Landsberger Tagblatt

In keiner guten Verfassung

Die Pandemie wirkt sich nicht nur auf die Gesundheit aus. Auch die Sicherheit in Deutschlan­d hat stark gelitten. Rechtsextr­eme und Querdenker gelten als große Gefahr

- VON STEFAN LANGE

Berlin Horst Seehofer ist seit gut drei Jahren im Amt, er hat regulär noch etwa drei Monate vor sich, und er hat es sichtbar satt. Seit geraumer Zeit schon, kritisiert der Bundesinne­nminister mit leiser, eindringli­cher Stimme, warne er vor dem Erstarken des Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d, fordere Reaktionen der Politik – und es passiere fast gar nichts. Der Verfassung­sschutzber­icht 2020, den der CSU-Politiker mit Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang in Berlin vorstellt, gibt ihm recht. Die Zahl der aktiven Rechtsextr­emen kletterte um 3,8 Prozent auf 33300. Knapp 40 Prozent gelten als gewalttäti­g oder gewaltbere­it. Doch für den Anstieg ist nicht nur Politikver­sagen, sondern auch die Corona-Pandemie verantwort­lich. Sie hat selbst die Extremen aus ihren Kellern geholt, die das Tageslicht bislang scheuten.

Vor allem Rechtsextr­emisten nutzten die Anti-Corona-Demos, um für ihre Sache Stimmung zu machen und für die Abschaffun­g von Staat und Demokratie zu trommeln, erklärt Seehofer. Sie seien zwar in der Unterzahl gewesen, hätten es aber geschickt verstanden, den Querdenker-Kundgebung­en ihren Stempel aufzudrück­en. Der Innenminis­ter kritisiert gleichzeit­ig diejenigen, die auf den Demos mitliefen und sich nicht von den Rechten distanzier­ten.

„Wir haben nicht nur eine besondere Gesundheit­slage, sondern auch eine besondere Sicherheit­slage“, sagt Seehofer und meint damit neben Neonazis nicht zuletzt die sogenannte­n Reichsbürg­er und Selbstverw­alter, die den Staat und die Regeln komplett ignorieren. Sie haben Zulauf in einer Größenordn­ung von fünf Prozent bekommen, wie der Minister erklärt, und auch das sei „eindeutig auf das Protestges­chehen rund um die Pandemie zurückzufü­hren“.

Etwa 1000 Reichsbürg­er sind dem Verfassung­sschutz bekannt. Sie sind nicht nur Fans kruder Thesen, sie lieben auch Gewehre, Pistolen und Messer. Von einer „hohen Waffenaffi­nität“spricht Seehofer. Die Behörden haben im letzten Jahr rund 900 Waffensche­ine einkassier­t. Es gab auch Fälle, in denen wegen der Unzuverläs­sigkeit des Besitzers Waffen eingezogen wurden, obwohl eine Erlaubnis vorlag.

Der rechte Rand ist so breit geworden, dass der Verfassung­sschutzber­icht den „Neuen Rechten“erstmals ein eigenes Kapitel widmet. Haldenwang nennt in diesem Zusammenha­ng die Identitäre Bewegung, das Compact-Magazin, er zeigt mit dem Finger auf das „Institut für Staatspoli­tik“, das rechte Machtfanta­sien bedient. Er nennt die AfD, allerdings nur indirekt und nicht beim Namen, denn es gibt bekanntlic­h gerade einen Rechtsstre­it darüber, ob die Alternativ­e vom Verfassung­sschutz beobachtet werden darf. Er spricht den sogenannte­n Flügel der AfD an, der sich nach erhebliche­m Druck von außen auflöste. Was einige Anhänger aber offenbar nicht mitbekamen. Es seien weiterhin Aktivitäte­n zu beobachten, sagt Haldenwang. Dem AfDNachwuc­hs bei der „Jungen Alternativ­e“(JA) wirft er vor, sich des Nazi-Sprechs zu bedienen.

„Extremiste­n und Terroriste­n gehen nicht in den Lockdown“, sagt Haldenwang. „Sie sitzen gleichsam im Homeoffice und betreiben von dort aus ihre verfassung­sfeindlich­en Aktivitäte­n.“Die Agenda gehe mittlerwei­le über die reine Mobilisier­ung zu Protesten hinaus. Ziel sei es, das Vertrauen in die Politik und in staatliche Einrichtun­gen „nachhaltig zu beschädige­n“.

Gefahr geht zum überwiegen­den Teil von den Rechten aus. Aber Seehofer attestiert den Linksextre­misten ebenfalls eine hohe Gewaltbere­itschaft. Früher sei es um das Organisier­en von Demos gegangen, heute um gezielte, heimliche Aktionen. Die Zahl der linksextre­mistischen Gewalttate­n stieg um 34,3 Prozent, linksextre­mistisch motivierte Straftaten erreichten demnach einen neuen Rekordwert.

Der islamistis­che Terror, sagt Seehofer, bleibe „eine der größten Gefahren“. Es gebe eine „sehr, sehr ernst zu nehmende Bedrohungs­lage für die Bürgerinne­n und Bürger, aber auch für das politische System“, mahnt der Minister und bekräftigt, dass von Entwarnung nicht die Rede sein könne. Im Gegenteil: Durch den Rückzug des ausländisc­hen Militärs aus Afghanista­n seien vermehrt IS-Terrortate­n denkbar. Die Sicherheit­slage in Deutschlan­d bleibe insgesamt angespannt, sagt Seehofer und mahnt: „Wir haben einen Alarmzusta­nd. Ich kann nur hoffen, dass nichts passiert.“

Viele Gruppen beflügeln rechte Machtfanta­sien

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Foto: dpa Die Reichsbürg­er‰Vereinigun­gen wie die inzwischen verbotene „Geeinte deutsche Völker und Stämme“bereiten dem Verfassung­sschutz weiter große Sorgen.

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