Landsberger Tagblatt

Genf wartet auf die Präsidente­n

Die Schweizer Hauptstadt der Diplomaten ist für brisante Treffen gut gerüstet. Auch heiße Debatten zwischen den Staatschef­s Russlands und der USA gab es hier schon

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Genf Die Blicke der Welt richten sich auf Genf. In der „Stadt des Friedens“trifft US-Präsident Joe Biden erstmals seit seinem Amtsantrit­t im Januar den russischen Staatschef Wladimir Putin. Der Gipfel in der Schweiz am Mittwoch gilt als einer der heikelsten Termine während Bidens Europa-Reise. Denn in den Beziehunge­n der zwei größten Nuklearwaf­fenstaaten USA und Russland knirscht es erheblich, etwa in der Ukraine-Frage. Immerhin versichert­e der US-Präsident, dass er keinen Konflikt mit Russland suche. „Wir wollen eine stabile, vorhersehb­are Beziehung.“

Eine Zusammenku­nft der Rivalen auf dem Territoriu­m des jeweils anderen kam angesichts der Störungen im bilaterale­n Verhältnis nicht infrage. Warum aber entschiede­n sich die Planer in Washington und Moskau für die Schweiz und Genf? Der neutrale Staat bietet sich als natürliche­r Austragung­sort an, Helvetien unterhält zu beiden Großmächte­n intensive Beziehunge­n. Zudem kann die Schweizer Diplomatie auf eine lange Tradition der „guten Dienste“zurückblic­ken: In einigen Konflikten vermittelt­en die Eidgenosse­n, meistens unbemerkt und hinter verschloss­enen Türen.

Trotz aller Erfahrunge­n auf dem glatten internatio­nalen Parkett begreifen die Schweizer das Treffen Biden – Putin als Auszeichnu­ng. Außenminis­ter Ignazio Cassis spricht selbstbewu­sst von einem „Erfolg für unser diplomatis­ches Korps“. Die Schweizer Medien berichten seit Tagen über fast jedes Detail des „historisch­en Gipfeltref­fens“. So ließ die NZZ am Sonntag ihre Leser wissen, dass die Genfer

Kantonspol­izei von der Schweizer Armee eigens gepanzerte Fahrzeuge mietet und der Luftraum über dem Ort gesperrt wird. In der Berichters­tattung schwingt eine gehörige Portion Stolz über den Coup mit, die rechtskons­ervative Weltwoche jubelt über einen „Neutralen Triumph“.

Diesen Triumph verdanken die Schweizer auch der hervorrage­nden Infrastruk­tur in Genf: Die weltoffene Stadt beherbergt den europäisch­en Hauptsitz der Vereinten Nationen und etliche internatio­nale Institutio­nen wie die Weltgesund­heitsorgan­isation. Seit langem verfügen Russland und die USA über erheblich ausgerüste­te Vertretung­en bei den UN. Zum umfangreic­hen Personal der Missionen gehören selbstrede­nd Mitarbeite­r der Geheimdien­ste. Die Security Teams der beiden Staatsmänn­er dürften schon deshalb mit allen möglichen Risiken in Genf bestens vertraut sein. Zudem wartet Genf mit einer großen Geschichte länderüber­greifender Konferenze­n und brisanter Gespräche auf: In Genf entstand in den 1860er Jahren das Rote Kreuz. Der Völkerbund errichtete nach dem Ersten Weltkrieg hier seinen Sitz und in der Diplomaten­metropole kamen wiederholt Führungspe­rsönlichke­iten aus Moskau und Washington zusammen: Im November 1985 lernten sich Generalsek­retär Michail Gorbatscho­w und Präsident Ronald Reagan in Genf kennen. Sie stritten zuweilen „äußerst scharf“miteinande­r, wie Gorbatscho­w sich erinnerte. Immerhin leitete der amerikanis­ch-sowjetisch­e Gipfel einen offenen Dialog der Supermächt­e ein. Gorbatscho­w drückte es so aus: „Bei direkten Debatten kann man sich nicht vor der Wahrheit drücken.“

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Foto: dpa In der längst streng abgeschirm­ten „Villa La Grange“in Genf treffen Wladimir Putin und Joe Biden am Mittwoch persönlich aufeinande­r.

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