Landsberger Tagblatt

Der Gebietsbet­reuer ist nicht ganz zufrieden

Vor 50 Jahren wurde in Ramsar eine internatio­nale Schutzkonv­ention für Feuchtgebi­ete geschlosse­n. Seit 1997 betreut Christian Niederbich­ler das Schutzgebi­et rund um den Ammersee. Was er sich für die Zukunft wünscht

- VON USCHI NAGL

Dießen Gute Nachrichte­n für die Ammersee-Region gibt es vom Bayerische­n Naturschut­zfonds. Die Stiftung wird für weitere drei Jahre die Finanzieru­ng der Gebietsbet­reuung in Bayern übernehmen. Mit 7,7 Millionen Euro wird bis 2024 die Gebietsbet­reuung in 56 ökologisch wertvollen Landschaft­en in Bayern unterstütz­t – darunter auch das Ramsar-Gebiet Ammersee.

Über diese Anerkennun­g freut sich Christian Niederbich­ler ganz besonders. Er ist der dienstälte­ste der 56 Gebietsbet­reuer in Bayern. Seit 1997 kümmert er sich um den Ammersee. Seine Stelle wurde als Pilotproje­kt ins Leben gerufen, es machte schnell Schule. Trotzdem ist er mit der aktuellen Situation nicht ganz zufrieden: Niederbich­ler würde sich generell länger andauernde Förderphas­en von mindestens fünf Jahren wünschen, um Kontinuitä­t für langfristi­ge Projekte zu gewährleis­ten, und er ist der Meinung, dass nur eine Gebietsbet­reuerstell­e für ein großes Gebiet wie den Ammersee grundsätzl­ich zu wenig ist.

Es sei in den vergangene­n Monaten vorgekomme­n, so der 54-jährige Diplom-Geograf und Ornitholog­e, dass die berittene Polizei den Besucherdr­uck in beliebten Naturschut­zgebieten lenken und Besucher informiere­n musste, um Schaden von Tieren und Pflanzen abzuwenden. Solche Verhältnis­se wünscht er sich für den Ammersee nicht und plädiert stattdesse­n für den Einsatz Ranger oder Naturschut­zwächter.

Ein gutes Beispiel dafür sei der Naturpark Nagelfluhk­ette im Allgäu. „Die Ranger setzen dort ihr Wissen überall ein, wo es benötigt wird, in den Naturparks­chulen, mit eigenen Programmen und in der Besucherin­formation und Besucherle­nkung.“Er allein, so Niederbich­ler, könne wenig ausrichten, wenn Leute zur Iris-Blüte in die Wiesen am Südende des Ammersees laufen oder ihren Osterspazi­ergang trotz zahlreiche­r Verbotssch­ilder in den

Streuwiese­n im Ampermoos machen, wo in dieser Zeit die Wiesenbrüt­er Ruhe benötigen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass Besucher verständni­svoll reagieren, wenn man sie freundlich anspricht und informiert. Auch deshalb plädiert Niederbich­ler für ein Besucherze­ntrum nach dem Vorbild der Biologisch­en Station im Murnauer Moos.

Niederbich­ler freut sich darauf, mit der Rückkehr seiner Kollegin Jana Jokisch aus der Elternzeit wieder Verstärkun­g zu bekommen. Die junge Biologin, die sich mit Niederbich­ler eine Stelle teilt, möchte sich verstärkt um Themen wie Umweltpäda­gogik, Informatio­n und Öffentlich­keitsarbei­t und einen guten Kontakt zu den Wasserspor­tlern kümmern. „Doch selbst dann ist unsere Personalde­cke noch sehr dünn, denn wir haben niemanden, dessen ausschließ­liche Aufgabe es ist, draußen kontinuier­lich vor Ort zu sein – eine Art Ranger oder Naturschut­zwächter eben.“

Jetzt freut sich Niederbich­ler auf den Frühling. „Das ist jedes Jahr ein großes Aufblühen. Bei mildem Wetter hört man schon jetzt, an den Tagen um Mariä Lichtmess, die ersten Vogelstimm­en. Die Lichtverhä­ltnisse, die sogenannte Tag-undNacht-Gleiche, haben einen großen Einfluss auf die Vögel.“

Bereits im März/April soll es wieder hinaus gehen ins Ampermoos, um die Flächen für die Ankunft des Großen Brachvogel­s vorzuberei­ten. Diese Aufgabe nimmt Niederbich­ler gerne mit der Ornitholog­in und Tierfilmer­in Susanne Hofmann wahr. Zu Niederbich­lers ehrenamtli­chen Unterstütz­ern gehören ebenso eine muntere Schar von Vogelzähle­rn, Naturschut­zvereine, der Landschaft­spflegever­band Ampermoos, die Mobile Umweltschu­le von Markus Blacek sowie zahlreiche Bauern. „Es gibt mittlerwei­le wieder Landwirte, die einen Tiefstreus­tall bauen möchten, um die Mahd von den Streuwiese­n optimal zu verwerten“, freut sich Niederbich­ler. „So ein Netzwerk ist sehr wichtig, um Projekte voranzubri­ngen, und es braucht Zeit, Kontinuitä­t und Vertrauen, um es aufzubauen.“

Was dem Ramsar-Betreuer daneben am meisten Freude macht, sind die Führungen durch das Naturschut­zgebiet Vogelfreis­tätte Ammersee-Süd, die aber pandemiebe­hauptamtli­cher dingt voraussich­tlich erst im Herbst wieder möglich sein werden.

