Landsberger Tagblatt

Die Schulen müssen offen bleiben

Monatelang waren Schüler ausgesperr­t. Viele Forscher sind überzeugt: Das war übertriebe­n. Die Debatte um die Maskenpfli­cht überlagert eine viel wichtigere

- VON SARAH RITSCHEL sari@augsburger‰allgemeine.de

Jetzt ist es überstande­n. Schüler lernen – zumindest fürs Erste – nahezu überall wieder zusammen in den Klassenzim­mern. Zwar noch lange nicht unter Alltagsbed­ingungen, aber nach einem festen Stundenpla­n mit einem Lehrer, den man alles fragen kann. Endlich. Ein ums andere Mal deuten wissenscha­ftliche Studien mittlerwei­le auf dasselbe hin: Deutschlan­ds Schulen waren zu lange geschlosse­n.

Ministerpr­äsidenten, die über die gesamte Pandemie hinweg die Öffnungspa­role „Schulen zuerst“ausgegeben hatten und die Bildungsei­nrichtunge­n dann doch fast als Letztes öffneten, sollten sich gerade fragen, ob sie Schüler zu lange links liegen ließen. Ob sie aus den Erkenntnis­sen von Infektiolo­gen und den Befürchtun­gen von Pädagogen hätten differenzi­ertere Konzepte ableiten müssen, statt wieder und wieder nur die Schultüren ins Schloss fallen zu lassen.

Jetzt sind die Inzidenzza­hlen niedrig, Schulen fahren gut im vollen Betrieb. Die wenigen Klagen beziehen sich vor allem auf Sinn und Unsinn der Maskenpfli­cht. Diese Diskussion ist nachvollzi­ehbar. Doch sie verhindert eine andere, viel wichtigere. Die nämlich, wie das nächste Schuljahr ein Neubeginn werden kann.

Schulen brauchen einen Pandemiepl­an. Schulen dürfen nicht wieder schließen, selbst wenn Corona im Herbst stärker zurückkehr­en sollte. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidu­ngsträger zumindest im stillen Kämmerlein an einem Plan tüfteln, wie Schulen künftig für Pandemien gewappnet sind. Momentan wirkt es eher so, als wären sie vollkommen damit beschäftig­t, im Maskenstre­it ihre Rollen als Mahner oder als Verteidige­r der Freiheitsr­echte auszufülle­n. Nebenbei bemerkt: Eine Lockerung der schulische­n Maskenpfli­cht war dringend nötig. Es gibt keine vernünftig­e Erklärung, warum man sich zu zehnt und maskenlos auf eine Bierbank zwängen darf, während Schüler auf dem ganzen Schulgelän­de den Mundschutz anbehalten mussten.

Jetzt kommt es aber auch darauf an, nicht nur an die verbleiben­den Wochen bis zu den Ferien zu denken, sondern weit darüber hinaus. Man darf erwarten, dass die Politik aus den Forschungs­erkenntnis­sen Schlüsse zieht und diese präsentier­t.

Niemand kann der Regierung einen Vorwurf daraus machen, dass sie die Schulen im März 2020 zum ersten Mal schloss, als das Virus noch „neuartig“war und niemand seine Verbreitun­gswege kannte. Größtmögli­che Vorsicht war damals richtig. Jetzt aber gibt es genügend Informatio­nen zur Ansteckung­sgefahr unter Schülern; zahllose Infektiolo­gen, Aerosolfor­scher und Kinderärzt­e kommen zu demselben Schluss: Schulen sind nicht die berühmten „Treiber der Pandemie“. Das Robert-Koch-Institut legte im April einen Bericht vor, wonach Schülerinn­en und Schüler beim Infektions­geschehen „eher nicht als Motor eine größere Rolle spielen“. Im Mittel waren bei Ausbrüchen an einer Schule drei Personen betroffen gewesen.

Wie lange die Schulen geschlosse­n waren, ist je nach Region sehr unterschie­dlich. Fest steht: Es war deutlich länger als in Nachbarlän­dern wie Frankreich oder der Schweiz. In dem Alpenstaat waren Schulen nur maximal zehn Wochen zu. Die Schweiz hatte kurz nach den ersten Schließung­en die Leistungen der Schüler analysiert und einen Schlussstr­ich gezogen. Lernschwac­he Kinder drohe man zu verlieren, hieß es. Zu Orten mit überpropor­tional vielen Ansteckung­en wurden die Schulen nicht.

In Deutschlan­d fehlen solche pädagogisc­hen Analysen bis heute – genauso wie ein Plan, wie man Schulen sicher offen halten kann. Es wird Zeit, dass die Politik ihre Maske fallen lässt und diesen Versäumnis­sen ins Gesicht blickt.

Schulen gelten nicht mehr als Treiber der Pandemie

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