Hundeliebhaber oder rabiater Nachbar?
Ein 78 Jahre alter Bewohner eines Mehrfamilienhauses in einer Ammersee-Gemeinde gerät ständig mit seinen Nachbarinnen in Streit. Er verdächtigt eine von ihnen, dass sie seinen Hund vergiftet hat. Dann eskaliert die Situation
Landsberg Dass der schwerbehinderte und schmerzgeplagte 78-jährige Angeklagte Ende April/Anfang Mai nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen sein könnte, das wollte sein Verteidiger Bernhard Mehr in der Verhandlung vor dem Amtsgericht in Landsberg nicht ausschließen. Sein Mandant musste sich wegen Körperverletzung und mehrfacher Beleidigung und Bedrohung von drei Mitbewohnerinnen eines Miethauses in einer Gemeinde am Ammersee-Westufer verantworten. Ob der Mann jetzt ins Gefängnis muss, ist offen.
Nach Ansicht des Verteidigers sei der Senior ein Hundenarr und derzeit weder verhandlungs- noch haftfähig. Vor Gericht wurde bekannt, dass dem Mann, der vor über fünf Monaten den Ammerseeraum mit Sack und Pack verlassen hat, voraussichtlich eine weitere Operation bevorsteht. Verhandelt wurde über einen Nachbarschaftsstreit. Der soll im späten Frühjahr über Wochen hinweg massiv eskaliert sein: Da soll es zwischen dem Angeklagten, der im ersten Stock des Gebäudes wohnte, und drei Mieterinnen häufig zu Auseinandersetzungen gekommen sein. Vor Gericht hielten sie dem Mann bei ihrer Zeugenaussage eine ganze Reihe von Missetaten vor: Jeder von ihnen soll er böse Schimpfworte an den Kopf geworfen haben.
Darüber zeigte sich eine der Geschädigten, 69, richtig geschockt und war vor Gericht nur schweren Herzens bereit, die verwendeten
Ausdrücke beim Namen zu nennen. Als der Angeklagte eines Tages mit seiner Hündin im Haus auf sie zulief – das war nicht der Weg zu seiner Wohnung – soll sie Angst vor dem Mann bekommen und abwehrend einen Arm nach vorne gestreckt haben. Er soll mit der Faust dagegen geschlagen, sie aber nicht verletzt haben. Bei diesem Zwischenfall war auch eine 63-jährige Mieterin aus dem Haus dabei. Besonders „dicke Luft“soll in der Hausgemeinschaft geherrscht haben, als es der Hündin schlecht ging und das Tier schließeingeschläfert werden musste. Der Grund: Der 78-Jährige soll eine 84-jährige Mieterin verdächtigt haben, die Hündin vergiftet zu haben.
Dazu meinte Richter Michael Eberle, dass er davon in dem ärztlichen Attest nichts gelesen habe. Die der Tat verdächtigte Frau ließ sich das nicht gefallen und erstattete Anzeige gegen den Mann. Sie erlitt zwei Tage später einen Schlaganfall und musste in eine Klinik gebracht werden.
Vor Gericht verpasste die 63-jährige Nachbarin dem Angeklagten
Symbolfoto: dpa eine gehörige Abfuhr. Sie widerlegte seine Aussage, wonach er weder geschimpft, geschlagen oder jemanden bedroht hätte, mit einem HandyVideo, das sie gemacht hatte. Alle im Saal konnten mithören, wie der Mann wütend und lauthals auf die Frauen eingeschimpft und kein gutes Haar an ihnen gelassen hat.
Sein Verteidiger räumte ein, dass sich der Mann bei einer „bestimmten Konstellation“nicht mehr steuern könne: Wenn Provokation, Tabletten, Alkohol – und die Sorge um seinen Hund – zusammenkälich men. Das sei zur Tatzeit wohl der Fall gewesen.
Das Gericht beschäftigte sich auch mit der Frage, ob und wie der gesundheitlich stark angeschlagene Mann überhaupt zuschlagen könne. Ein Arzt aus Weilheim, der den Mann seit Langem behandelt, gab die Antwort: Bei den Bewegungen von Armen und Beinen sei der Mann stark eingeschränkt. Die Möglichkeit, dass er kräftig zuschlagen könne, schätze er für „gering“ein, so der Mediziner.
Ein als Zeuge geladener Polizist bezeichnete den Angeklagten als „aggressiv“und „nicht kooperativ“. In seiner Wohnung sei eine Reihe von leeren Bierflaschen herumgestanden, berichtete der Beamte.
Es gibt ein HandyVideo von dem Streit
Ein Mediziner sagt, dass der Mann nicht schlagen kann
Schier endlos lang ist die Liste der Straftaten, mit denen der Mann schon viele Amtsgerichte beschäftigt hat: „Es sind 30 Voreinträge, davon ist ein Großteil einschlägig“, teilte Staatsanwältin Julia Ehlert mit. „Der Mann saß auch schon im Gefängnis“, berichtete sie. Von günstiger Sozialprognose könne nicht die Rede sein, so die Vertreterin der Anklage.
Sie plädierte für ein Jahr und drei Monate Haft ohne Bewährung. Der Verteidiger sprach sich für 90 Tagessätze zu je 15 Euro aus. Von Richter Eberle wurde schließlich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr angeordnet. Diese scheut der Angeklagte, wie sich vor Gericht zeigte, ganz arg. Sein Anwalt beschwichtigte ihn, dass er nicht hinter Gitter müsse. Denn auch der Arzt habe ausgesagt, dass der Mann nicht haftfähig sei.