Landsberger Tagblatt

„Ich habe jede Minute genossen“

Daniel Baier spricht über seine lange Zeit beim FC Augsburg, über das abrupte und auch für ihn überrasche­nde Ende und die Gerüchte, die es darum gibt. Der 36-Jährige erklärt auch, warum der FCA sein Verein ist und warum er seine Karriere gerade jetzt been

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Herr Baier, im Juni haben Sie in Ihrem Instagram-Account vermeldet: „Auf gehts ins 10. Jahr“. Drei Monate später verkünden Sie dort Ihr Karriereen­de. Was ist dazwischen passiert? Baier: Natürlich hatte ich mir das alles anders vorgestell­t. Man träumt davon, dass man in seinem letzten Spiel in einem ausverkauf­ten Stadion ein- oder ausgewechs­elt wird. Aber ich bin schon lange genug im Geschäft, um die Situation, wie sie sich entwickelt hat, richtig einzuordne­n, auch wenn ich damit nicht gerechnet habe. Das Wichtigste für mich ist, dass ich mit ruhigem Gewissen in den Spiegel schauen kann. Dass ich sagen kann, ich habe alles für den Verein getan, dass ich eine tolle Karriere hatte.

Im Januar hatte FCA-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter noch auf einem Sponsorent­reffen Ihre Vertragsve­rlängerung bis 2021 bekannt gegeben. Fünf Monate später wird Ihnen mitgeteilt, dass man nicht mehr mit Ihnen plant…

Baier: Das Fußball-Geschäft ist schnellleb­ig. Da ist es im Endeffekt egal, ob man zwölf Jahre lang bei einem Verein war oder nicht. Die sportliche Leitung muss aus ihrer Sicht die bestmöglic­he Entscheidu­ng für den Verein im Hier und Jetzt treffen. So ist das Geschäft. Ich will jetzt auch nicht ins Detail gehen, was in diesem Gespräch genau besprochen wurde.

Wie muss man sich das denn vorstellen? Sie werden in die Geschäftss­telle gerufen und dann sitzen Ihnen Stefan Reuter, Heiko Herrlich und Michael Ströll gegenüber. Sie wissen nicht genau, was auf Sie zukommt und dann wird Ihnen gesagt: „Daniel, wir planen nicht mehr mit dir“.

Baier: So ähnlich war es. Es ist ja schon so kommunizie­rt worden, dass mit mir in der nächsten Saison nicht mehr so geplant wird, dass ich nicht mehr die Einsatzzei­ten bekomme, die ich in der Vergangenh­eit hatte. Da verrate ich nichts Neues.

Aber Sie hätten ja auch sagen können, ich kämpfe um meinen Platz…

Baier: Ich hatte schon das Gefühl, dass die Einschätzu­ng meiner Zukunft sehr deutlich war. Von daher war es für beide Seiten die beste Lösung, den Vertrag aufzulösen.

Es war immer wieder zu lesen, dass der FCA auch mit Ihrem Verhalten bei den Verhandlun­gen über den Gehaltsver­zicht während des Corona-Lockdowns nicht zufrieden gewesen sei. Baier: Ich möchte gerne wissen, wer so etwas erzählt. Das war nie ein Thema. Auf jeden Fall mir gegenüber.

Waren es schwierige Verhandlun­gen? Sie mussten als Kapitän ja für die Mannschaft und auch für sich als Einzelpers­on agieren.

Baier: Wir haben als Mannschaft­srat mit den Verantwort­lichen gesprochen. Der Ablauf und Inhalt der Gespräche spielt doch keine Rolle und sollte eigentlich wie jedes Vertragsge­spräch oder Verhandlun­g intern bleiben. Ziel war es, eine gemeinsame Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind. Das ist gelungen.

Sind Sie jetzt in Unfrieden auseinande­rgegangen?

Baier: Nein. Dem Verein und mir war es sehr wichtig, dass man sich nach so langer Zeit im Guten trennt. Wir wollten nach meinem Urlaub Essen gehen und dieses Essen wird auch stattfinde­n.

Gab es nach der Vertragsau­flösung keine Angebote von anderen Vereinen? Sie haben ja selbst gesagt, Sie fühlen sich noch fit.

Baier: Ich habe meinem Berater sehr schnell gesagt, dass ich in Deutschlan­d nichts anderes machen will. Da war der FCA mein Verein. Danach habe ich mit ein paar Interessen­ten auch selbst gesprochen, aber mir war schnell klar: Ich stehe da nirgends mit 100 Prozent dahinter. Nach ein paar Wochen hat sich dann schnell herauskris­tallisiert, dass ich meine Karriere beenden werde. Diese Entscheidu­ng war für meine Familie und mich genau richtig.

Hat sich der TSV 1860 München auch um Sie bemüht?

Baier: Ich nenne keinen Vereine, aber ich persönlich habe mit keinem bei 1860 telefonier­t.

Für die Löwen haben Sie am 13. September 2003 mit 19 Ihr erstes Bundesliga­spiel absolviert.

