Die Schulen müssen offen bleiben
Monatelang waren Schüler ausgesperrt. Viele Forscher sind überzeugt: Das war übertrieben. Die Debatte um die Maskenpflicht überlagert eine viel wichtigere
Jetzt ist es überstanden. Schüler lernen – zumindest fürs Erste – nahezu überall wieder zusammen in den Klassenzimmern. Zwar noch lange nicht unter Alltagsbedingungen, aber nach einem festen Stundenplan mit einem Lehrer, den man alles fragen kann. Endlich. Ein ums andere Mal deuten wissenschaftliche Studien mittlerweile auf dasselbe hin: Deutschlands Schulen waren zu lange geschlossen.
Ministerpräsidenten, die über die gesamte Pandemie hinweg die Öffnungsparole „Schulen zuerst“ausgegeben hatten und die Bildungseinrichtungen dann doch fast als Letztes öffneten, sollten sich gerade fragen, ob sie Schüler zu lange links liegen ließen. Ob sie aus den Erkenntnissen von Infektiologen und den Befürchtungen von Pädagogen hätten differenziertere Konzepte ableiten müssen, statt wieder und wieder nur die Schultüren ins Schloss fallen zu lassen.
Jetzt sind die Inzidenzzahlen niedrig, Schulen fahren gut im vollen Betrieb. Die wenigen Klagen beziehen sich vor allem auf Sinn und Unsinn der Maskenpflicht. Diese Diskussion ist nachvollziehbar. Doch sie verhindert eine andere, viel wichtigere. Die nämlich, wie das nächste Schuljahr ein Neubeginn werden kann.
Schulen brauchen einen Pandemieplan. Schulen dürfen nicht wieder schließen, selbst wenn Corona im Herbst stärker zurückkehren sollte. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidungsträger zumindest im stillen Kämmerlein an einem Plan tüfteln, wie Schulen künftig für Pandemien gewappnet sind. Momentan wirkt es eher so, als wären sie vollkommen damit beschäftigt, im Maskenstreit ihre Rollen als Mahner oder als Verteidiger der Freiheitsrechte auszufüllen. Nebenbei bemerkt: Eine Lockerung der schulischen Maskenpflicht war dringend nötig. Es gibt keine vernünftige Erklärung, warum man sich zu zehnt und maskenlos auf eine Bierbank zwängen darf, während Schüler auf dem ganzen Schulgelände den Mundschutz anbehalten mussten.
Jetzt kommt es aber auch darauf an, nicht nur an die verbleibenden Wochen bis zu den Ferien zu denken, sondern weit darüber hinaus. Man darf erwarten, dass die Politik aus den Forschungserkenntnissen Schlüsse zieht und diese präsentiert.
Niemand kann der Regierung einen Vorwurf daraus machen, dass sie die Schulen im März 2020 zum ersten Mal schloss, als das Virus noch „neuartig“war und niemand seine Verbreitungswege kannte. Größtmögliche Vorsicht war damals richtig. Jetzt aber gibt es genügend Informationen zur Ansteckungsgefahr unter Schülern; zahllose Infektiologen, Aerosolforscher und Kinderärzte kommen zu demselben Schluss: Schulen sind nicht die berühmten „Treiber der Pandemie“. Das Robert-Koch-Institut legte im April einen Bericht vor, wonach Schülerinnen und Schüler beim Infektionsgeschehen „eher nicht als Motor eine größere Rolle spielen“. Im Mittel waren bei Ausbrüchen an einer Schule drei Personen betroffen gewesen.
Wie lange die Schulen geschlossen waren, ist je nach Region sehr unterschiedlich. Fest steht: Es war deutlich länger als in Nachbarländern wie Frankreich oder der Schweiz. In dem Alpenstaat waren Schulen nur maximal zehn Wochen zu. Die Schweiz hatte kurz nach den ersten Schließungen die Leistungen der Schüler analysiert und einen Schlussstrich gezogen. Lernschwache Kinder drohe man zu verlieren, hieß es. Zu Orten mit überproportional vielen Ansteckungen wurden die Schulen nicht.
In Deutschland fehlen solche pädagogischen Analysen bis heute – genauso wie ein Plan, wie man Schulen sicher offen halten kann. Es wird Zeit, dass die Politik ihre Maske fallen lässt und diesen Versäumnissen ins Gesicht blickt.
Schulen gelten nicht mehr als Treiber der Pandemie