Sommer, Sonne, Inzidenz
Warum der Rückgang bald stocken könnte
Berlin Mancher konnte es in den vergangenen Wochen gar nicht fassen, wie schnell die Corona-Inzidenz purzelte. Dass das so ist, hat viele Ursachen. Es liegt aber auch an der Mathematik: Die Reproduktionszahl R gibt an, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt. Liegt dieser R-Wert unter 1, nimmt die Entwicklung im Modell exponentiell ab. Je niedriger der Faktor – also je weiter weg von 1 -, desto schneller der Rückgang, wie André Scherag vom Institut für Medizinische Statistik der Uni Jena erklärt. Doch der Rückgang der Corona-Zahlen werde sich notgedrungen verlangsamen, selbst wenn es noch eine Weile bei exponentiell fallenden Zahlen bleibt, erklärt Jan Fuhrmann vom Forschungszentrum Jülich. „Ähnlich wie ein exponentieller Anstieg anfangs sehr langsam erscheint und sich dann immer weiter beschleunigt, beginnt ein exponentieller Abfall rasant und wird immer langsamer.“Allerdings sei die Realität komplexer als alle Modelle.
Für den Sommer rechnet Fuhrmann mit einem mäßigen Infektionsgeschehen. Zwar seien die vorherrschenden Virusvarianten ansteckender, ein zunehmende Zahl der Menschen sei aber geimpft. Dass der Abwärtstrend sich beschleunigt, glaubt er nicht. „Zumal mit sinkender Inzidenz immer Öffnungsschritte einhergehen, die wiederum zusätzliche Kontakte und damit mögliche Übertragungswege zur Folge haben“, sagt er. Das Beispiel Großbritannien zeige, dass eine Kombination aus Öffnungen und Mutationen trotz hoher Durchimpfung und saisonal bedingtem Abflauen des Infektionsgeschehens zu erneut steigenden Fallzahlen führen kann.
Schon eine Stellschraube kann entscheidend sein: Seit einigen Wochen liegt der R-Wert in Deutschland bei grob 0,8. Ersetzte man in dieser Situation nur die aktuell dominierende Virusvariante B.1.1.7 durch eine im Schnitt 30 Prozent leichter übertragbare, so stiege R auf knapp über 1 – und man käme aus dem Abwärtstrend zu einem schleichenden, sich beschleunigenden Anstieg der Inzidenz – obwohl alle anderen Rahmenbedingungen völlig unverändert blieben.