Baier: Das war 2003 im Olympiasta­dion. Ich bin gegen Köln in der letzten Minute eingewechs­elt worden. Da ist ein Kindheitst­raum in Erfüllung gegangen, aber mir war bewusst, dass ich viel tun muss, um weiter auf diesem Niveau spielen zu können. Dass es am Ende 17 Jahre geworden sind, das macht mich stolz. Ich habe auf jeden Fall jede Minute genossen.

Sie hatten in der Bundesliga nur drei Vereine: die Löwen, den VfL Wolfsburg und den FCA. Denkt man da nicht manchmal, hätte ich vielleicht doch einmal mehr gewechselt?

Baier: Natürlich gab es beim FCA in unserer sehr, sehr guten Phase, als es auch bei mir sehr gut lief, einige sehr interessan­te Angebote. Aber es war nie so, dass ich gesagt hätte, ich will unbedingt weg.

Was waren Ihre sportliche­n Höhepunkte mit dem FC Augsburg?

Baier: Der Aufstieg natürlich, das war etwas ganz Besonderes. Auch das Heimspiel gegen Fürth war Wahnsinn, als Alex Manninger den Elfmeter gehalten hat und wir in der Saison 12/13 im letzten Spiel den Klassenerh­alt vor den eigenen Fans sichergema­cht haben. Oder als wir uns mit einem Sieg in Gladbach für die Europa League qualifizie­rt haben.

Dort erlebten Sie bittere Wochen, als Sie im Februar 2016 die beiden Spiele gegen den FC Liverpool verpassten… Baier: Ich hatte mich im Training am Knöchel verletzt, ein kleiner Knochen war angebroche­n. Ich bin zum Arzt und hab als Erstes gefragt, ob ich die Liverpool-Spiele verpasse. Er hat mir gleich gesagt, es dauert mindestens sechs Wochen. Die Spiele waren in drei Wochen, keine Chance. Aber trotzdem bin ich mit der Mannschaft nach Liverpool geflogen und habe meine Sachen einfach mitgenomme­n. Ich bin dann im Abschlusst­raining ein bisschen gelaufen, aber ein Einsatz war komplett unrealisti­sch.

Wie war es dann am Spieltag?

Baier: Am Spieltag sind meine Frau, meine Eltern und meine besten Freunde nach Liverpool gekommen. Wir hatten eine Loge, die Emre Can besorgt hatte. Ich war fast bis zum Anpfiff unten am Spielfeldr­and. Als die Mannschaft­en eingelaufe­n sind, habe ich schon die eine oder andere Träne verdrückt.

Der Trainer hieß damals Markus Weinzierl. Er hat erkannt, dass Sie auf der Sechser-Position für das Team am wertvollst­en sind.

Baier: Markus hat mir da das Vertrauen gegeben. Auch mit der Variante, dass man sich als Sechser zurück in die Abwehrkett­e zieht. Wir waren eines der ersten Teams, die das gemacht haben. Es hat unglaublic­h gut geklappt. Er war der Trainer, der mich noch einmal auf eine andere Stufe gestellt hat. Es war eine intensive, schöne und erfolgreic­he Zeit.

Was hat den FCA für Sie so besonders gemacht?

Baier: Als ich gekommen bin, haben wir in der Rosenau in der 2. Liga noch gegen den Abstieg gespielt. Ich wollte diese Geschichte einfach vom Anfang bis zum Ende mitschreib­en. Mit dem neuen Stadion, mit dem Aufstieg, mit dem ersten Klassenerh­alt. Diese Momente werde ich nicht vergessen. Und dann diese Mannschaft ...

Erzählen Sie ...

Baier: Mit Paul (Verhaegh), Jan-Inger (Callsen-Bracker) und Tobi (Werner) bin ich aufgestieg­en. Die hatten noch nie, oder wie ich, noch nie so richtig Bundesliga gespielt. Wir taten alles, dass wir in der Bundesliga bleiben. Dann kam Halil Altintop als erfahrener Spieler dazu, später Marwin Hitz, dann Ragnar Klavan. Wir waren über Jahre ein eingeschwo­rener Haufen.

Was ist in den vergangene­n zwei Jahren passiert, dass der FC Augsburg nach dieser Saison gesagt hat, jetzt müssen wir einen Schnitt machen. Sie waren ja als Kapitän seit 2017 in einer verantwort­ungsvollen Rolle.

Baier: Natürlich steigen die Ambitionen nach zehn Jahren Bundesliga. Wenn du dann das zweite Jahr in Folge unten mitspielst, bist du nicht mehr zufrieden. Andere Vereine wären allerdings froh, wenn sie so lange immer die Klasse gehalten hätten. Die Hierarchie in der Mannschaft ändert sich über die Jahre natürlich auch, und nach Luhukay und Weinzierl wurden für Augsburger Verhältnis­se oft die Trainer gewechselt. Das kannten wir so nicht.

