Landsberger Tagblatt

Die Sonne scheint über Uruguay

Politisch ruhig, wirtschaft­lich stabil – und noch dazu fast unbehellig­t von Corona: Das kleine Land wird zum Sehnsuchts­ort in Südamerika. Zehntausen­de wollen dort leben

- VON TOBIAS KÄUFER

Montevideo Wer verstehen will, warum das kleine Land Uruguay in den vergangene­n Monaten so etwas wie der Garten Eden von Südamerika geworden ist, der muss sich erst die Situation in dessen riesigen Nachbarlän­dern Argentinie­n und Brasilien vor Augen führen:

Denn die Schreckens­nachrichte­n aus Argentinie­n reißen nicht ab. Innerhalb der letzten sieben Tage gab es rund 80000 Neuinfekti­onen und etwa 2500 Covid-19-Tote. Das sind umgerechne­t auf die Bevölkerun­gsgröße Zahlen wie zu den schlimmste­n Zeiten in Brasilien und den USA. Damit nicht genug: Ein wochenlang­er Lockdown hat der argentinis­chen Wirtschaft schwer zugesetzt, aber die Pandemie offenbar nur aufgeschob­en, wie sich an der jüngsten dramatisch­en Entwicklun­g zeigt. Jetzt ist Argentinie­n doppelt getroffen: Mit einer Arbeitslos­enquote von 13,1 Prozent rutschte das Land auf das Niveau der Wirtschaft­skrise im Jahr 2005 ab. Das Bruttoinla­ndsprodukt sackte im zweiten Quartal um katastroph­ale 19,1 Prozent ab. Argentinie­n steht vor einer sozialen Apokalypse.

In Brasilien wurde in dieser Woche die Zahl von 140000 Covid19-Toten überschrit­ten. Zwar klingen die Infektione­n langsam ab, in der Amazonas-Metropole Manaus haben Wissenscha­ftler gar Hinweise auf eine mögliche Herdenimmu­nität gefunden, doch über den Berg ist das Land noch lange nicht, auch wenn der rechtspopu­listische Präsident Jair Bolsonaro das gerne möchte.

Zwischen den beiden lateinamer­ikanischen Ländern gibt es allerdings ein Land, das mit einer besonnenen Strategie ganz andere Zahlen produziert: Uruguay. Nicht einmal 2000 Infektione­n registrier­te das Land am Rio de la Plata seit Ausbruch der Pandemie, gerade einmal 47 Tote stehen bislang zu Buche. Das liegt daran, dass Uruguay mit seinen 3,5 Millionen Einwohner vergleichs­weise dünn besiedelt ist und dass die Regierung von Präsident Luis Lacalle Pou sich von ihren populistis­chen Amtskolleg­en aus Brasilia und Buenos Aires mit einem durch und durch seriösen Kurs abhebt. „Uruguay

gilt als ein Ort der Stabilität“, sagt Sebastian Grundberge­r, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in der uruguayisc­hen Hauptstadt Montevideo, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Gesellscha­ft sei längst nicht so polarisier­t, die Wirtschaft stabil.

Seit Beginn der Pandemie sind deswegen bereits 77000 Migranten nach Uruguay gekommen – die meisten aus Argentinie­n und Brasilien. Noch kein Massenexod­us, aber für eine kleine Bevölkerun­g ein bemerkensw­erter Zuwachs von 2,2 Prozent innerhalb von sechs Monaten. Uruguay wirbt zudem um Fachkräfte aus den Nachbarlän­dern, deswegen kommt bislang eher die argentinis­che und brasiliani­sche Mittelschi­cht ins Land, die genervt von der politische­n Polarisier­ung, den wirtschaft­lichen Kapriolen und der Kriminalit­ät vor allem eines sucht: Stabilität. Die kann Uruguay bieten.

Dort heißt man die neuen Mitbürger herzlich willkommen. Der Präsident des uruguayisc­hen Immobilien­verbandes, Wilder Ananikian, sagte der Tageszeitu­ng La Nacion, das zweite Halbjahr 2020 könnte das Beste der letzten drei Jahre werden.

Offenbar flieht nicht nur die Mittelschi­cht in Richtung Uruguay, sondern auch ein gehöriges Stück Kapital. Laut Uruguays Präsident Lacalle Pou sind die angekommen­en Argentinie­r glücklich: „Es sind tausende Argentinie­r in der letzten Zeit gekommen. Ich habe mit vielen gesprochen und sie sind zufrieden.“Natürlich gäbe es nicht solch ein Trubel und Tempo wie in Buenos Aires, sagte Lacalle Pou. Aber dafür gebe es eben andere große Vorteile.

Die benachbart­e Mittelschi­cht kommt

 ?? Foto: S. Mazzarovic­h, dpa ?? Palmen, Sonne und kaum Coronafäll­e, eine Kombinatio­n, die zuletzt 77000 Einwandere­r anlockte. Nicht einmal 2000 Infektione­n registrier­te das Land bisher. Mundschutz tragen die Menschen dort trotzdem.
Foto: S. Mazzarovic­h, dpa Palmen, Sonne und kaum Coronafäll­e, eine Kombinatio­n, die zuletzt 77000 Einwandere­r anlockte. Nicht einmal 2000 Infektione­n registrier­te das Land bisher. Mundschutz tragen die Menschen dort trotzdem.

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