Hat die CSU ein AmigoProblem?
Genau wie Alfred Sauter sollte auch Georg Nüßlein eigentlich sogar 1,2 Millionen Euro Provision kassieren. Umfragen zeigen, wie massiv die dubiosen Geschäfte ihrer Abgeordneten am Vertrauen in die Partei kratzen
Augsburg Die Bundestagswahl ist in Sichtweite, die Corona-Politik polarisiert die Bevölkerung immer stärker. Inmitten dieser angespannten Lage trifft die Masken-Affäre die CSU ins Mark. Obwohl Ministerpräsident Markus Söder versucht, Schaden von der eigenen Partei abzuwenden, ist der Vertrauensverlust in der Bevölkerung bereits jetzt massiv – und das nicht nur in der Frage, wen die Deutschen wählen würden. Das Misstrauen sitzt tiefer: Fast drei Viertel der Bürger sehen in den fragwürdigen Geschäften der Abgeordneten Georg Nüßlein und Alfred Sauter keine Einzelfälle, sondern ein grundsätzliches Problem der Partei, die im Freistaat seit Jahrzehnten den Ton angibt.
In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag unserer Redaktion bezeichnen 72 Prozent der Teilnehmer die bayerische Regierungspartei als besonders anfällig für unsaubere Geschäfte. Mehr als die Hälfte der Befragten findet sogar, die CSU habe „auf jeden Fall“ein AmigoProblem. Selbst 46 Prozent der Unions-Anhänger glauben, dass es ein generelles Defizit bei der Trennung von finanziellen Privatinteressen und politischer Arbeit gibt.
Fast täglich schaden neue Nachrichten dem Ansehen der CSU. Am Mittwoch gerät der langjährige Landtagsabgeordnete Alfred Sauter ins Zentrum der Affäre. Dass die Justiz ausgerechnet gegen den früheren Justizminister wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt, erschüttert dessen Partei in ihren Grundfesten. Er soll über verschlungene Wege rund 1,2 Millionen Euro Provision aus MaskenDeals kassiert haben. Mit der Razzia in Sauters Landtagsbüro hat der Skandal den Führungszirkel der CSU erreicht. Am kommenden Donnerstag will die Landtagsfraktion über Sauters Ausschluss abstimmen. Dafür wäre eine Zwei-DrittelMehrheit nötig. Fraktionschef Thomas Kreuzer will nach der MaskenAffäre „alle Hebel in Bewegung setzen, damit solche Handlungen in Zukunft verhindert werden“.
Sein Amt als Chef des CSU-Kreisverbandes Günzburg lässt Sauter bereits seit Freitag ruhen. Dort liegt das Epizentrum des Bebens, das durch die Aufhebung der Immunität des Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein am 25. Februar ausgelöst wurde. Nach Recherchen unserer Redaktion sollte der 51-Jährige – genau wie sein Mentor Sauter – ursprünglich sogar 1,2 Millionen Euro dafür bekommen, dass er einem hessischen Masken-Hersteller millionenschwere Aufträge zuschanzte. 660 000 Euro sind tatsächlich geflossen. Doch eine weitere Zahlung über den Umweg Liechtenstein stockte offenbar, weil eine Bank Verdacht schöpfte und die Finanzaufsicht einschaltete.
Wie Nüßlein weist auch Sauter sämtliche Vorwürfe zurück. Der schwäbische Strippenzieher behauptet inzwischen, er habe das Geld, das er über sein Anwaltshonorar hinaus mit den Masken-Geschäften verdient hat, nach Abzug der Steuern ohnehin spenden wollen. Und tatsächlich gingen bei einer Günzburger Stiftung 470000 Euro ein. Allerdings nach unseren Informationen erst am 8. März – zu diesem Zeitpunkt waren die Ermittler Sauter längst auf der Spur. Selbst in den eigenen Reihen mag man seiner Version deshalb nicht so recht glauben. „Wenn die Spende erst erfolgt ist, als bei Nüßlein schon durchsucht wurde, stellt sich die Sache natürlich anders dar“, sagt einer aus hohen CSU-Kreisen.
Für die Partei nehmen die schlechten Nachrichten kein Ende. Mitten in der Masken-Affäre verlor sie in Umfragen die absolute Mehrheit. Am Donnerstagabend verschärfte der oberbayrische Bundestagsabgeordnete Tobias Zech die Lage. Er trat wegen dubioser Geschäfte in Mazedonien zurück. Am Freitagabend berichtete der BR, dass die Münchner Staatsanwaltschaft seit mehreren Jahren gegen den CSU-Landtagsabgeordneten Karl Straub aus Wolnzach ermittele. Der Verdacht laute auf Betrug, Insolvenzverschleppung und Steuerhinterziehung. Straub zufolge stehen die Ermittlungen in Zusammenhang mit der Insolvenz seiner Autohäuser. Die Sorgen in der CSU, dass das Ansehen langfristig beschädigt ist, wachsen. Und das aus gutem Grund. „Die derzeitige Kombination aus der Bereitschaft mehrerer Abgeordneter, sich persönlich an der Krise zu bereichern, sowie dem staatlichen Missmanagement bei der Corona-Bekämpfung birgt für die gesamte Union toxisches Potenzial“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Zwar würde die Erfahrung dafür sprechen, dass die Masken-Affäre auch bald wieder in Vergessenheit geraten kann. „Aber dennoch könnte der vor allem aus Sicht der CSU, aber natürlich auch der CDU, fatale öffentliche Eindruck bestehen bleiben, die Wirtschaftskompetenz von CDU/CSU äußere sich vor allem in der Aufgeschlossenheit einzelner Abgeordneter gegenüber lukrativen Nebeneinkünften“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Sie sieht das Problem darin, „dass man so manches nicht nur hingenommen, sondern womöglich auch gutgeheißen hat – zum Beispiel den Karrierismus, der in der Jungen Union sehr verbreitet ist“. Zudem habe die CSU ihre eigenen Leitlinien nicht ernst genug genommen. Es genüge eben nicht, einen „Verhaltenskodex“zu verankern. „Man muss ihn auch kontinuierlich durchsetzen – auch gegen Widerstände“, sagt Münch.
Im Leitartikel schreibt Uli Bachmeier über die CSU und die Geister ihrer Vergangenheit. In der Politik erfahren Sie mehr über Sauters geheimnisvolle Spende und die gestoppte Überweisung an Nüßlein.