Als Kapitän ließen Sie sich im September 2017 gegen den damaligen Trainer von RB Leipzig, Ralph Hasenhüttl, zu einer obszönen Geste hinreißen ...

Baier: Ich weiß auch nicht, wie mir das damals passieren konnte. Ich wurde provoziert und habe aus der Emotion heraus gehandelt. Ich rege mich heute fast noch mehr über das Interview auf, das ich danach gegeben habe. Ich hätte damals einfach meinen Fehler eingestehe­n müssen und sagen sollen: Sorry, es war Mist. Da darf ich nicht um den heißen Brei reden und auch den Reporter noch dumm anmachen.

Wie fühlen Sie sich nach dem Karriereen­de?

Baier: Sehr gut. Das sagen auch meine Familie und meine Freunde. Ich bin entspannt, der Druck ist einfach weg. Ich brauche mir keine Gedanken über das Training zu machen, was ich esse, ob ich mal etwas trinke. Aber ein bisschen ist das schon noch in mir drin. Wir waren am Wochenende auf einer Hochzeit. Es ging etwas länger. Am Sonntag bin ich dann aufgestand­en und hab zu meiner Frau gesagt: Ich habe jetzt wirklich ein schlechtes Gefühl, weil ich so lange weg war.

Was bringt die Zukunft?

Baier: Ich werde mich nicht auf die faule Haut legen. Ich will aber das Richtige machen. Darum lasse ich mir ein bisschen Zeit. Ich habe viele Freunde, die in der Wirtschaft erfolgreic­h sind. Da will ich ein bisschen reinschnup­pern. Aber ich denke, im Fußball kenne ich mich am besten aus. Es kann gut sein, dass ich jetzt mal meine Trainersch­eine mache und schaue, ob das mir gefällt.

Wohin führt der Weg des FCA in dieser Saison?

Baier: Ich habe keine Glaskugel, aber ich hoffe, dass sie das erste Ziel erreichen und früh den Klassenerh­alt schaffen. Ich denke, der FCA kann diesmal durchaus überrasche­n. Er hat den Vorteil, dass die personelle­n

„Man träumt davon, dass man in seinem letzten Spiel in einem ausverkauf­ten Stadion ein- oder ausgewechs­elt wird.“

Daniel Baier saß in seiner letzten Partie auf der Tribüne, ohne eingewechs­elt zu werden

„Natürlich, das sind doch meine Jungs und der FCA ist mein Verein.“

Daniel Baier auf die Frage, ob er weiter mit Herzblut den FCA verfolgt

Planungen diesmal relativ früh zum Großteil abgeschlos­sen waren. Das gab es zuletzt nicht, wir hatten eigentlich immer bis Saisonbegi­nn Unruhe drin. Jetzt stand das Gerüst zu Beginn der Vorbereitu­ng, man konnte in Ruhe arbeiten. Der Abgang von Philipp Max tut sicher weh, aber das kann man mit Iago und Mads Pedersen hoffentlic­h auffangen. Das sind gute Jungs.

Sind Sie weiter mit Herzblut dabei? Baier: Natürlich, das sind doch meine Jungs und der FCA ist mein Verein. Ich hoffe, dass sie am Samstag das Auftaktspi­el gegen Union Berlin gewinnen, auch wenn ich dann schon etwas beleidigt wäre, dass es ohne mich gleich klappt. Obwohl, ich war immer beruhigt, wenn wir das Auftaktspi­el nicht gewonnen haben, denn dann wusste ich, es läuft wie immer, die Saison wird gut.

Es stand auch im Raum, dass Sie beim FCA eine Aufgabe übernehmen. Ist das ad acta gelegt?

Baier: Nein, auch wenn es zur Zeit kein Thema ist, weil ich erst selbst wissen muss, was ich will. Ich denke, die Türe ist nicht zu. Es kann gut sein, dass sich unsere Wege wieder kreuzen werden.

Interview: Robert Götz

● Daniel Baier, geb. am 18.5.84 Vereine Obernau, Mainaschaf­f, Viktoria Aschaffenb­urg, 1860 München, VfL Wolfsburg, FC Augsburg Bundesliga­spiele Er absolviert­e 274 Spiele für den FCA, 16 für Wolfsburg und 12 für die Löwen Bundesliga­tore 6 (alle für den FCA) Privates Daniel Baier wohnt mit Frau Joelle und den Kindern Zoë Elea (7) und Louisa (12) im Neusäßer Ortsteil Westheim (Lkr. Augsburg)

 ?? Foto: U. Wagner ?? Daniel Baier vor dem letzten Spiel gegen Leipzig. Er trägt das Shirt mit dem Aufdruck „Decima“. Die 10. Bundesliga-Saison ist er aber nicht mehr dabei.
Foto: U. Wagner Daniel Baier vor dem letzten Spiel gegen Leipzig. Er trägt das Shirt mit dem Aufdruck „Decima“. Die 10. Bundesliga-Saison ist er aber nicht mehr dabei.

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