Unvergesse­n bleibt ihm eine Führung in seinen Anfangsjah­ren an einem Sonntagmor­gen. Die einzigen Teilnehmer­innen waren Liselotte Orff, die Witwe des bekannten Komponiste­n, und deren Nachbarin. Mit den beiden Naturfreun­dinnen entstand eine lange Freundscha­ft. Nach der Führung habe Frau Orff ihn eingeladen, ihren Garten am Ziegelstad­l zu besuchen. Dort sei er aus dem Staunen über die seltenen Schmetterl­ingsarten und die artenreich­en Wiesen gar nicht mehr herausgeko­mmen. Und er erinnert sich auch an eine Führung, an der ein blindes Mädchen teilnahm, das mit großer Präzision Vogelstimm­en wahrnehmen und zuordnen konnte.

Nach 23 Jahren kann sich Christian Niederbich­ler auch über zahlreiche Artenschut­zerfolge freuen, seien es der Erhalt oder die Entdeckung seltener Orchideena­rten, die Rückkehr des Brachvogel­s, die Verdopplun­g der Bekassinen-Brutpaare oder die vielen Schmetterl­ings- und Insektenar­ten, die im Moos eine Zuflucht haben. Aber als Gebietsbet­reuer sieht er auch vieles, was noch zu tun ist. Für den sehr seltenen Schilfrohr­sänger ist der Ammersee eines der wichtigste­n Gebiete in Bayern, hier leben bis zu 20 Prozent der gesamtbaye­rischen Population.

Der kleine Sänger hält sich am Rande der Streuwiese­n in nicht gemähten, landseitig­en Bereichen des Schilfs auf und ernährt sich hauptsächl­ich von Schilfblat­tläusen. Der hochspezia­lisierte Schilfbewo­hner mag es, wenn einzelne Weidensträ­ucher in seinem Lebensraum stehen, die ihm zusätzlich­e Nahrung bieten. Sensibel reagiert er allerdings auf starke Verbuschun­g. Diesbezügl­ich sei am Ammersee-Südende bereits eine Grenze erreicht. „Da müsste man auslichten. Das wäre wichtig, um diese Art zu erhalten.“

Wie der Schilfrohr­sänger steht auch das Braunkehlc­hen auf der Roten Liste. „Alle drei Jahre, wenn wir den Bestand in den Raistinger Wiesen untersuche­n, ist er fast halbiert“, berichtet Niederbich­ler. Dabei spiele Nahrungsar­mut durch Insektenma­ngel, verursacht durch den Einsatz von Insektizid­en und die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft eine große Rolle, und zwar auch bereits auf den Zugwegen des Vogels durch Frankreich und Spanien und mittlerwei­le auch in Afrika. Um dem Vogel zu helfen, müsse man versuchen, Flächen wieder in blütenreic­he Wiesen zu verwandeln.

Die Unterzeich­nung der RamsarKonv­ention zum Schutz der Feuchtgebi­ete jährte sich am 2. Februar zum 50. Mal. Wegen der Corona-Pandemie gab es dazu keine Feier. Diese soll nun voraussich­tlich im Spätsommer nachgeholt werden.

Mit diesem Beitrag endet unsere Serie zum Jubiläum der Ramsar-Konvention.

Warum der Gebietsbet­reuer nach Rangern ruft

Wie nach einer Führung eine lange Freundscha­ft entstand

 ?? Fotos: Christian Niederbich­ler (2)/Andrea Gehrold ?? Ramsar‰Gebietsbet­reuer Christian Niederbich­ler (rechts) bei einer Führung im Ampermoos. Zwei gefährdete Vogelarten, die im Ammerseera­um noch heimisch sind: der Schilfrohr­sänger (rechts unten) und das Braun‰ kehlchen (rechts oben).
Fotos: Christian Niederbich­ler (2)/Andrea Gehrold Ramsar‰Gebietsbet­reuer Christian Niederbich­ler (rechts) bei einer Führung im Ampermoos. Zwei gefährdete Vogelarten, die im Ammerseera­um noch heimisch sind: der Schilfrohr­sänger (rechts unten) und das Braun‰ kehlchen (rechts oben).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany