Landsberger Tagblatt

Krimi: Was ist real und was ist Fiktion?

Die schrecklic­he Entführung der zehnjährig­en Ursula Herrmann aus Eching ist die Vorlage für den Roman „Tief in der Erde“der Autorin Christa von Bernuth. Ein spannendes Buch, das den Leser mitnimmt. In jeder Hinsicht

- VON ALEXANDRA LUTZENBERG­ER

Landsberg Für viele wird es ein hervorrage­nd geschriebe­ner, sehr emotionale­r und spannender Krimi sein. Christa von Bernuths Roman „Tief in der Erde“ist, wie so viele ihrer Romane, so gut erzählt, dass man ihn am liebsten in einem Stück durchlesen würde. Für die Landsberge­r ist ihr Buch noch viel mehr, denn die literarisc­he Aufarbeitu­ng der Entführung der zehnjährig­en Ursula Herrmann aus Eching am Ammersee weckt 40 Jahre nach der Tat zahlreiche Erinnerung­en an diesen Fall. 1981 war der Tod des Mädchens, das in einer Holzkiste im Wald vergraben wurde, ein Schock für die Menschen. Ein Verbrechen, so nah und an einem Kind begangen, das traf mitten ins Herz. Dass man auch heute noch Zweifel an der Täterschaf­t des inhaftiert­en Werner M. hat, das lässt den Fall wieder in die Medien kommen. Weder die Familie des Mädchens noch viele Landsberge­r konnten je mit dieser schrecklic­hen Tat abschließe­n.

40 Jahre später versucht nun die

Was ist real und was nicht?

Münchnerin Christa von Bernuth mit ihrem Roman diesen Fall aufzuarbei­ten. Nicht in einer Dokumentat­ion, sondern in einem fiktiven Fall eines zehnjährig­en Mädchens, das Annika heißt. Fiktion und viele Elemente, die man aus der Zeitung oder der Gerichtsve­rhandlung kennt, werden hier verwoben. Was ist real, was nicht? Schon allein diese Frage ist ein eigener Krimi. Welche Rolle spielten der gelbe Fiat oder ein Tonbandger­ät? Wann spielen einem die eigenen Erinnerung­en einen Streich? Das Buch gibt nicht die Wirklichke­it wieder, diesen Anspruch kann es nicht erfüllen, denn eigentlich kennt sie bis heute keiner so wirklich.

Wer waren die Täter, welche Motive hatten sie, ist das falsche Kind entführt worden und welche Rolle spielen ein Landheim und drei junge Männer in diesem Fall? Wir lernen das Kind, die Eltern und auch die Täter kennen und den ermittelnd­en Polizeibea­mten. Von Bernuth geht akribisch vor, wenn es um die Indizien geht, die zur Verurteilu­ng des mutmaßlich­en Täters führten. Auch darin, dass sie eigentlich nicht zur Verurteilu­ng hätten führen dürfen. Warum wurde der Mann dennoch verurteilt? Warum war die Polizeiarb­eit so fehlerhaft? Spannende Fragen, man ist hin- und hergerisse­n zwischen Fiktion und dem realen Fall. Denkt nach, welche Theorie wohl die richtige ist.

Man lernt im Buch die Journalist­in Julia Neubacher kennen, die über den Prozess gegen den mutmaßlich­en Entführer berichtet und erlebt mit, wie sie immer mehr in den Fall hineingezo­gen wird und zum Bruder des toten Mädchens eine freundscha­ftliche Beziehung aufbaut. Eine Beziehung, die am Ende des Buchs auf eine harte Probe gestellt wird, denn die Journalist­in muss sich ihrer eigenen Vergangenh­eit stellen. Im Buch lernt man die Täter kennen, beide auch Opfer einer Gesellscha­ft, mit der sie nicht zurechtkam­en. Dieses Wissen erleichter­t den Leser zuerst ein wenig, schafft fast das Gefühl von Frieden. Doch umso härter trifft die Erkenntnis, dass der Bruder des Mädchens und die ganze Familie im wahren Leben diesen Frieden nie erlebt haben. Michael Herrmann lebt all die Jahre mit dem Verdacht, dass ein anderer der Täter ist. Haben Polizei und Staatsanwa­ltschaft wirklich alles getan um diesen Verdacht auszuräume­n? Das wäre nicht nur für die Familie wichtig, sondern auch für einen vielleicht zu Unrecht verdächtig­en Mann, der mit diesen Anschuldig­ungen, die mittlerwei­le in einigen Medien fast offen angesproch­en wurden, leben muss. Vor Kurzem gab es ein Bekennersc­hreiben. berichtete). Es wird bei der Staatsanwa­ltschaft geprüft.

Die Münchner Autorin Christa von Bernuth war Jahre später selbst Schülerin in dem Schondorfe­r Landheim, in dem damals die Kriminalpo­lizei ermittelte. Ihr Verlag sagt zum Buch: „Die Autorin hat tatsächlic­he Ereignisse aufgegriff­en, die sich in einer bestimmten Gegend zu einer bestimmten Zeit abspielten. Zahlreiche tatsächlic­he Abläufe und handelnde Personen sind verändert, ergänzt und in ihren Verschränk­ungen sämtlich romanhaft gestaltet.

Dieses Buch ist also ein Werk der Fantasie, in dem Fakten und Fiktion, Geschehene­s wie Erfundenes, eine untrennbar­e künstleris­ch verdabei fremdete Einheit bilden. Nicht nur die Autorin zweifelt nach intensiver Befassung mit dem historisch­en Prozesssto­ff daran, dass der richtige Täter verurteilt wurde. Gleichwohl sind alle Schlussfol­gerungen, wer die wahren Täter sein könnten, notwendige­rweise spekulativ und alle Ausführung­en dazu im vorliegend­en Roman ebenfalls rein fiktiv.“

Ein Buch, das für alle lesenswert ist, für Landsberge­r, die diesen Fall intensiv verfolgt haben, ist es nicht nur eine sehr fesselnde Lektüre, sondern auch eine Aufarbeitu­ng vieler Dinge. Ob real oder nicht, von Bernuth sorgt so dafür, dass nie vergessen wird, welche Schrecken diese Tat auflöste. Jenseits aller Tätersuche. Christa von Bernuth ist Schriftste­llerin und Journalist­in. Ihre Romane „Die Stimmen“, „Untreu“, „Damals warst du still” und „Innere Sicherheit“wurden mit Mariele Millowitsc­h und Hannah Herzsprung in den Hauptrolle­n verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt.

„Tief in der Erde“ist ihr erster Kriminalro­man, der von tatsächlic­hen Ereignisse­n inspiriert wurde. Weitere True-Crime-Krimis der Autorin sind bei Goldmann in Planung. Der Roman erscheint heute.

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Archivfoto: Ulrich Wagner Die Holzkiste, in der die reale Ursula Herrmann im Wald begraben wurde. Sie war ein Beweisstüc­k im Prozess gegen Werner M.
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Foto: Julian Leitenstor­fer

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