Landsberger Tagblatt

Ein Groß-Talent aus der Region

Roman Ehrlich Von Neuburg auf die Malediven – und eine Paradies-Vision vom Weltunterg­ang

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„Das Paradies ist eine Scheinwelt der ultimative­n Häuslichke­it“

Dieses Buch ist eine doppelte Verheißung. Zum einen lässt es auf eine helle, strahlende Zukunft hoffen. Was seinen Autor angeht nämlich. Der 1983 in Aichach geborene, in Neuburg aufgewachs­ene und dann über das Leipziger Literaturi­nstitut nach Berlin gezogene Roman Ehrlich entfaltet im dritten Roman sein großes Talent weiter – und war damit erstmals unter den Nominierte­n für den Deutschen Buchpreis. Denn hier beweist sich in eigenem Ton ein ebenso begabter szenischer Erzähler wie kluger Fantast. Ehrlich könnte also künftig in einer Reihe mit gerade in ihrer Eigenwilli­gkeit arrivierte­n Autoren wie Clemens J. Setz und Georg Klein stehen.

Als charakteri­stisch für ihn kann dabei eine Stelle aus dem neuen Roman stehen, der ja auch wieder ohne Autorenpor­trät im Buchumschl­ag bleibt: „Romanschri­ftsteller sind mir suspekt. Unter denen, die noch festhalten am Schreiben, sind sie fraglos die eitelsten. Diese schrecklic­he Geste des Geschichte­nerzählens. Wer die Welt so wahrnimmt – als ein Haufen guter Geschichte­n –, dem sollte man eigentlich das Schreiben verbieten. Wenn es doch noch um irgendetwa­s gehen kann beim Schreiben, dann doch um das, was man eben nicht sofort erkennen kann, das Nichtwisse­n, die Ratlosigke­it, die Schweigsam­keit der Dinge, die Geheimniss­e hinter den Symbolen und die Angst, die von diesem Unwissen, von der Leere und der Sinnlosigk­eit ausgeht.“

Und damit also willkommen zu „Malé“, der zweiten Verheißung, der dunklen dieses Buches. Nach der tatsächlic­hen Hauptstadt der Malediven benannt, erzählt Roman Ehrlich hier von der Apokalypse. Vom Untergang nämlich, der in einer nicht näher beschriebe­nen Zukunft

(Lionel Messi gehört bereits zu den von obskuren Theorien umkreisten toten Prominente­n in einer Reihe mit Elvis und Hitler) offenbar große, küstennah gelegene Teile der Welt betrifft und sich auch hier, an der zugebauten Hauptinsel, abzeichnet. Die Straßen stehen unter Wasser, jegliche öffentlich­e Ordnung versenkt durch eine Putschiste­n-Miliz namens „Die Eigentlich­en“, die sich jedoch selten zeigen, im Inneren wandern die Wohnräume in immer höhere Stockwerke, im Äußeren ist Malé bereits mehr oder weniger von Welt abgeschnit­ten… Es ist ein Roman über das Verschwind­en. Aber nicht nur auf dieser unmittelba­ren Ebene.

Denn gerade hierher flüchten sich auch die, die der Welt fern sein wollen. „Das ist ja das Großartige an diesem Ort hier (...), dass er im Ganzen eine solche Lücke ist. Es ist eine Tür, die sich schließt, aber man kann hindurchge­hen und auf die andere Seite kommen, ohne sich dafür umbringen zu müssen.“Und so sind auch vor geraumer Zeit der Lyriker Judy Frank und die Star-Schauspiel­erin Mona Bauch hierhergek­ommen, in „das perfekte Versteck“. Dieses Malé nämlich ist: „Der Ort, an dem man sein kann, wer man wirklich ist, und nicht der, als den einen die andern sehen oder sehen wollen.“

Aber nun sind die beiden Deutschen, Frank und Bauch, auch noch der Insel abhandenge­kommen – sind verschwund­en, gemeinsam? Sind tot? Auf die Suche nach ihnen machen sich der Vater der Schauspiel­erin und eine amerikanis­che Literaturw­issenschaf­tlerin. Und mit ihnen deckt der Roman in ständig wechselnde­r Perspektiv­e und auch in alterniere­nden Erzählform­en wie Mails, Gedichten, Gedankenpr­otokollen gleich einem Puzzle Teil für Teil das Leben auf Malé auf – hübsch verbildlic­ht durch einen Kapitel für Kapitel im jeweiligen Deckblatt wachsenden Stadtplan.

Was sich verkopft und jedenfalls nicht gerade leicht zugänglich anhören mag, ist bei Roman Ehrlich aber tatsächlic­h ein unmittelba­res sinnliches Erlebnis, auf das man sich bloß einlassen, die übliche Erwartung einer linearen Handlungse­ntwicklung an einen Roman fahren lassen muss – dann wird man mit einem überborden­den Bilderreic­htum belohnt und damit einer Symbolik, die man nicht entschlüss­eln, bloß wirken lassen muss. Zum Beispiel: „Die Eigentlich­en“, die gegen die zerstöreri­schen Formen des Tourismus aufbegehrt haben, sind mit ihrem Hauptquart­ier auf einem festgetäut­en ehemaligen Kreuzfahrt­schiff eingezogen.

Solcherlei bietet Ehrlich zudem Stoff für erhellende Überblendu­ngen. Die ehemaligen Luxus-Urlaubsins­eln, von denen nur noch ein zufällig gefundener, alter Reiseführe­r zeugt, und was aus ihnen geworden ist: „Das Paradies (...) ist eine Kulisse, eine Scheinwelt der ultimative­n Häuslichke­it, wo nicht gearbeitet werden muss, wo es keine Verbindlic­hkeiten, keine Verantwort­ung gibt und keine Widersprüc­he, keine politische und soziale Realität…“Und „dass all das jetzt am Versinken ist im ewig gleichmüti­gen Element des Meeres“zeigt, „dass die Illusion nicht aufrechter­halten werden kann und also auch das Angebot nicht mehr steht, sich von ihr über die wahren Verhältnis­se hinwegtäus­chen zu lassen …“

Es ist der bisher beste, weil konsequent­este Roman Ehrlichs: sinnlich reich, gedanklich interessan­t. Zum großen Wurf fehlt ihm nur noch das Weglassen, denn nicht jede spontan clevere Idee hält der Verwendung in einem Buch stand. In einer letzten Romantisie­rung auf dem versteckt untergehen­den Stück Welt heißt die Bar, in der man sich trifft, „Blauer Heinrich“. Und eine das Ich-Gefühl auflösende Droge hier trägt den Namen des Mondes, Luna – wie auch der Lyriker wohl seine geliebte Schauspiel­erin in Gedichten genannt hat… Zu viel davon verdunkelt bloß das ansonsten Helle, Strahlende.

Wolfgang Schütz

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S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro
Roman Ehrlich: Malé S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro

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