, sondern im gesamten Deutschen Kaiserreic­h sehr beliebt gewesen, betont Reichlmayr. Die „Samoa in München“habe man zur Jahrhunder­twende tatsächlic­h bei dem Münchner Schaustell­er Carl Gabriel auf dem Oktoberfes­t besichtige­n können.

Haben die Biermadl im Jahr 1900 tatsächlic­h gestreikt?

In der ARD-Serie streiken die Wiesnbedie­nungen unter der Führung von Biermadl Colina Kandels für bessere Löhne und Rechte. Das entspräche aber nicht den wahren Begebenhei­ten, stellt Reichlmayr klar. Einen Streik der Bedienunge­n habe es im Jahr 1900 auf dem Oktoberfes­t definitiv nicht gegeben. Die sogenannte­n Biermadl bekamen auf dem Oktoberfes­t nämlich gar keinen festen Lohn. Sie lebten ausschließ­lich vom Trinkgeld der Gäste.

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Foto: Dusan Martincek/BR/ARD Degeto/MDR/WDR, dpa Curt Prank (Misel Maticevic) feiert sich in der vierten Folge der Serie „Oktoberfes­t 1900“selbst in seiner Bierburg auf der Wiesn.

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