Wenn sich der Fußball entfremdet
Selbst als wieder Fans in die Stadien durften, konnten die Klubs nicht alle Tickets verkaufen. Angst vor Corona und fehlende Stimmung sind Gründe dafür. Aber auch die Identifikation schwindet mehr und mehr
Augsburg Beim ersten Mal hat es etwas gedauert. Als klar war, dass der FC Augsburg für das Heimspiel gegen Borussia Dortmund 6000 Zuschauer in der WWK-Arena würde begrüßen können, waren die Tickets nicht so begehrt, wie einige vielleicht gedacht hatten. Es brauchte ein paar Tage, bis die Partie ausverkauft war. Die darauf folgenden Heimspiele gegen Leipzig und Mainz waren deutlich nachgefragter, die Eintrittskarten waren schnell vergriffen. Dumm nur, dass zumindest gegen Leipzig das Gesundheitsamt der Stadt Augsburg entschied, dass wegen der besorgniserregenden Entwicklung der Coronafälle keine Zuschauer zugelassen sind. Die Tribünen werden also leer sein, dabei hatte die Teilzulassung doch Hoffnung auf eine langsame Rückkehr zur Normalität gemacht. Doch davon ist nicht nur der Fußball weiterhin deutlich entfernt.
Richtig Probleme, die Stadien zu füllen, gab es andernorts. In Stuttgart wären gegen Bayer Leverkusen 12000 Zuschauer zugelassen gewesen, am Ende kamen nur 9500 Fans. Nun wäre es ungerecht, das am vermeintlich unattraktiven Gegner aus Leverkusen festzumachen. Eine Liga tiefer in Hannover gab es nämlich eine ähnliche Problematik, als sich nur 7300 Fans das Derby gegen Braunschweig anschauen wollten, wobei doch 9800 Zuschauer zugelassen waren. Dafür hatten sich mehrere hundert Fans vor dem Stadion
versammelt, um gemeinsam zu feiern. An der Attraktivität der Begegnung kann es dort nicht gelegen haben. Hat Corona aber dafür gesorgt, dass das Liveerlebnis im Stadion nicht mehr erstrebenswert ist?
„Distanz zu wahren, ist gerade für Ultras wenig attraktiv. Dicht gedrängt zu stehen, zusammen zu jubeln und sich zu umarmen – das Stadionerlebnis fehlt“, sagt Fan-Forscher Gunter Pilz. Es ist wohl eine Mischung aus Angst vor einer Ansteckung und die fehlende Atmosphäre, die viele Leute von einem Stadionbesuch abhält. Wobei zumindest in Augsburg die Erfahrung gemacht wurde, dass nach dem Spiel gegen Dortmund die anfängliche Skepsis gewichen war. „Wir haben von unseren Fans, die beim BVBSpiel waren, enorm viele positive Rückmeldungen zu unserem Konzept erhalten“, sagt Michael Ströll, der kaufmännische Geschäftsführer beim FC Augsburg. All das hilft jetzt nichts, wenn an immer mehr Orten wieder Geisterspiele stattfinden. Auch für die Spieler ist das nach wie vor schwierig, kann eine begeisternde Stimmung doch für bessere Leistungen sorgen. So aber herrscht Tristesse.
Doch was sagen die Fans selbst? Hans Martin vom Fanklub FCAFans Nordschwaben war beim Spiel gegen Dortmund dabei. „Das Hygienekonzept war vorbildlich, ich habe mich von Anfang an sicher gefühlt. Die Leute haben sich auch alle an die Maßnahmen gehalten“, sagt er. Auch für den Samstag hätte Martin wieder eine Eintrittskarte gehabt. Die Geisterspiele, die er im Fernsehen verfolgt hat, haben ihm gar nicht gefallen. „Fußball ohne Fans, das ist nichts“, sagt er. Seit 1973 geht er zum FCA, sein erstes Spiel war ein 6:2 gegen den VfR Heilbronn. Eine lange, heiße Liebe also, die auch in Zeiten von Corona und einer vermeintlichen Entfremdung der Fans nicht erkaltet ist.
Das ist bei einigen Fans anders. Auch wenn viele Vereine sowie die Deutsche Fußball-Liga (DFL) stets davon sprachen, dass die Fan-Rückkehr ein wichtiger Teil der Existenzsicherung der Vereine sei, kam die teilweise Öffnung der Stadien nicht bei allen gut an. „Es gibt viele Fans, die sagen: Warum muss der Fußball weiterhin laufen? Warum steht nicht die Bekämpfung der Pandemie an erster Stelle?“, sagt Jost Peter vom Fan-Bündnis „Unsere Kurve“. Zumal immer mehr Fans eine Fehlentwicklung im Profifußball feststellen. Er sei zu einem reinen Geschäftsmodell gekommen, das Geld stehe über allem. Es fällt vielen Menschen leichter, sich vom
Fußball abzuwenden. Das zeigt sich nicht nur im Stadion, sondern auch bei den Einschaltquoten, die sinken.
Die Identifikation sei teilweise verloren gegangen, sagt Mario Riedel vom Ulrich-Biesinger-Tribüne e.V. Die Pandemie hätte eine Chance sein können, auch im Fußball alles auf Null zu stellen. „Das aber wurde verpasst“, sagt Riedel. „Gerade während des Lockdowns hatte die Mehrheit kein Verständnis für das Gebaren der Profivereine. Die kommerzialisierte, hässliche Fratze des Fußballs hat sich in diesem Fall für alle gezeigt“, sagt Riedel. Nämlich durch den unbedingten Wunsch, weiter spielen zu können. Andernfalls hätte einigen Klubs durch das Fehlen der TV-Gelder das finanzielle Aus gedroht. Durch das überlegte Wirtschaften der vergangenen Jahre stand und steht der FCA besser da als einige Konkurrenten. „Dafür muss man dankbar sein“, sagt Riedel. Und doch vermisse er in der Diskussion um Änderungen im Fußball auch in Augsburg klare Taten.
Vor allem die Ultras des FCA haben von Anfang an gesagt, dass sie auch bei einer Teilöffnung nicht ins Stadion kommen werden. „Das ist nicht der Fußball, den sie sich vorstellen“, sagt Riedel. Ein anderer Teil des Ulrich-Biesinger-Tribüne e.V. ist froh, dass überhaupt wieder ein Spiel vor Zuschauern stattfinden konnte. Als Abwechslung vom Alltag in der schwierigen Zeit.
Fan-Forscher Pilz geht davon aus, dass nach der Rückkehr zur Normalität auch wieder die Fans ins Stadion kommen. „Ich bin davon überzeugt, dass Fanbegeisterung und Leidenschaft ausgeprägt genug sind“, sagt er. Was aber können die Vereine tun? „Ich glaube, es gibt keine Zauberformel, die jetzt wieder mehr Menschen ins Stadion lockt. Letztendlich entscheiden die Fans“, sagt Pilz. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert gibt zu: „Ein ausverkauftes Stadion ist sicherlich kein Beleg für die gesellschaftliche Verankerung des Fußballs. Vielleicht haben wir das so gesehen und es uns damit zu leicht gemacht.“
Gerade den Ultras fehlt das Stadionerlebnis