Landsberger Tagblatt

Wo Pferde Wellness und Reha erhalten

In der Tierklinik auf dem Seehof in Dießen gibt es ein ganz besonderes Schwimmbad. Seit mehr als 30 Jahren verhilft dort Stefan Rattenhube­r Pferden wieder zu schmerzfre­ier Mobilität

- VON ULRIKE RESCHKE

Dießen Vor mehr als 30 Jahren sang Achim Reichel von „fliegenden Pferden“– in der Klinik von Dr. Stefan Rattenhube­r in Dießen gehören seit 1985 zumindest schwimmend­e Pferde zum Alltag. In einem Tierhallen­bad therapiert der Veterinär seine Patienten nach Operatione­n oder Verletzung­en. Manche halten sich auch zur Wellness auf dem Seehof auf, erzählt er. Bei Wengen betreibt Rattenhube­r das Tiermedizi­nische Behandlung­szentrum Seehof (TMBZ) mit dem deutschlan­dweit ersten, inzwischen aber nicht mehr einzigen Schwimmbad für Pferde.

Pools für Pferde lernte Rattenhube­r während des Studiums in England kennen. „Auf den großen Rennbahnen gab es schon damals diese zusätzlich­e Trainingsm­öglichkeit“, sagt er. In seiner 1979 eröffneten Klinik schwimmen Sportund Freizeitpf­erde hauptsächl­ich im Rahmen einer Rehabehand­lung. Laut seiner Statistik wird in diesem Monat das 6000. Pferd seine Erfahrunge­n in dem betonierte­n Becken mit einem Durchmesse­r von 15 Metern gemacht haben. Gemeinsam mit zwei Tierärztin­nen und zehn weiteren Mitarbeite­rn, auch Tierphysio­therapeute­n, hilft der Arzt Ponys ebenso wie Spitzenspo­rtlern schonend wieder zurück zu schmerzfre­ier Beweglichk­eit – durch Diagnostik, Operation und Rehabilita­tion, „wie in einer modernen Unfallklin­ik“. In dieser Form sei der Seehof einzigarti­g in Deutschlan­d, sagt Rattenhube­r. Die Patientens­char ist internatio­nal. Die weiteste Entfernung legte ein Pferd aus Spanien zurück, um auf dem Seehof gesund zu werden. „Wir sind bekannt dafür, Pferde zu behandeln, die schon aufgegeben wurden“, sagt Rattenhube­r.

In der Holzhalle liegt leichter Chlorgeruc­h in der Luft, vor den großen Fenstersch­eiben liegen Weiden und Stallungen. Die runde Beckenform sei ideal für eine Steigerung des Trainingse­ffekts, sagt der Tiermedizi­ner. Die Patienten gelangen über eine schräge Rampe und allmählich tiefer werdendes Wasser ins drei Meter tiefe Becken. Bis zu 15 Runden schwimmen sie rund um zusammenge­steckte, bunte Poolnudeln, die das Betonpodes­t in der Mitte optisch abgrenzen, um Verletzung­en zu verhindern. Wie beim Longieren führt eine Mitarbeite­rin hier die Tiere. Zu dem zentralen Podest gelangt sie trockenen Fußes auf eine Plattform mit Seilzug.

Die Wassertemp­eratur liegt bei 18 bis 21 Grad Celsius. Bei der fordernden Bewegung werde es den Pferden sonst schnell zu warm, erklärt der Pferdespez­ialist, da ihr Fell wie ein Taucheranz­ug wirke. „Im Sommer steigen wir selber manchmal ins Becken zum Abkühlen“, sagt er lächelnd. Für Pferde sei Wasser nichts Fremdes, so der Tierin der Camargue schwimmen sie auch vom Festland auf Inseln, um an das dort vermeintli­ch bessere Gras zu gelangen. Instinktiv machten Pferde üblicherwe­ise Trabbewegu­ngen beim Schwimmen, erzählt Rattenhube­r. Manche paddelten zunächst wie Hunde, fänden aber schnell in die Bewegung.

Nach längerer Boxenruhe bei Verletzung­en oder Schäden an Gelenken, Sehnen und Muskeln sei Schwimmen der Weg, die bewevon gungshungr­igen Pferde wieder zurück zur schmerzfre­ien Mobilität zu führen. Der Trainingsn­utzen lässt sich durch eine Gegenstrom­schwimmanl­age zusätzlich steigern, zunächst jedoch über die Rundenzahl. Alles wird im individuel­len Schwimmpro­tokoll festgehalt­en, jedes Tier vor und nach der Sporteinhe­it medizinisc­h überprüft.

Die Atmosphäre ist ruhig und entspannt, leise reden die Mitarbeite­rinnen Julia und Gabi mit den gearzt, duldig wartenden Tieren, die das Erlebnis sichtlich genießen. An diesem Vormittag steigt „Zuckerpupp­e“als erste über die schräge Rampe ins Wasser. Nach vier Runden verlässt sie das Becken wieder. Die erst kürzlich am Hinterbein operierte Zuckerpupp­e holt bei ihren Runden tief Luft und atmet laut prustend rhythmisch aus. „Kingfisher“, der als nächster an der Reihe ist, schnauft erst nach ein, zwei Runden hörbar, ein Ergebnis längerer RehaErfahr­ung. Der Hengst mit einem Sehnenscha­den könne Ende März nach zweieinhal­b Monaten Klinikaufe­nthalt als geheilt entlassen werden, sagt Rattenhube­r.

Die Oberlippe hochgezoge­n, die Augen auf die Beobachter am Beckenrand gerichtet, ziehen beide Pferde nacheinand­er ihre Runden. Die Bewegung im Wasser sei hochanstre­ngend, sagt Rattenhube­r – eine Runde sei vergleichb­ar mit 500 Meter Rennbahnga­lopp. Schwimmen rege Kreislauf und Durchblutu­ng an und begünstige so die Heilung. Es sei gelenk-, sehnen- und muskelscho­nend und durch den Auftrieb rückenförd­erlich.

Nach dem Schwimmen werden die Pferde leicht abgetrockn­et und für etwa 20 Minuten unter eine Infrarotla­mpe mit integriert­em Föhn

Im Sommer steigt auch der Therapeut mal ins Becken

gestellt. Vor dem Bad wird jedes Tier abgebürste­t, abgeduscht, um den Schmutz zu entfernen, und steigt dann, von außen geführt, ins Becken. Anschließe­nd geht es für die schwimmend­en Pferde je nach Therapiepl­an zurück in die Box zu einer weiteren Behandlung wie Massagen, in den Paddock oder – wie für Kingfisher – zum Longieren.

An zwei Pferde, die bei ihm in Behandlung waren, kann sich Stefan Rattenhube­r, der selbst internatio­nale Vielseitig­keitsturni­ere ritt, besonders gut erinnern: In den 1990er-Jahren kam das mit einem Wert von 1,5 Millionen Euro teuerste Pferd in seine Klinik – ein Araberheng­st aus Israel, der mit eigenen Bodyguards anreiste. Der schwergewi­chtigste Patient war ein Kaltblut mit einem Gewicht von 1,4 Tonnen, eine Herausford­erung auch für den Kran im OP, der „eigentlich“eine Maximalbel­astung von einer Tonne trage. Doch alles ging gut.

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Fotos: Thorsten Jordan Im Therapieha­llenbad von Dr. Stefan Rattenhube­r (links) werden Pferde behandelt, um ihnen auf schonendem Weg nach Verlet‰ zungen ihre Beweglichk­eit zurückzuge­ben. Das sei in Deutschlan­d einzigarti­g, sagt der Tierarzt.
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