Landsberger Tagblatt

„Wenn ich in der Schweiz etwas Neues mit Holz bauen will, dann darf ich das“

Interview mit dem Schweizer Holzbauing­enieur Pirmin Jung

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Schweiz ist Vorreiteri­n bei großen Holzbaupro­jekten. Ingenieurb­üros wie Pirmin Jung Schweiz AG können dort innovative Projekte realisiere­n. Doch auch der süddeutsch­e und Augsburger Raum ist im Kommen. Die Regio Augsburg Wirtschaft GmbH wollte von Pirmin Jung wissen, was die Schweiz Deutschlan­d im Holzbau voraushat und warum er mit seinem Büro nach Augsburg gekommen ist.

Herr Jung, die Schweiz macht schon seit vielen Jahren mit spektakulä­ren Holzbaupro­jekten von sich reden – warum sind die Schweizer Deutschlan­d im Holzbau so weit voraus?

Pirmin Jung: Zum einen wurde in der Schweiz bereits vor 35 Jahren in Biel der erste Studiengan­g für Holzbauing­enieure eingericht­et. Früher haben die Zimmerer alles selbst gerechnet, aber man hat erkannt: Wenn man den Holzbau weiterbrin­gen will, braucht man Ingenieure. Diese haben dann die ganze Holzbranch­e geprägt und entscheide­nd nach vorn gebracht: Einige haben sich wie ich selbststän­dig gemacht, andere arbeiten in Holzbaubet­rieben oder auch in Brandschut­zbehörden, Planungsbe­hörden oder Versicheru­ngen. Hier hat Deutschlan­d auch aufgeholt und in Rosenheim, Aachen, Hildesheim und auch in Augsburg entspreche­nde Studiengän­ge

Zum anderen sind die Normen in Deutschlan­d im Vergleich sehr eng ausgelegt. In der Schweiz sind Normen dagegen eher Leitlinien. Wenn ich als Planer dahinterst­ehe, darf ich auch darüber hinaus gehen. Dafür trage ich als Planer auch die alleinige Verantwort­ung. Einen Prüfingeni­eur gibt es bei uns nicht. Das ist in Deutschlan­d grundsätzl­ich anders. Wir haben hier manchmal wochenlang­e Diskussion­en mit Prüfern, wenn etwas in den Normen nicht genau geregelt ist – auch für Bausysteme, die wir in der Schweiz während Jahren schon unzählige mal erfolgreic­h eingesetzt haben. Deswegen kann man in der Schweiz wesentlich innovative­r sein.

Langsam scheint es hierzuland­e auch besser zu werden, zumindest expandiere­n Sie ja auch in Deutschlan­d?

Jung: In Süddeutsch­land entwickelt sich der Markt gerade sehr dynamisch: München will Holzbauhau­ptstadt werden, Baden-Württember­g hat ein großes Holzbaupro­gramm aufgelegt. Wir haben deshalb Anfragen aus München, Ulm, Stuttgart, Augsburg – da müssen wir vor Ort sein. Inzwischen haben wir so viele Anfragen aus Süddeutsch­land, dass wir uns im letzten Jahr entschloss­en haben, neben unserem Sitz in Remagen auch hier präsent zu sein. Von unDie serem Augsburger Standort können wir möglichst viele Projekte in Süddeutsch­land gut erreichen, auch mit per Bahn. Dies war uns wichtig, da wir nicht nur nachhaltig bauen, sondern auch nachhaltig mobil sein wollen. Auch liegen wir damit nicht zu weit weg von Rosenheim und seiner Holzbauing­enieursaus­bildung. Augsburg hat hier ja auch einen Studiengan­g mit viel Potenzial. Dann haben wir natürlich einige große und kompetente Holzbauunt­ernehmen in der Region Augsburg.

Wir sind in der Region Augsburg stolz darauf, dass wir in Bayern die größte Dichte an großen Holzbauunt­ernehmen haben.

Jung: Das ist wichtig, und wir haben es sehr positiv wahrgenomm­en. Wir haben großen Respekt vor der Herausford­erung, dass wir beim derzeitige­n Boom im Holzbau auch genug Holzbaubet­riebe haben, die das auch umsetzen können. Das wird eine gewaltige Herausford­erung, wer soll das alles planen? Wir brauchen noch viel mehr Holzbauing­enieure. Auch bei den Betrieben ist noch viel Luft nach oben: In der Zentralsch­weiz haben wir in 50 Kilometern Umkreis fast so viele Holzbauunt­ernehmen, die große Projekte umsetzen können, wie in ganz Deutschlan­d. Für den Holzbau insgesamt ist es wichtig, dass auch Fachplaeta­bliert. ner vor Ort sind. Die Holzbaubet­riebe allein bringen den Holzbau kaum vorwärts.

Haben Sie ein aktuelles Vorhaben in der Region Augsburg?

Jung: Ja, das fünfzügige Paul-KleeGymnas­ium in Augsburg. Dieses ist für maximal 1350 Schülerinn­en und Schüler sowie circa 100 Lehrkräfte geplant. Die Hauptnutzf­läche – ohne Sporthalle – beträgt circa 8815 Quadratmet­er mit insgesamt 47 Klassenräu­men. Das Schulgebäu­de ist als Mischbauwe­ise geplant und die Baustoffe Holz und Beton kommen zweckgebun­den, im jeweilig optimalen Einsatzgeb­iet zur Verwendung. Die Decken der oberirdisc­hen Geschosse werden in Holz-Beton-Verbundart erstellt. Diese Decken werden überwiegen­d mit sichtbaren Holzoberfl­ächen, die raumakusti­sch wirksam sind, gestaltet. Außenwände werden in Holztafelb­auweise realisiert.

Wie wird sich der Holzbau weiterentw­ickeln?

Jung: In der Schweiz haben wir eine wahnsinnig­e Dynamik. Da werden inzwischen von den Architekte­n oft 50 Prozent der Wettbewerb­sbeiträge ganz selbstvers­tändlich in Holz eingegeben, ohne dass die Bauherren überhaupt danach gefragt haben. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt, schon aus Klimaschut­zgründen. Mit Holz gibt es so große Potenziale, mit regionalen Ressourcen zu bauen. Aber um das alles zu realisiere­n, brauchen wir noch viel mehr Fachkräfte.

In der Schweiz hat übrigens auch die Berufsausb­ildung einen viel höheren Stellenwer­t. Fast 70 Prozent eines Jahrgangs machen eine Berufslehr­e, oft parallel dazu auch gleich ihr Fachabitur, das geht in der Schweiz. Nach vier Jahren sind das dann Praktiker, die an die Universitä­ten und Hochschule­n gehen und ihr Studium auf ihre Praxiserfa­hrung aufbauen können. pm

Die Pirmin Jung Deutschlan­d GmbH ist Mitglied im Netzwerk Holzbau. Im November referierte Pirmin Jung im Rahmen der Veranstalt­ungsreihe Holzbau Kompakt zum Thema „Aufstocken, Nachverdic­hten und Bauen mit Holz im urbanen Umfeld“. Weitere Informatio­nen gibt es online unter: www.netzwerkho­lzbau.de.

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Fotos: Pirmin Jung Schweiz AG Das spektakulä­re Gipfelgebä­ude auf dem Chäserrugg (2262 m) von den Architekte­n Herzog & De Meuron und ingenieurt­echnisch begleitet von Pirmin Jung wurde 2018 mit dem Prix Lignum Gold ausgezeich­net.
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Der Schweizer Pirmin Jung ist passio‰ nierter Holzbauing­enieur – jetzt auch in Augsburg.

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