Leistner auf den Spuren von Cantona
Eric Cantona hätte die Aktion von Toni Leistner wohl nur ein müdes Lächeln abgerungen. Als der Franzose im Trikot von Manchester United sich 1995 von einem Fan beleidigt fühlte, nahm der Fußballer das Gesetz in die Hand und rächte sich mit einem Kung-Fu-Tritt. Von einer Kampfsporteinlage war Leistner am Montagabend zwar weit entfernt, dennoch sorgte der 30-Jährige für ein Novum im deutschen Fußball. In Videos ist zu sehen, wie der HSV-Profi nach dem 1:4 seines Klubs in Dresden vor einem Fernseh-Interview von einem Dynamo-Anhänger mit obszönen Gesten verunglimpft wird. Es folgten Beleidigungen, die laut Leistner unter die Gürtellinie gegen seine Familie, seine Frau und seine Tochter gingen. Danach brannten die Sicherungen durch. Der gebürtige Dresdner griff sich den pöbelnden Dynamo-Fan, schubste ihn zu Boden, ehe umstehende Zuschauer Leistner zurückdrängten, der daraufhin wieder ins Stadioninnere sprang.
Am Tag danach entschuldigte sich der Fußballer in aller Form, was ihn nicht vor einem Ermittlungsverfahren des DFB bewahrt. Zumal die Bilder in Corona-Zeiten mindestens irritierend wirkten. Leistner nahm rüde Abstand von der Abstandsregel.
Bei Selbstjustiz am Arbeitsplatz können die obersten Regelhüter kein Pardon kennen. Auf das Strafmaß darf man gespannt sein, denn es ist ein Präzedenzfall. Bisher spielten sich die Verfehlungen der Bundesliga auf dem Platz ab. Paolo Guerrero, ebenfalls HSV-Profi, traf vor über zehn Jahren einen Fan mit einer Trinkflasche, aus dem Innenraum. Die Folge: 20 000 Euro Strafe und fünf Spiele Sperre. In England war Tottenham-Profi Eric Dier in der vergangenen Saison nach einer zu Leistners Auftritt fast identischen Aktion zu vier Spielen Sperre und einer Geldstrafe von fast 45 000 Euro verurteilt worden.
Eric Cantona erhielt einst acht Monate Sperre und bereute den Kung-Fu-Tritt nicht eine Sekunde lang. Zur Belohnung wählten die United-Fans den Sheriff von Manchester mit der kurzen Zündschnur zu ihrem Fußballer des Jahrhunderts.