Wenn sich Kollegen ständig krank melden
Gibt es hohe Krankenstände im Team, kann das die Zusammenarbeit belasten. Aber auch für die betroffene Person ist die Situation am Arbeitsplatz nicht immer angenehm. So lässt sich das Problem lösen
Herdecke/Darmstadt Irgendwann ging es nicht mehr anders: Nachdem sie immer wieder eine Kollegin krankheitsbedingt vertreten musste, fiel sie selbst aus. Sandra Becker (Name geändert) war am Ende ihrer Kraft. Sie arbeitet in einer Klinik und in ihrem Team gibt es Kolleginnen, die bis zu 50 Tage im Jahr fehlen. Je nach Statistik einiger gesetzlicher Krankenkassen liegt der durchschnittliche Wert bei bis zu 20 Tagen.
Sandra Becker weist auf einen Dominoeffekt an krankheitsbedingten Ausfällen hin. Sie entstünden vor allem durch vorgegebene Strukturen. „Wenn sich ein Mitarbeiter krankmeldet und über längere Zeit krank ist, bleiben die täglichen Aufgaben und Nebentätigkeiten liegen, müssen nachgeholt werden oder von den Verbleibenden geleistet werden. Das führt dann wiederum zu einer Überforderung der anderen.“● Vorgesetzten informieren Laut Michael Kastner vom Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin (IAPAM) sollten Mitarbeiter ihre Vorgesetzten auf solche Fehlentwicklungen hinweisen. Arbeitgeber übernehmen von Rechts wegen die Fürsorgepflicht und sind für die Personalpflege verantwortlich. Dazu zählt zuallererst, die Arbeitnehmer angemessen in ihren Tätigkeiten zu beanspruchen. Er ist gesetzlich auch zu einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement, dem sogenannten BEM-Gespräch, verpflichtet. Das kommt infrage, wenn sich ein Mitarbeiter mehr als sechs Wochen am Stück oder zusammengenommen arbeitsunfähig meldet.
„Ein funktionierendes Betriebliches Eingliederungsmanagement trägt effektiv dazu bei, Krankheitszeiten zu reduzieren“, sagt die Gesundheitsmanagerin und Psychologin Carmen Tragelehn vom TÜV Hessen. „Im BEM-Gespräch können im Idealfall gemeinsam Lösungsansätze gesucht und gefunden werden.“Das könne beispielsweise sein: Wann ist ein Wiedereinstieg möglich? Passt der Arbeitsplatz noch? Braucht es einen internen Wechsel oder eine Anpassung? Wie viel kann gearbeitet werden?
● Nicht selbst konfrontieren Wenn ein Team von Fehlzeiten Einzelner betroffen ist, sollte es vermeiden, eigenständig mit dem Kollegen oder
Kollegin darüber zu sprechen. Diese Erfahrung hat Sandra Becker schon gemacht. „Wir haben meistens ein gutes Klima, aber auch nicht immer.“Man kenne sich und spreche darüber, wie es jemanden gehe. Aber: „Das macht es dann so schwierig, zu sagen, warum warst du denn jetzt fünf Wochen krank? Wir mussten hier alles allein stemmen.“
● „Klassensprecher“wählen Wenn sich Frust während der Vertretungszeit anstauen sollte, könnte das Team eine Art Klassensprecher auswählen, wie in der Schule, schlägt Kastner vor. „Bei ihm können die Teamkollegen ihren Ärger und Frust ablassen und ihn damit beauftragen, im Namen des Teams mit dem Vorgesetzten zu sprechen.“
● Anzeigen nutzen In einigen Brander chen ist eine sogenannte Gefahrenoder Überlastungsanzeige ein denkbares Instrument, die sich an die Chef- und Personalebene sowie den Betriebs- oder Personalrat richtet. ● Psychologen aufsuchen Außerdem gibt es das Angebot der arbeitspsychologischen Sprechstunde. Dorthin können sich Arbeitgeber genauso wie Arbeitnehmer mit akuten Fragen wenden und um Rat bitten. ● Unterstützung holen Oft können lange oder häufige Fehlzeiten für die betroffene Person selbst zum Konflikt werden. Wenn einen das Gefühl sehr belastet und man sich niemandem im direkten Arbeitsumfeld anvertrauen kann, rät Tragelehn, sich professionelle Unterstützung beziehungsweise eine Selbsthilfegruppe zu suchen.
● Nicht stigmatisieren Arbeitspsychologe Kastner warnt vor Stigmatisierung. Vielmehr müsse man klarmachen: „Wenn du wirklich krank bist, dann fehlst du.“Das gilt besonders, um dem sogenannten Präsentismus vorzubeugen, also trotz Krankheit auf der Arbeit zu erscheinen. Ebenso wichtig sei, Leuten ins Gewissen zu reden, die unzulässig fehlten.