Menschenbilder waren ihr Thema
Im Kunstraum Schwifting ist das Werk von Ingeborg Weigand zu sehen. Zwei ihrer ehemaligen Schülerinnen geben Einblick in das bewegte Leben der Künstlerin
Schwifting Wozu sich ducken und klein machen? Der rote Schopf bleibt einem ja doch, und ebenso die Hänseleien der Kinder: „Wenn dat Rot nach Hause kommt, dann ist die Mutter froh, dann spart sie ihr Petroleum, dat Rot, dat leuchtet so.“Was die kleine Augusta in Franziska Sellwigs episodischer Erzählung „Orangen auf dem Gefängnishof“in frühen Mädchenjahren lernt – weiterlaufen, „als wäre nichts“–, das hat Ingeborg Weigand als junge Frau verinnerlicht. Bange sein gilt nicht! Ihr literarisches und malerisches Werk ist derzeit im Kunstraum Schwifting zu sehen.
Ob als Autorin, Künstlerin oder Leiterin einer Malschule für Frauen: Weigand alias Sellwig steht ein für sich, Freunde, die Familie – und die ist bei all den Wahlverwandtschaften, die sie pflegt, so groß wie weltumspannend. Der Suizid des Vaters, der als gebrochener Mann aus dem Konzentrationslager Esterwegen zurückkehrt, prägt die Tochter. Sie wendet sich neben der Kunst auch der Schriftstellerei zu, erhebt die Stimme für andere, die dies nicht mehr können. Manches, so ist sie überzeugt, muss gesagt, anderes gezeigt werden. In ihrer „Ahnengalerie“reiht sie namenlose wie prominente Opfer des NS-Regimes aneinander: Frauen, ihre Blöße notdürftig mit den Händen bedeckend, auf dem Weg „In die Grube“, leichenblass, den Blick gesenkt vor seinem Peiniger der Pazifist Carl von Ossietzky und dazwischen, auf dem Boden liegend, ein zerschundener Víctor Jara, Sänger, Theatermacher und Leitfigur der chilenischen Intellektuellen, der 1973 von putschenden Militärs ermordet wurde.
„Menschenbilder, nicht nur die politischen, auch aus ihrem persönlichen Umfeld, das war Ingeborgs Thema“, sagt Margarete Bartsch, die zusammen mit Waltraud Vogel die große Retrospektive zum 100. Geburtstag der charismatischen Rheinländerin im Kunstraum
besucht. Die beiden Meisterschülerinnen der an der Münchner Kunstakademie ausgebildeten Malerin tauschen beim Rundgang durch die Ausstellung Erinnerungen an die bewegte Zeit der frühen 1970er-Jahre in Weigands Kunstschule aus.
„Feminismus wurde in Schwifting nicht thematisiert, sondern gelebt, doch ging es hier vor allem um die Arbeit“, sagt Waltraud Vogel, und Margarete Bartsch ergänzt: „Wer sich hinter irgendwelchen Rollenklischees versteckte, der konnte auch schon mal ganz schön runtergeputzt werden. Einigen war das zu viel, die kamen nicht wieder …“Andere blieben über Jahre und profitieren künstlerisch bis heute von Weigands wenigen, aber sehr genauen „Hinweisen, denn“, sagt Waltraud Vogel, „Ingeborg ging einem nie mit eigenem Strich ins Bild. Den musste man schon selbst finden.“Alles, was Ingeborg Weigand in Angriff nahm, habe sie mit Dringlichkeit und großem Selbstbewusstsein verfolgt, sagt Bartsch und erinnert sich an eine Aktion der Malerin im Münchener Haus der
Kunst. Dort hatte sie sich neben dem Eingang zur Ausstellungshalle postiert, eine ihrer „selbstverständlich gelungenen“Arbeiten, „sonst hätte ich sie wohl kaum eingereicht“, auf den Knien, dazu ein Plakat: „Dieses Bild wurde ausjuriert!“. Klein beigeben? Nicht die Weigand! Auch da hätten gerade die Frauen viel von ihr lernen können.
Und doch habe sie sich verändert, sind die beiden Malerinnen angesichts zweier ihnen unbekannter Spätwerke überrascht. In „AbSchwifting schied“und „Auf der Bank“wendet sich Weigand Altersthemen zu. „Der Malstil ist hier ein ganz anderer“, sind sich Bartsch und Vogel einig: „Nichts vom Expressiven, Kraftvollen etwa eines ,Jara’, das für Ingeborg so typisch war“, stellen sie fest. In „Abschied“löse sich auf einmal alles auf, gerate ins Schwimmen. „Aber auch das hat sie gelten lassen“, kommentieren sie eines der Werke der sorgsam bestellten Überblicksschau auf ein beeindruckendes bildnerisches und literarisches Werk, in der es auch für WeigandKenner Neues zu entdecken gibt.
OTermin Die Gedächtnisausstellung „100 Jahre Ingeborg Weigand“, eine Präsentation des literarischen und maleri schen Werks der Künstlerin im Kunst raum Schwifting ist geöffnet bis 15. De zember und kann besucht werden nach Vereinbarung unter www.kunstraum schwifting.de
Mit zwei Spätwerken überrascht die Künstlerin